Rede in der Sondersitzung des Bundestages zum Begleitgesetz zum Vertrag von Lissabon.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Oppermann, Sie haben darauf hingewiesen, dass wir diese Debatte dem Bundesverfassungsgericht verdanken. Der Vollständigkeit halber hätten Sie darauf hinweisen sollen, dass das Bundesverfassungsgericht ohne die Linksfraktion gar nicht das Urteil hätte fällen können.
(Beifall bei der LINKEN - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch, dank der CSU!)
Deshalb verdanken wir die Debatte auch uns und - das vergessen wir doch nicht - einem einzelnen Abgeordneten aus einer anderen Fraktion.
Herr van Essen, Sie haben gesagt, der Vertrag von Lissabon sei durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Das stimmt, allerdings mit einer neuen, sehr eigenständigen und verbindlichen Interpretation, die hier vorher überhaupt nicht so gegolten hat. Das ist die entscheidende Veränderung.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Willy Wimmer (Neuss) (CDU/CSU))
Jetzt sage ich Ihnen, was das eigentliche Problem ist: Alle vier Fraktionen - Union, SPD, FDP und Grüne - haben den Vertrag von Lissabon natürlich so angenommen, wie er war. Es gab keine Bedenken; es hat Sie überhaupt nicht bewegt, dass die Rechte des Bundestages und des Bundesrates eingeschränkt worden wären. Nur wir sind deshalb vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Jetzt haben der Bundestag und der Bundesrat mehr Rechte. Dafür könnten sich eigentlich beide Gremien bei uns bedanken. Letztlich haben Sie das nämlich uns zu verdanken.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Genau so! - Lachen des Abg. Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU))
- Ich weiß ja, dass sie das nicht machen.
Ich füge eines hinzu: Die Konsenssoße der vier erwähnten Fraktionen ist eines der Probleme, mit denen wir es jetzt zu tun haben. Das gilt nicht nur für den Vertrag von Lissabon. Denken Sie an den Krieg in Afghanistan: Hier stimmen alle vier Fraktionen überein. Nur wir sagen: Mittels Krieg kann man niemals wirksam Terror bekämpfen. Denken Sie an die Rente ab 67: Alle vier Fraktionen sagen, dass müsse wegen der Demografie so sein. Wir sagen, dass ganz andere Reformen denkbar sind. Ich kann auch über die Agenda 2010 und über Hartz IV reden. Hartz IV ist demütigend und gleichmachend.
(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Rede doch einmal über die Linke! Was wollt ihr eigentlich?)
Da sind sich alle vier Fraktionen einig. Nur wir haben eine andere Auffassung.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will Ihnen etwas sagen: Was für Lissabon gilt, das gilt auch hier. Alle vier Fraktionen sind sich auch darüber einig, dass sie keine Vermögensteuer wollen,
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch!)
zumindest keine regelmäßige, sondern die Grünen nur eine einmalige.
Das ist ein Problem für unsere Gesellschaft. Ich glaube, wir brauchen mehr Auseinandersetzung. Deshalb ist es wichtig, dass auch durch das Begleitgesetz, das so weit zum Teil in Ordnung ist, endlich die Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Bezug auf die Europäische Union erweitert worden sind.
Übrigens hat sich Klaus Wowereit so sehr darüber aufgeregt, dass er sich im Bundesrat der Stimme enthalten musste, und zwar nur, weil unsere Senatoren das verlangt haben. Jetzt könnte er doch einmal Danke sagen.
(Petra Merkel (Berlin) (SPD): Quatsch! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dafür schämt er sich heute noch!)
Nur unseretwegen ist er der einzige Landesregierungschef, der einem verfassungswidrigen Gesetz nicht zugestimmt hat.
(Beifall bei der LINKEN)
Nun komme ich zur Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie haben Herrn Genscher zitiert. Joschka Fischer von den Grünen hat gesagt
(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guter Mann!)
er käme sich, wenn er das Urteil liest, so vor wie bei einer Sitzung der konservativen Fraktion in Großbritannien. Das ist sehr interessant, denn der Vizepräsident des Bundesverfassungsgericht, Andreas Voßkuhle, hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung dazu Stellung genommen. Diplomatisch meinte er, zu dem Satz sage er nichts; aber so viel würde er schon sagen: „Ein Europa der Eliten wird kaum die Basis für die Zukunft sein.“
(Beifall bei der LINKEN)
Im Kern ist das der Unterschied. Ihre vier Fraktionen wollen ein Europa der Eliten, und wir wollen ein Europa der Bevölkerungen, der Bürgerinnen und Bürger. Das ist im Kern der Unterschied.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich werde es Ihnen belegen. Sie kommen gar nicht darum herum. Es gab einen Verfassungsentwurf.
(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nicht nachher wieder kommen und sich für die Rede bei mir entschuldigen!)
Zwei Völker, nämlich die Völker der Niederlande und Frankreichs, haben den Verfassungsentwurf abgelehnt. Was war Ihre Schlussfolgerung? Ihre Schlussfolgerung hätte doch sein müssen: Wir schreiben eine Verfassung, die von allen Völkern mehrheitlich akzeptiert wird.
(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): So ist das!)
Ihre Schlussfolgerung war aber: Dann schreiben wir doch etwas auf, was so ähnlich ist, und fragen die Völker nicht mehr. - Das war Ihre Schlussfolgerung. Die Ausnahme ist Irland, wo das nicht geht.
(Beifall bei der LINKEN)
Da gab es wieder eine Mehrheit für Nein. Glauben Sie mir: Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Ich will die europäische Integration wirklich nicht weniger als Sie.
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh!)
Ich weiß, was das für den Frieden bedeutet. Aber ich sage Ihnen: Das geht niemals angesichts der Ängste, die gegenwärtig herrschen. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen; wir brauchen kein Europa der Eliten.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben bei dem Begleitgesetz drei Punkte nicht beachtet, was zu den Differenzen mit uns führt. Der erste ist: Sie haben ausdrücklich festgelegt, dass die Bundesregierung an Stellungnahmen des Bundestages nicht gebunden ist, wenn sie aus außen- oder integrationspolitischen Gründen meint, sich darüber hinwegsetzen zu müssen. Meines Erachtens ist das ein völlig falsches Verhältnis von Parlament und Regierung. Wenn wir eine Stellungnahme abgeben, muss das für die Regierung verbindlich sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Der zweite Punkt betrifft die Frage der EU-Rechtsetzung - das ist etwas kompliziert; das weiß ich; ich mache es ganz kurz - außerhalb des Art. 23 des Grundgesetzes. Sie sehen nicht vor, dass der Bundestag auch nur mitentscheiden kann. Ich halte das auch bei dieser Art von EU-Rechtsetzung für ganz wichtig, um die Integration zu befördern und ihr nicht zu schaden, um die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, damit es aufhört, dass jede zweite Bürgermeisterin und jeder zweite Bürgermeister sich mit EU-Recht herausredet, wenn es um soziale und andere Fragen geht. Genau das können wir nicht gebrauchen, wenn wir die europäische Integration wollen.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch der dritte Punkt ist spannend: das verfassungsrechtliche Verfahren zur Prüfung der Übereinstimmung von EU-Recht mit dem Grundgesetz. Da hat das Bundesverfassungsgericht sogar empfohlen, eventuell das Grundgesetz zu ändern. Den einzigen Vorschlag dazu unterbreiten wir. Sie lehnen das zumindest zurzeit ab. Ich hoffe, wir können Sie noch von unserem Vorschlag überzeugen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Gesichtspunkt, wenn wir die Menschen mitnehmen wollen.
Ferner ist die Frage des völkerrechtlichen Vorbehalts sehr von Interesse. Herr Ramsauer, da hatte die CSU ausnahmsweise einmal eine vernünftige Idee,
(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Die Unionsfraktion insgesamt!)
aber wie meistens sind Sie wieder umgefallen. Ich sage Ihnen nur, warum das wichtig ist und weshalb das nicht stimmt, was Sie, Herr Oppermann, sagen. Wenn wir aufgrund des Urteils einen Vorbehalt erklärten - nicht gegen einen Artikel, sondern indem wir deutlich machten, welche Dinge wir anders interpretieren, als sie in Lissabon möglicherweise gemeint waren oder verstanden wurden -, dann brauchten wir keine Ratifizierungsverfahren, wie es immer behauptet worden ist. Es genügt, wenn die anderen Länder innerhalb eines Jahres keinen Widerspruch erklären. Großbritannien und andere haben viel gewichtigere Vorbehalte erklärt. Warum kann Deutschland das nicht machen? Eine Resolution wäre auch mir zu wenig, muss ich sagen, aber einen völkerrechtlichen Vorbehalt könnten wir, wenn wir etwas gründlicher nachdenken und uns etwas mehr Zeit nehmen würden, so formulieren, dass er uns weiterhülfe, statt dass wir nachher in Auseinandersetzungen auch mit dem Europäischen Gerichtshof geraten, weil der sich nicht für unsere Interpretation oder die des Bundesverfassungsgerichts interessiert. Dann steuern wir doch nur auf neue Konflikte zu. Genau das kann man vermeiden.
(Beifall bei der LINKEN)
Übrigens haben wir Volksentscheide nur für wichtige Vertragsänderungen verlangt. Wir sollten endlich lernen, bei wichtigen Vertragsänderungen unsere Bevölkerung zu fragen.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt nenne ich Ihnen noch einen sozialen Aspekt, der mir wichtig ist. Der Europäische Gerichtshof hat auch einige merkwürdige Entscheidungen getroffen. Ich nenne das Urteil gegen das VW-Gesetz und die Aussage, dass die Marktfreiheit so wichtig sei, dass die öffentliche Hand in Deutschland, ein Land oder eine Kommune, nicht einmal darauf bestehen kann, dass Unternehmen, die einen öffentlichen Auftrag erhalten, Tariflöhne zahlen. Eines ist bisher noch gar nicht diskutiert worden: Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt entschieden, dass man in diesen Fällen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen und von ihm prüfen lassen kann, ob das überhaupt mit dem Grundgesetz übereinstimmt. Also: Gegen ein neues VW-Urteil des Europäischen Gerichtshofs dieser Art könnten wir uns wehren. Das schadet Europa nicht, das hilft Europa. Glauben Sie mir: Der zentrale Punkt ist, dass wir die vorhandenen Ängste in unserer Gesellschaft abbauen und die Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg in die europäische Integration mitnehmen und dafür kämpft die Linke.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)