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»Wir wollen, dass Deutschland ein Waffendienstverweigerer ist«

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi begründet den Antrag der LINKEN »Keine Rüstungsexporte als Instrument der Außenpolitik – Exportverbot jetzt durchsetzen«

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Waffenexportes aus Deutschland ist in Anbetracht unserer Geschichte meines Erachtens eine herausragende Frage. Wir hätten eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg den Schluss ziehen müssen, nie wieder an Kriegen verdienen zu wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir diesen Schluss gezogen hätten, hätten wir Waffenexporte aus Deutschland gänzlich und für alle Zeiten verboten. Das hätten auch alle Nachbarn verstanden.

Interessant ist, was in Deutschland gar nicht diskutiert wird: dass Japan ‑ bekanntlich auch ein Aggressor im Zweiten Weltkrieg ‑ exakt diesen Schluss gezogen hat und bis heute keine Waffenexporte durchführt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Argumente, dass man dann politisch und ökonomisch kein Gewicht habe, sind doch durch Japan widerlegt. Japan hat großes Gewicht, ohne Waffenexporteur zu sein.

In Art. 26 unseres Grundgesetzes ist festgehalten, wie sehr wir Angriffskriege verurteilen. Jedes Jahr sterben weltweit 500 000 Menschen durch Waffengewalt ‑ das ist jede Minute ein Mensch. Auch deutsche Waffen werden dabei benutzt. 2011 hat die Bundesregierung ‑ ich bitte Sie, das weiß kaum jemand in der Öffentlichkeit ‑ Waffenexporte in 125 Länder im Gesamtwert von 10,8 Milliarden Euro genehmigt. Seit 2006 gibt es Exportgenehmigungen von durchschnittlich 8 Milliarden Euro pro Jahr.

Bei der Frage von Rüstungsexporten gibt es eine Große Koalition; ich muss das so sagen. Ob Union, SPD, FDP oder Grüne: Sie alle haben immer gemeinsam diese Exporte genehmigt und fortgeführt. Deutschland nimmt auf der Liste der größten Waffenexporteure der Erde den dritten Platz ein. Das heißt, es gibt zwei Länder, die mehr Waffen exportieren als Deutschland. Das sind die USA und Russland. Alle anderen Länder ‑ beispielsweise China, Großbritannien, Frankreich ‑ verkaufen weniger Waffen als Deutschland. Ich sage: Fast jede deutsche Waffe darf in fast jedes Land der Welt verkauft werden.

Jetzt nenne ich Ihnen eine Zahl, die die meisten in der Öffentlichkeit überhaupt nicht kennen. Im Jahre 2011 gab es bei dem berühmten Bundessicherheitsrat, der ja zu entscheiden hat, ob ein Rüstungsexport genehmigt wird, 17 586 Anträge auf Genehmigung des Exports von Waffen.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Von Rüstungsgütern!)

Wissen Sie, wie viele abgelehnt worden sind? Von 17 586 Anträgen wurden 105 abgelehnt. Das sind 0,005 Prozent. Und da wird immer behauptet, Sie behandelten das restriktiv. Sie genehmigen ja fast jeden Antrag.

(Beifall bei der LINKEN)

Da muss man schon ein riesiges Glück haben, wenn man mal einen Antrag nicht genehmigt bekommt.

Interessant ist auch: Was sind eigentlich die 20 Topländer, die die meisten Rüstungsgüter im Jahre 2011 bekommen haben? Ich sage Ihnen: Darunter sind die Vereinigten Arabischen Emirate, sie sind auf Platz drei - eine tolle Demokratie. Irak: Platz sechs - eine tolle Demokratie. Algerien: Platz acht - ein Beispiel für Demokratie. Saudi-Arabien: Platz zwölf. Ein Land der Menschenrechte? Top, kann ich nur sagen. Ägypten, wo wir jetzt all das erleben: Platz 18. Sie liefern überall Waffen hin. Damit macht man doch die eigene Politik völlig unglaubwürdig.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Sie vermischen alles!)

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Wir unterstützen doch die Kräfte des - so nennen wir es - arabischen Frühlings, also die Rebellen in den arabischen Ländern. Mit unseren Waffen marschiert Saudi-Arabien in Bahrain ein und schießt die Demonstranten zusammen. Dazu hört man keinen Ton; auch in der Öffentlichkeit wird das fast totgeschwiegen. Ich finde, das ist ein einzigartiger Skandal.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD))

Mal so und mal so: Damit wird die gesamte Militärpolitik unglaubwürdig.

Im Übrigen haben wir erlebt, dass im Konflikt in Libyen beide Seiten deutsche Waffen hatten. Dann hat die Bundesregierung gesagt: Die libysche Regierung hätte die Waffen gar nicht haben dürfen. Daran sieht man aber Folgendes: Wenn man Waffen exportiert, weiß man nie, wo sie letztlich landen.

(Beifall bei der LINKEN)

Irgendwann wird damit getötet und geschossen, und darüber müssen wir nachdenken.

Viele Menschen bei uns glauben, dass es eine Vorschrift gäbe, dass keine Waffen in Krisengebiete und Kriegsgebiete verkauft werden dürfen. Es gibt diesbezüglich gar kein Gesetz. Es gibt nur eine Verabredung, die aber nicht eingehalten wird. Wenn Sie uns schon nicht folgen und Waffenexporte nicht vollständig verbieten, könnte man nicht einmal erste Schritte gehen, wenigstens erste Schritte? Dazu würde zum Beispiel gehören, dass man die Waffenlieferungen in den Nahen Osten komplett einstellt und sagt: Da gehen keine deutschen Waffen mehr hin.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Bijan Djir-Sarai (FDP))

Das wäre doch mal ein Signal; das wäre ein Politikwechsel.

Es gibt noch etwas: Sturmgewehre und Maschinenpistolen. Ich wusste es gar nicht, aber diese Waffen sind die eigentlichen Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts: Mit ihnen werden mehr Menschen getötet als mit allen anderen Waffen zusammen. Wäre es nicht wenigstens ein erster Schritt, zu sagen: „Wir verbieten den Verkauf von Sturmgewehren und Maschinenpistolen“?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will nicht, dass mit deutschen Waffen weltweit getötet wird.

Ich habe schon vor kurzem etwas zur Bereitstellung von Patriot-Raketen gesagt; ich halte das wirklich für eine ganz groteske Fehlentscheidung. Sie müssen sich überlegen: Wenn eine Rakete abgeschossen wird, sind wir Konfliktpartei bzw. Kriegspartei im Nahen Osten. Das können wir uns bei unserer Geschichte überhaupt nicht leisten.

Ich sage Ihnen auch, was mich bei den Kampfdrohnen stört. Wissen Sie, Kampfdrohnen, die Herr de Maizière einführen, herstellen lassen und kaufen will, haben etwas sehr Übles: Sie können keine Gefangenen nehmen. Kampfdrohnen können nur töten. Aber derjenige, der tötet, ist ja nicht einmal vor Ort; er gefährdet sich gar nicht.

(Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Warum soll er sich denn gefährden?)

Er sitzt irgendwo in Berlin oder Bonn, drückt auf einen Knopf und tötet gezielt Menschen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie das völkerrechtlich ungeregelt zulassen, werden eines Tages auch Terroristen solche Kampfdrohnen haben. Wir verschärfen alles nur,

(Beifall bei der LINKEN)

wenn wir uns immer neue Wege der Rüstung überlegen, statt den umgekehrten Weg zu gehen.

Ich gehe zum Schluss darauf ein, dass dieser komische Bundessicherheitsrat im Geheimen tagt; der Bundestag wird nicht einbezogen. Das alles verläuft ohne Transparenz. In den USA verläuft es übrigens mit Transparenz. Damit ist bewiesen, dass es auch mit Transparenz geht.

Aber Transparenz allein reicht uns natürlich nicht aus; wir wollen endlich eine Abkehr. Ich möchte gerne, dass Deutschland diesbezüglich eines Tages ein Waffendienstverweigerer ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn Deutschland bei den Exporten von Waffen den letzten Platz auf der Erde einnähme, weg von Platz drei. Kehren Sie die Politik um, und sorgen Sie dafür, dass Deutschland nicht länger an Kriegen in dieser Welt verdient.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)