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Wenn man mehr Beschäftigung will, dann muss man mehr Leute einstellen

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Die öffentlichen Arbeitgeber fordern eine Verlängerung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst ohne jede zusätzliche Lohnleistung. Im Kern ist das nichts anderes als eine Stundenlohnsenkung. Das ist nicht hinnehmbar. Dagegen wehren sich die Gewerkschaften. Ich freue mich, dass sie das mit deutlich mehr Selbstbewusstsein als früher tun. Gregor Gysi in der von der Fraktion DIE LINKE. beantragten Aktuellen Stunde „Tarifliche Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst“.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben im öffentlichen Dienst gegenwärtig relativ harte und schon lang andauernde Auseinandersetzungen. Die Gewerkschaften haben wegen der Haltung der Kommunen, aber vor allem wegen der Haltung einiger Länder zum Streik aufgerufen. Die Länder sind davon entweder gar nicht oder sehr stark betroffen, je nach Grad der Auseinandersetzung. Was verlangen die Arbeitgeber, die sich, wenn ich das richtig mitbekommen habe - ich denke an die verschiedenen Positionen der Landesminister -, inzwischen nicht mehr einig sind? Sie fordern eine Verlängerung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst ohne jede zusätzliche Lohnleistung. Im Kern ist das nichts anderes als eine Stundenlohnsenkung. Das ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN - Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Populist!) Dagegen wehren sich die Gewerkschaften. Ich freue mich, dass sie das mit deutlich mehr Selbstbewusstsein als früher tun. (Zustimmung bei der LINKEN) Es gibt Gerüchte - sie sind häufig in den Zeitungen zu lesen -, denen man Glauben schenkt; das möchte ich auch mir zubilligen. So konnte ich mehrfach lesen, dass wir im Vergleich mit anderen Ländern einen der größten öffentlichen Dienste hätten. Wenn man das ständig liest, glaubt man das irgendwann auch. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Der in der DDR war größer! - Heiterkeit bei der CDU/CSU - Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Tolles Modell!) - Sie finden das komisch. Sie arbeiten aber auch nicht im öffentlichen Dienst. Sie bekommen Ihr Geld jeden Monat und keiner verlangt von Ihnen eine Verlängerung der Arbeitszeit. Das ist der Unterschied. (Beifall bei der LINKEN - Clemens Binninger [CDU/CSU]: Vorsicht! - Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Können Sie den Unterschied zu sich selber erklären?) Wir haben Statistiken über den Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst an der Gesamtheit der Beschäftigten. Je nach Statistik - die Statistiken unterscheiden sich etwas - beträgt ihr Anteil zwischen 12 und 16 Prozent. Der Anteil der Beschäftigten in den öffentlichen Diensten in Großbritannien und in den USA ist höher, in den skandinavischen Ländern ist ihr Anteil sogar doppelt so hoch wie in Deutschland. Nun werden Sie wieder die These aufstellen, dass man in diesen Ländern nichts davon verstehe, nur in Deutschland verstehe man etwas davon. (Zuruf von der CDU/CSU: Außer Ihnen!) Ich glaube, diese These ist falsch. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie sind die Ausnahme!) Das will ich Ihnen an einem Beispiel deutlich machen. Es wird immer gesagt, wir bräuchten weniger Staat, dort gebe es viel zu viele Beschäftigte. Das ist auch in den Boulevardzeitungen zu finden, die ich mit Interesse lese. Wenn dann aber zum Beispiel in Bad Reichenhall ein Dach zusammenbricht, schreiben die gleichen Zeitungen, dass wahrscheinlich der Bürgermeister dafür verantwortlich ist. Man muss sich entscheiden: Wollen wir Verantwortlichkeit des Staates? Dann muss er aber auch Beschäftigte haben. Wenn wir Sicherheit wollen - ich denke nur an die Feuerwehr -, dann brauchen wir Beschäftigte, und wenn wir Kontrollen wollen, auch. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Können die nicht 40 Stunden arbeiten?) Zu sagen, wir bräuchten weniger Beschäftigte, aber dann den Staat für alles verantwortlich zu machen, geht nicht auf. Das ist die falsche Logik, und es ist auch die falsche Philosophie. (Beifall bei der LINKEN) Die nächste Frage, die sich stellt, lautet, ob wir in Deutschland andere Arbeitszeiten haben als in anderen Ländern. Mit seiner Arbeitszeit im öffentlichen Dienst liegt Deutschland im Vergleich zu den Arbeitszeiten der anderen öffentlichen Dienste in Europa über dem EU-Durchschnitt, und zwar mit einer halben Stunde pro Woche. Das ist interessant. Im Vergleich zu Ländern wie Italien oder Frankreich haben wir deutlich längere Arbeitszeiten. Die These, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern eine kürzere Arbeitszeit hätten, ist falsch. Ich glaube nicht, dass die anderen Länder auch in diesem Punkt falsche Wege gehen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn man das alles zusammennimmt, dann ist doch klar, dass eine Gewerkschaft nicht Ja zu einer unbezahlten Verlängerung der Arbeitszeit sagen kann, sondern einen anderen Weg gehen muss. (Beifall bei der LINKEN - Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sind Sie der Verhandlungsführer? - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der neue Schlichter!) Sie muss deutlich machen: Wenn man mehr Beschäftigung will, dann muss man mehr Leute einstellen. Damit würde man, auch im öffentlichen Dienst, ein Problem der Arbeitslosigkeit lösen. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe eben gesagt, wie hoch die Anteile der Beschäftigten in den öffentlichen Diensten in Großbritannien, den USA und in Skandinavien sind. Wäre der Anteil in Deutschland genauso hoch, dann hätten wir deutlich weniger Arbeitslose. Sie sind dazu nicht bereit und stellen nicht mehr Leute ein. Darüber hinaus aber noch zu fordern, die Beschäftigten müssten kostenlos länger arbeiten, das ist wirklich der Gipfel. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie hätten das gestalten können! Aber weggelaufen sind Sie vor der Verantwortung!) Sie müssten wenigstens eine Bezahlung anbieten. Davon ist bisher aber keine Rede. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe gesagt, die Gewerkschaften wehren sich. Sie tun das mit einem größeren Selbstbewusstsein, sie haben Nerven und halten das auch länger durch. Die Länder halten das auch länger durch. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Als Senator hatten Sie keine Nerven!) Es gibt immer wieder ein paar Punkte, über die man sich verständigen muss. Hier muss man auch zu einer Auseinandersetzung bereit sein. Ich sage ganz klar: Notdienste dürfen nie eingestellt werden. Man darf sie nicht bestreiken. Allerdings sage ich auch: Der Arbeitgeber darf dann aber auch keine Methoden anwenden, mit denen er den Streik unterläuft, zum Beispiel, indem er Privatfirmen anstellt, um bestimmte Probleme zu lösen. (Beifall bei der LINKEN) Beide müssen also einen bestimmten Grad an Fairness an den Tag legen, damit man es klären kann. Nun sind wir hier nicht die Tarifparteien; das weiß ich. Andere werden die Auseinandersetzung führen; das ist auch richtig. Sie sollen es tun. Es ist aber nicht so absurd, wie Sie denken, dass wir uns damit beschäftigen, wenn es um unsere Angestellten geht. Wir haben eine Menge damit zu tun und wir sollten einen Beitrag dazu leisten, dass es schnell zu einer Lösung kommt und dass nicht der eine Minister das eine und der andere Minister das andere erzählt, sodass für die Bürgerinnen und Bürger dabei nur herauskommt, dass die Dienstleistungen, auf die sie dringend warten, nicht erledigt werden. (Dirk Niebel [FDP]: Ist der Bund hier eigentlich zuständig?) Die Gewerkschaften haben in diesen Punkten Recht, und Ihre Angebote sind indiskutabel. Es tut mir Leid. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht Peter Weiß. (Beifall bei der CDU/CSU - Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE erheben sich und ziehen sich Streikwesten mit dem Aufdruck „Solidarität - ver.di - Streik“ über - Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Frau Präsidentin! - Zuruf von der FDP: Kasperletheater! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) - Ich bitte Sie, sich wieder hinzusetzen und diese Demonstration nicht im Deutschen Bundestag durchzuführen. (Zurufe von der CDU/CSU: Sonst gehen wir! - Wir sind hier doch nicht in einem Happening! Demonstrationen kann man draußen abhalten. (Dirk Niebel [FDP]: Kasperletheater! Meinen Sie, Sie sehen jetzt besser aus als vorher? - Clemens Binninger [CDU/CSU]: Entweder die setzen sich oder wir gehen!) Ich bitte Sie noch einmal herzlich, die Westen auszuziehen. Hier im Deutschen Bundestag führen wir die Auseinandersetzung mit dem gesprochenen Wort und nicht mit Transparenten oder Westen. Das wissen Sie auch. Deswegen bitte ich Sie herzlich, die Westen auszuziehen oder den Raum zu verlassen und vielleicht vor der Tür zu demonstrieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ein Teil der Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE verlässt den Plenarsaal - Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Lafontaine, das ist die Schweinebande, die hinter dir sitzt! Dazu können Sie sich hier mal äußern! Es ist ja furchtbar! - Zuruf von der LINKEN: Frau Präsidentin, ist das keinen Ordnungsruf wert? - Gegenruf von der CDU/CSU: Sie haben es gerate nötig! - Ernst Burgbacher [FDP]: Kasperletheater! Schämt ihr euch eigentlich nicht? Diese Proleten! - Dirk Niebel [FDP]: Wir sollten eine Fraktionssitzung machen! - Gegenruf des Abg. Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Das ist die doppelte Moral der Herrschaften der CDU/CSU! Haben Sie notiert, was der Herr gesagt hat?)