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Wir brauchen eine solidarische Bürgerversicherung

Archiv Linksfraktion - Rede von Gesine Lötzsch,

Schlussberatung des Bundeshaushalts 2014, Einzelplan 15 (Gesundheit)

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):

Vielen Dank. ‑ Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich über Geld rede, möchte ich eine grundsätzliche Bemerkung vorab machen: Vor einigen Tagen ging die Meldung durchs Land, dass jeder zehnte Fehltag von Beschäftigten auf Rückenleiden zurückzuführen ist. Rückenbeschwerden kommen vor allen Dingen bei Menschen vor, die schwere körperliche Arbeiten verrichten müssen, etwa auf dem Bau oder in der Pflege, bei Kraftfahrern ‑ wegen der oft belastenden Körperhaltung ‑ und bei Arbeitslosen ‑ wegen des psychischen Drucks, dem sie ausgesetzt sind.

Die Art und Weise, wie wir arbeiten und leben, macht immer mehr Menschen krank. Wer auf knallharte Konkurrenz, maximale Arbeitsverdichtung und 24‑Stunden‑Flexibilität setzt, der überfordert jeden Menschen und jedes Gesundheitssystem. Darum sage ich: Wenn es uns gelingen würde, unsere Arbeits- und Lebenswelt solidarischer und gerechter zu gestalten, dann könnten wir auch die Krankheitskosten rapide senken, und ich denke, das ist das Gebot der Stunde.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Jens Spahn (CDU/CSU): War das im Sozialismus so?)

Allerdings gibt es ‑ das wissen wir alle aus leidvoller Erfahrung ‑ natürlich auch viele Unternehmen auf dem Gesundheitsmarkt, denen einen multimorbider Patient lieber ist als ein gesunder Versicherter. Die Gesundheit wird immer mehr zur Ware. Ich finde, das ist das Hauptproblem in unserem Gesundheitssystem. Dieses Problem wollen und müssen wir lösen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu brauchen wir erstens eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle einzahlen müssen und dürfen, und zweitens eine viel strengere Regulierung des Gesundheitsmarktes.

Damit bin ich auch schon beim Geld. Gerade an der Gesundheitspolitik der Bundesregierung lässt sich leider sehr gut zeigen, wie man mit kreativer Buchführung einen Bundeshaushalt scheinbar, aber eben nur scheinbar, sanieren kann. Der Finanzminister und viele Kollegen haben heute schon von der schwarzen Null gesprochen. Herr Schäuble hat sich vorgenommen, ab 2015 ohne neue Schulden auszukommen. Das wäre ein gutes Ziel, wenn man dieses Ziel ehrlich angehen würde. Aber leider wird getrickst, was das Zeug hält. Am Gesundheitsetat kann man das besonders gut zeigen.

Wie passiert dieses Tricksen? Der Bundeshaushalt wird entlastet, indem zum Beispiel der Zuschuss für den Gesundheitsfonds für zwei Jahre um insgesamt 6 Milliarden Euro willkürlich gekürzt wird. Der Zuschuss soll dann ab 2017 wieder erhöht werden. Aber wer weiß schon, was im Jahr 2017 sein wird und welche Regierung dann im Amt sein wird. Die Probleme schön in die Zukunft zu verschieben, hat mit Nachhaltigkeit wenig zu tun.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das Institut für Weltwirtschaft aus Kiel hat prognostiziert, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen in diesem Jahr ein Defizit von 1,7 Milliarden Euro und im nächsten Jahr von 6,1 Milliarden Euro haben werden. Grund sind vor allen Dingen die immer schneller steigenden Kosten für das Krankengeld allein aufgrund der demografischen Entwicklung.

Wir haben in der Debatte um den Einzelplan des Ministeriums von Frau Hendricks viel über das altersgerechte Wohnen gehört. Aber natürlich muss auch bei den Gesundheitskosten einkalkuliert werden, wie sich unsere immer älter werdende Gesellschaft entwickelt. Die Krankenkassen haben in dieser Situation leider nur eine Möglichkeit, die Kürzung des Bundeszuschusses und die steigenden Gesundheitskosten auszugleichen: Sie müssen sich das Geld bei den Versicherten holen. Das ist nicht in Ordnung, das ist sozial ungerecht, das lehnen wir ab.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Das ist falsch, was Sie da sagen!)

Auch wenn der Gesundheitsminister immer wieder bestreitet, dass die Krankenkassenbeiträge steigen werden: Es wird zwangsläufig dazu kommen. Dafür gibt es nämlich eine einfache Rechnung: Die Kosten für das Gesundheitssystem steigen schneller als die Löhne, die Gehälter und die Renten. In den vergangenen zehn Jahren sind die Einnahmen der Krankenkassen nur um 2 Prozent jährlich gestiegen, die Ausgaben aber um 3,7 Prozent. Deshalb stieg der Beitragssatz regelmäßig. Das wird in Zukunft auch nicht anders sein, wenn sich in diesem Land nicht grundsätzlich etwas ändert. Ich finde, gerade im Gesundheitssystem muss sich sehr viel grundsätzlich ändern.

Die Arbeitgeber sind von CDU und CSU aus der solidarischen Finanzierung entlassen worden, die SPD hat damit offensichtlich keine Probleme. Nun sind wir in der Situation, dass die Kostensteigerungen zu 100 Prozent von den Versicherten getragen werden müssen. Das ist besonders ungerecht; denn der Sozialausgleich, der eine Deckelung vorsah, ist abgeschafft worden. Ich hätte nicht gedacht, dass ich in diesem Haus die FDP einmal positiv erwähnen muss. Aber dieser Sozialausgleich mit Deckelung, also die Begrenzung der Zusatzbeiträge auf 2 Prozent des Einkommens, ist unter einem FDP-Gesundheitsminister eingeführt worden und unter einem christdemokratischen Minister wieder abgeschafft worden. Herr Gröhe, das war wirklich eine falsche Entscheidung von Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN - Heiko Schmelzle (CDU/CSU): Dass die FDP das noch erleben darf!)

Was hier vorliegt, hat mit einer gerechten Gesundheitspolitik nichts zu tun. Wir könnten, wenn wir wollten, die Gesundheitskosten insgesamt senken, wenn wir in Deutschland - ich habe das schon einmal betont, ich will es aber wiederholen - endlich eine solidarische Bürgerversicherung einführen würden. Viele sind dafür. Ich finde, man muss dies nicht nur ansprechen, sondern muss die Mehrheiten auch organisieren und dann hier im Haus entsprechend abstimmen.

Die Kürzung des Bundeszuschusses wäre nicht erforderlich, wenn wir in diesem Land endlich eine gerechte Steuerpolitik durchsetzen würden. Ich sage Ihnen: Der Koalitionsvertrag von Union und SPD enthält einen Grundfehler, nämlich den, auf eine gerechte Steuerpolitik zu verzichten. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das ist ein Thema, das Sie in Ihren Reihen, in Ihrer Partei noch einmal sehr gründlich diskutieren sollten. Denn es stand ja auch in Ihrem Wahlprogramm: Nur mit einer gerechten Steuerpolitik kann man dieses Land gerecht und sozial gestalten.

Meine Damen und Herren, kreative Buchführung ist etwas, was man Systemen oder Leuten vorwirft, die gern tricksen. Ich möchte nicht einem Haushalt zustimmen, der vor allen Dingen von kreativer Buchführung lebt. Die Linke wird den Einzelplan 15 ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)