Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen: Ich habe über viele Jahre in Sachsen-Anhalt Wissenschaftspolitik mitgestaltet. Mein Ziel bestand dabei darin, Forscherinnen und Forschern, Lehrenden, Studierenden und anderen in diesem Bereich Beschäftigten möglichst optimale Bedingungen zu schaffen. Das hieß, um Prioritäten bei politischen Entscheidungen zu kämpfen. Das hieß auch, Perspektiven der Adressaten zu übernehmen. Das hieß aber vor allem, sich mit Inhalten von Forschung und Lehre auseinander zu setzen.
Um verantwortungsbewusst langfristige Perspektiven zu konzipieren, ist es nach meinem Verständnis unabdingbar, sich mit Inhalten einzelner Wissenschafts- und Forschungsdisziplinen vertraut zu machen. Sich beraten und vor allem beraten zu lassen, ist für mich daher Voraussetzung, um in diesem Bereich Kompetenzen zu entwickeln. Erst diese Kenntnisse geben mir die Möglichkeit, Alternativen, mit denen vergleichbare Ergebnisse erzielt werden könnten, seriös zu bewerten und zu entscheiden, ob nicht die neuen Möglichkeiten genutzt werden sollten.
Das ist auch der Ansatz, mit dem ich Forschungs- und Technologiepolitik betreibe. Vor diesem Hintergrund ist so manche Argumentation im Zusammenhang mit dem Ethikrat und/oder dem Ethikkomitee nur schwer nachvollziehbar. Ich kann mich nämlich nicht des Eindrucks erwehren, dass bereits mit dieser Strukturdebatte mehr oder weniger verdeckt auch eine inhaltliche Debatte stattfinden würde. Diese Gremien sollen uns aber vor allem beraten. Ausschussarbeit und Entscheidungen durch den Bundestag selbst sind durch sie nicht zu ersetzen. Bioethische Fragen sind höchst sensibel, komplex und berühren unser Leben tief.
(Jörg Tauss (SPD): Alle ethischen Fragen!)
- Genau! Es haben sich neue Entwicklungen vollzogen und es sind Ergebnisse neu zu bewerten. Manche Entscheidungen müssen erst noch getroffen werden, andere - bereits getroffene - müssen vielleicht geändert werden. Deshalb müssen wir uns mit dem aktuellen Stand vertraut machen. In jeder Legislaturperiode kommen Abgeordnete des Bundestags erstmals ins Parlament - ich zum Beispiel - und diese müssen sich teils völlig neue Kompetenzen in bioethischen Fragen erarbeiten. Jeder und jede muss dafür eine reale Chance bekommen. Deshalb brauchen wir deutlich mehr Beratung. Natürlich weiß ich, dass es auch Abgeordnete gibt, die sich mit bioethischen Problemen seit Jahren engagiert auseinander setzen.
Sie haben zum Teil in Enquete-Kommissionen und an gesetzlichen Entscheidungen mitgewirkt. Sie haben bereits in vielen Fragen Grundpositionen erarbeitet, die sie einbringen wollen und einbringen sollen. Wenn ich auf die Ethikkommission des Bundestages zurückschaue, dann erkenne ich, dass die Einsetzung des Nationalen Ethikrates durch Kanzler Schröder schon ein Versuch war, Einfluss auf Inhalte zu nehmen; jedenfalls habe ich das so wahrgenommen. Tatsächlich haben dann Enquete-Kommission und Nationaler Ethikrat aufeinander reagiert. Das war nicht immer spannungsfrei, klar. Aber keine der beiden Strukturen war für die eine oder die andere Grundposition letztlich zu instrumentalisieren.
Beide Strukturen haben sich, wenngleich auf unterschiedliche Art und Weise, der Öffentlichkeit gestellt. Ich will Ihnen sagen, dass für mich noch nicht feststeht, wie die Struktur am Ende auszusehen hat. Ich kann mit Ethikrat und mit Ethikkomitee leben, auch wenn sie zeitgleich nebeneinander arbeiten. Ich glaube, dass die Entscheidungsfindung nicht einfacher wird, wenn zwei Institutionen beraten.
(Jörg Tauss (SPD): Ja, das sehe ich auch so! Doppelstrukturen sind schwierig!)
Ob für die interessierte Öffentlichkeit mehr Verständlichkeit und Transparenz dabei herauskommen, ist nicht sicher. Ich wünschte mir, uns gelänge ein Kompromiss, in dessen Folge wir zur Bildung von nur einer Struktur kommen. In anderen europäischen Ländern - das hat vorhin schon eine Rolle gespielt - ist das auf teils vorbildliche und auch auf gesellschaftlich akzeptierte Weise geschehen. Diskussionsbedarf sehe ich auch weiterhin im Hinblick auf den Modus der Besetzung:
Erstens in Bezug auf die Fraktionen. Da es - außer bei der FDP - keine geschlossenen Fraktionsmeinungen gab und gibt, sollte nicht der Fraktionsproporz entscheiden. Wir sollten überlegen, wie es uns gelingen kann, dafür zu sorgen, dass auch kleinere Fraktionen ihr differenziertes Meinungsbild einbringen können. Wir haben ein solch differenziertes Meinungsbild. Zweitens ist mir unklar, warum in dem Gesetzentwurf zum Ethikrat hälftig Bundestag und Bundesregierung Besetzungsvorschläge einbringen sollen, wenn es doch letztlich darum geht, unabhängige Persönlichkeiten zu berufen. Kann man bei uns im Bundestag nicht beispielsweise auf die Poolbildung bei Expertenanhörungen zurückgreifen? Drittens ist die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Ethikkomitees, das über eine Wahlperiode hinaus bestehen soll, zu klären. Wir binden damit immerhin auch künftige Abgeordnetengenerationen. Sollte es letztlich zur Bildung von nur einer Institution kommen, dann hätte für mich auch der Vorschlag von Vizepräsident Thierse, Abgeordneten durch beratende Stimme oder über einen parlamentarischen Beirat direkten Zugang zu den Sitzungen des Ethikrates zu ermöglichen, durchaus einen gewissen Charme.
Wie kommentierte doch unlängst die „Ärzte-Zeitung“ angenehm respektlos: Wenn Parlamentarier wirklich wissen, worüber sie abstimmen, erhöht dies dramatisch die Chance für handwerklich saubere Gesetze. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)