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»Wir müssen gemeinsam verhindern, dass Deutschland zur Kriegspartei im Nahen oder mittleren Osten wird«

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Rede vor der namentlichen Abstimmung über die Stationierung von Bundeswehrsoldaten und Patriot-Raketen im syrisch-türkischen Grenzgebiet

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Reißen Sie sich am Riemen, Herr Gysi!)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland besitzt zwölf einsatzfähige Patriot-Feuereinheiten, die uns seit 1989 immerhin 3,048 Milliarden Euro gekostet haben. Die Linke hat immer erklärt: Wir müssen darauf verzichten, die modernste Kriegstechnik einzukaufen. Sie ist auch die teuerste. Sie sahen das immer anders. Es gibt kein Land, das Deutschland überfallen will. Wir brauchen überhaupt nicht die modernste Kriegstechnik auf der Welt.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit ist auch eine riesige Verschwendung von Steuergeldern verbunden.
Nun kommt ein neuer Aspekt hinzu: Wer die modernsten Waffen besitzt, wird am häufigsten zum Krieg eingeladen. Denn die Türkei bittet nur die USA, Holland und Deutschland um Hilfe, weil wir die modernste Technik haben. Vielleicht hören Sie einmal auf die Linke und hören auf, immer die modernste Kriegstechnik einzukaufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Mit Patriot-Raketen kann man, so sagt es auch der Bundesverteidigungsminister, nicht ein einziges Geschoss abwehren, das bisher aus Syrien in der Türkei eingetroffen ist. Sie sind also gar nicht dafür geeignet. Eigentlich ist es sinnlos. Nun wird der Verdacht eines möglicherweise bevorstehenden Einsatzes von Chemiewaffen geäußert. Ich halte diesen für falsch; denn auch Assad weiß, dass dann die internationale Gemeinschaft einmarschieren würde. Das wird nicht passieren. Mit Patriot-Raketen können Sie übrigens auch Chemiewaffen nicht bekämpfen.

Wieso also wird etwas stationiert, das überhaupt nicht gebraucht wird? Das macht nur in einem Fall Sinn: Wenn es eine Flugverbotszone gibt. Aber der Außenminister und der Verteidigungsminister sagen beide, dass es sie nicht geben wird. Ich sage Ihnen: Das ist ein schweres Eingeständnis von Untreue. Wir sollen 25,1 Millionen Euro bis zum 31. Januar 2014 für etwas ausgeben, das niemand braucht, nur zur Beruhigung der Gefühle der türkischen Regierung? Dazu sage ich Ihnen: Wenn die türkische Regierung besser schlafen will, dann soll sie endlich einmal die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Oppositionellen, Kurdinnen und Kurden und Alawiten einstellen, also lernen, Minderheiten anders zu behandeln.

(Beifall bei der LINKEN - Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Mein Gott, Herr Gysi! Das hat doch mit Assad nichts zu tun!)

Drittens. Sie kennen die Bedenken Russlands. Sicherheit in Europa kann es nur mit und nicht gegen Russland geben. Das wissen auch Sie, Herr Westerwelle.

(Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Das macht er doch die ganze Zeit!)

Viertens. Die schlimmste Katastrophe - dazu komme ich jetzt - ist eine andere: Sie marschieren mit der Bundeswehr in den Nahen Osten ein.

(Lachen bei der FDP - Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Herr Gysi, jetzt ist aber Schluss! Meine Güte! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

- Machen Sie nicht? Ich bin ja noch nicht fertig. Hören Sie zu. - Sie marschieren mit der Bundeswehr in den Nahen und Mittleren Osten ein, nicht etwa auf Beschluss der UNO, nicht etwa, um die Einhaltung eines Waffenstillstandes zu kontrollieren,

(Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Sie wissen überhaupt nicht, worum es geht!)

sondern auf Wunsch der Türkei im Rahmen des NATO-Bündnisses. Sie machen Deutschland schon mit dem Einmarsch und erst recht mit dem Abschuss einer einzigen Rakete zur Kriegspartei im Nahen und Mittleren Osten.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Wollen Sie die Raketen lieber einschlagen lassen?)

Genau das darf Deutschland niemals werden. Wir können dort eine Rolle als Vermittler spielen, aber um Gottes Willen nicht als Kriegspartei. Die Folgen wären verheerend. Sie wissen gar nicht, was Sie damit anrichten können.

(Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Sie sind aber wirklich 20 Jahre stehen geblieben!   Dr. Rainer Stinner (FDP): Keine Ahnung!  Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

- Ich wusste, dass Sie sich aufregen werden, aber Sie müssen mir trotzdem zuhören.
Die Türkei stellt sich immer deutlicher gegen Israel.

(Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Jetzt hören Sie aber auf! Ihre Fraktion stellt sich die ganze Zeit gegen Israel!)

Die Bundesregierung steht immer auf der Seite Israels. Die Türkei unterstützt die Hamas. Die Bundesregierung redet nicht einmal mit der Hamas. Ich habe jetzt keine Zeit, zu sagen,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP   Volker Kauder (CDU/CSU): Das reicht jetzt auch!)

was davon ich richtig und was davon ich falsch finde.

(Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Unglaublich!)

Sie selbst begeben sich damit in unlösbare Widersprüche.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie diesen Schnellschuss. Mir ist es ein Rätsel, dass wieder einmal auch SPD und Grüne zustimmen.

Jetzt habe ich noch eine Frage. Herr Schockenhoff von der CDU hat hier am Mittwoch Folgendes erklärt. Er hat gesagt:

Da der UN-Sicherheitsrat bis heute blockiert ist und keine wirksamen Maßnahmen ergreifen konnte, war kein anderer Weg möglich, als die syrische Opposition mit Waffen zu versorgen, um das syrische Regime zu stoppen. ... Ja, ich sage das ganz offen ...
So weit sein Zitat.

Das muss jetzt geklärt werden. Das wäre völkerrechtswidrig, und es würde auch das Recht der Bundesrepublik Deutschland ganz energisch verletzten, wenn heimlich Waffen nach Syrien geliefert worden sein sollten.

(Beifall bei der LINKEN - Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Das wollen Sie uns doch wohl nicht unterstellen?)

Mein letzter Satz: Wir müssen in Anbetracht unserer Geschichte gemeinsam verhindern, dass Deutschland zur Kriegspartei im Nahen oder Mittleren Osten wird.

(Beifall bei der LINKEN - Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Mein Gott!)