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Wer hat Angst vor Frauenquoten?

Archiv Linksfraktion - Rede von Cornelia Möhring,

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Zollner, ehrlich gestanden, finde ich, dass heute genau der richtige Zeitpunkt ist, um wieder über die Frauenquote zu reden. Das zeigen nicht nur die vorliegenden Leitlinien der Koalition für das Gesetzgebungsverfahren, sondern auch Ihr Diskussionsbeitrag. Darauf will ich gleich noch genauer eingehen.

 

Der Anlass unserer heutigen Debatte ist der Gesetzentwurf der Grünen. Ich will trotzdem die Gelegenheit nutzen, etwas zum geplanten Gesetzentwurf der Großen Koalition zu sagen.

Zuerst zu den Grünen. Ich finde es natürlich sehr gut, dass in ihrem Gesetzentwurf der Anwendungsbereich deutlich weiter gefasst ist als im GroKo‑Entwurf. Ulle Schauws hat gesagt, von ihrem Gesetzentwurf seien immerhin 3.500 Unternehmen betroffen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Was?)

Im Vorschlag der Koalition steht aber nicht „oder“ zwischen „börsennotiert“ und „mitbestimmungspflichtig“, sondern „und“. Dieses kleine Wörtchen macht den großen Unterschied aus. Was uns da nämlich als gleichstellungspolitischer Meilenstein verkauft werden soll, gilt gerade einmal für 101 Unternehmen, und sie suchen ‑ bei einer Quote von 30 Prozent ‑ gerade einmal 174 Frauen.

(Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): 176!)

Ich finde, da ist der Begriff „Quötchen“ durchaus angebracht.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was die angedachten Sanktionen angeht, etwa die Drohung mit dem leeren Stuhl: Ich sehe wirklich schon, wie die betroffenen Unternehmen in Angst und Schrecken ausbrechen. Das, was angedacht ist, ist wirklich alles andere als eine harte Sanktion.

Ich finde aber auch, dass der Vorschlag der Grünen, eine 40-Prozent-Quote einzuführen, ebenfalls nicht weit genug geht. Es gibt keinen Grund, warum wir uns mit weniger als der Hälfte zufriedengeben sollten.

(Beifall bei der LINKEN - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es können auch 40 Prozent Männer sein, Frau Kollegin!)

Frauen sind keine Minderheit. Für gleiche und unteilbare Menschenrechte sind Zwischenschritte unsinnig. Vor 100 Jahren kam niemand auf die Idee, den Frauen erst einmal ein anteiliges Wahlrecht einzuräumen. Die Linke bleibt dabei: Wir wollen 50 Prozent.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Wie viel? 50 Prozent?)

Ein weiterer Punkt. Die Grünen fordern so wie die Bundesregierung die Quote für Aufsichtsräte, aber nicht für Vorstände. Doch genau dort spielt die Musik.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer wählt den Vorstand?)

In den Vorständen werden die weitreichenden Entscheidungen getroffen. Deswegen brauchen wir eine verbindliche Quote für alle Führungsetagen, erst recht, wenn man ein Gesetz „Führungskräftegesetz“ nennt.

(Beifall bei der LINKEN - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nicht dieses hier! Ihr habt ja auch keine Doppelspitze bei euch in der Fraktion!)

- Darüber können wir gerne an anderer Stelle diskutieren.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Nein! Hier!)

Hier geht es um die gleiche und ungleiche Verteilung von Ressourcen in unserer Gesellschaft, wofür der Bundestag die Zuständigkeit besitzt. Es geht nicht um unsere Fraktion.

Noch ein paar ganz grundsätzliche Anmerkungen. Sowohl im vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen als auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung, soweit er uns bekannt ist, sind alle Regelungen geschlechtsneutral formuliert. Da mittlerweile sogar von einer Geschlechterquote gesprochen wird, möchte ich hier ganz explizit noch einmal auf den Sinn einer Frauenquote eingehen. Frauenquoten wurden hier und in anderen Ländern aus einem einzigen Grund auf die politische Agenda gesetzt: Es gibt eine sichtbare Diskriminierung von Frauen in Führungsetagen ‑ und nicht nur dort. Frauen wird der gleichberechtigte Zugang zu gesellschaftlichen und wirtschaftliche Entscheidungen verwehrt. Mit der Frauenquote sollte diesen Zuständen so lange auf den Leib gerückt werden, bis die Gleichstellung auch wirklich in der Praxis ankommt.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht nämlich nicht, auch wenn das hier teilweise durchklingt, um den Ausgleich zufällig zusammengesetzter Gremien, wo einmal Frauen und einmal Männer in der Mehrheit oder Minderheit sind. Frauen sollen nicht deshalb vertreten werden, weil sie irgendwelche geheimnisvollen Befähigungen haben oder anders mit knappen Ressourcen und ungelösten Herausforderungen umgehen. Auch wenn es manche erstaunen mag: Frauen sind nicht die besseren Menschen. Sie haben aber das gleiche Recht auf Beteiligung an wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Frauenquote ist einzig und allein eine Antidiskriminierungsmaßnahme. Erst wenn das Geschlecht bei Einstellungen und Beförderungen keine Rolle mehr spielt, Frau Zollner, wird die Quote überflüssig.

Eine strukturelle Diskriminierung von Männern gibt es jedoch nicht. Männer sind in Führungsetagen und in der Politik nicht unterrepräsentiert. Wofür bräuchten sie dann eine gezielte Förderung?

Deswegen teile ich auch die Kritik der Gleichstellungsbeauftragten der Bundesministerien, die völlig berechtigt auch das Quotengesetz der Großen Koalition kritisieren, weil jetzt im öffentlichen Bereich ein echter Rückschritt wartet. In der Novelle zum Bundesgleichstellungsgesetz wird die Frauenförderung ohne Not in eine Männer- und Frauenförderung umgewandelt. Männerförderung ist aber ‑ da müssen jetzt einige ganz tapfer sein ‑ tatsächlich in der Gleichstellung noch nicht angesagt. Die gesellschaftliche Realität liefert andere Ausgangsbedingungen. Der Anteil von Frauen in Vorständen beträgt 5,7 Prozent, in Parlament und Politik 30 Prozent. 80 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. 87 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. 80 Prozent aller unbezahlten Tätigkeiten werden von Frauen ausgeführt. Ich meine, da muss doch bei Ihnen mal was klingeln. Wer so tut, als würden wir Gleichstellung durch die Förderung des jeweils unterrepräsentierten Geschlechts erreichen, der hat das Klingeln nicht gehört und verkennt die gesellschaftliche Realität.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erinnern wir uns immer an die Worte von Grethe Nestor, die sagte: Die größte Gefahr für die Gleichberechtigung ist der Mythos, wir hätten sie schon.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)