Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
heute werden zum wiederholten Male nicht nur die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger mit einem Verfahren der Großen Koalition konfrontiert, dass die Prinzipien und politischen Kategorien der Transparenz und der Demokratie ad absurdum führt.
Ich spreche davon, dass wiederholt wenige Stunden vor einer parlamentarischen Beratung, den Mitgliedern des Bundestages umfangreiche Gesetzesentwürfe durch die Koalitionsfraktionen nicht vorliegen. Erst in den Abendstunden des vergangenen Dienstages erreichten die Abgeordneten der Opposition die angekündigten drei Gesetzesentwürfe von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts, zur Änderung des Wahlprüfungsgesetzes und zur Änderung des Bundeswahlgesetzes. Der Antrag der Fraktion DIE LINKE „Wahlmanipulation wirksam verhindern“ lag dagegen rechtzeitig vor.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gesetzesentwürfen durch die Bürgerinnen und Bürger wird durch das Vorgehen der Koalitionsfraktionen verhindert. Auch deshalb ist es wichtig, dass es eine LINKE Fraktion im Parlament gibt, die Aufklärung leistet und für bürgernahe Debatten sorgt.
„Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung in den Ländern sowie in einigen Wahlkreisen ist die Einteilung der Wahlkreise für die Wahl zum Deutschen Bundestag […] nicht mehr im Einklang mit den Grundsätzen für die Wahlkreiseinteilung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 BWG“ und eine Änderung geboten. Diesem Ansinnen ist erstmal nichts Negatives entgegenzusetzen. Dennoch zeigt die späte Einbringung des Entwurfes und der vorgeschlagene Neuzuschnitt der Wahlkreise, dass eine politische Debatte der verwaltungstechnischen untergeordnet wird.
Grund für die teilweise Neueinteilung der Wahlkreise besonders im Osten der Republik beispielsweise ist die nach wie vor anhaltende Abwanderung der Bürgerinnen und Bürger aus diesem Teil Deutschlands. Wir haben in diesem Jahr in diesem Rahmen öfter über den so genannten „Aufbau Ost“ und die Wirtschaftförderung für die neuen Bundesländern diskutiert, auch um Anreize zu schaffen, das Absterben ganzer Landstriche zu stoppen. Wirkliche Alternativen aber zu den gescheiterten Versuchen der vorangegangenen Bundesregierungen, Zuzug und nicht Abzug aus und in den Osten der Republik zu generieren, hat die große Koalition bis heute nicht vorgelegt. Die Folge ist u. a. der Neuzuschnitt der Wahlkreise. Ein Beispiel: In meinem Kreis, in dem ich politisch aktiv bin, dem Salzlandkreis, wirkt sich die Neueinteilung der Wahlkreise in Sachsen-Anhalt besonders stark aus. Der Salzlandkreis wird völlig zerstückelt und auf die Wahlkreise 69, 70 und 72 aufgeteilt. Dabei steht in dem Gesetzentwurf, dass dieser das Gesetz zur Kreisgebietsreform, das am 1. Juli 2007 in Kraft getreten ist, berücksichtigt.
Dem Bundesland Sachsen-Anhalt geht mit der Neueinteilung darüber hinaus ein ganzer Wahlkreis verloren. Zukünftig wird es nicht mehr zehn, sondern nur noch neun Wahlkreise geben. Und weiter heißt es im Gesetzentwurf, dass „ die Toleranzgrenze von plus/minus 15 Prozent durch die neuen Wahlkreise 69 und 72 (plus 17,6 Prozent) überschritten“ wird. Dies wird als vertretbar hingenommen, da dies „durch den zu erwartenden weiteren Bevölkerungsrückgang kompensiert werden“ dürfte. Dies mag statistisch sicher richtig sein, eine politische Strategie jedoch zur Verhinderung dieser Abwanderung und zur Steigerung der Geburtenrate, beispielsweise durch eine wirkliche familien- und kinderfreundliche Politik, lässt die Bundesregierung seit nunmehr zwei Jahren nicht erkennen. Ich möchte aber hier erneut die Gelegenheit nutzen, um für eine solche gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu werben.
Auch der Gesetzesentwurf zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts hält einige brisante Änderungen bereit. Ich möchte mich aber nur auf ein oder zwei Sachverhalte hierin konzentrieren. So zum Beispiel auf die Änderung des Paragraphen zwölf, in dem die Voraussetzungen für eine Wahlbeteiligung für jene deutschen Staatsangehörigen geregelt werden, die sich am Wahltag außerhalb der Bundesrepublik aufhalten. Die Änderung des Paragraphen wird u.a. damit begründet, dass die bisherige Eingrenzung auf die Mitgliedsstaaten des Europarates nicht mehr aufrechterhalten werden könne, da die „Homogenität“ zwischen den Mitgliedsstaaten des Europarates durch dessen Erweiterung von 21 auf 46 Staaten nicht mehr gegeben sei. Es soll also zukünftig ein zeitlich unbegrenztes Wahlrecht für so genannte Auslandsdeutsche eingerichtet werden, die nach dem 23. Mai 1949 und vor ihrem Fortzug mindestens drei Monate ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland eine Wohnung innegehabt haben. Der Gedanke ist so falsch nicht. Jedoch stellt sich dem aufmerksamen Wähler und Demokraten nicht ganz zu unrecht die Frage, warum nicht im gleichen Atemzug das Wahlrecht für seit vielen Jahren in Deutschland lebenden AusländerInnen eingerichtet wird. Dies wäre doch mal eine Änderung, die die demokratische Mitbestimmung durch die Menschen, die sich in diesem Land aufhalten, verbessern und verstärken könnte. Denn das Missverhältnis, einerseits Menschen mit deutschem Pass, die seit Jahrzehnten keinen festen Wohnsitz in der Bundesrepublik ihr Eigen nennen können, das vollständige Wahlrecht zu garantieren und andererseits in Deutschland seit Jahrzehnten fest verwurzelten und verankerten AusländerInnen ein solches Recht auf weiterhin zu verweigern, wird mit diesem Änderungsvorschlag nicht aufgelöst.
Interessant liest sich allerdings auch der Änderungsentwurf der Großkoalitionäre zum Paragraphen 21. Fortan soll es nun nicht mehr möglich sein, dass Parteimitglieder auf den Wahllisten einer anderen Partei kandidieren. Auch die Kandidatur als Doppelmitglied oder das Nachrücken in den Bundestag als Doppelmitglied soll mit dieser Rechtsänderung unterbunden werden. Ich finde diese Änderung gelinde gesagt kleinkariert! Es ist ja bei weitem nicht so, dass die Kandidatur eines Parteimitgliedes auf den Listen einer anderen Partei massenhaft vorkam oder vorkommen würde. Im Übrigen hat die Kandidatur des einen oder der anderen parteigebundenen KandidatIn auf den Listen einer anderen Partei, der Demokratie ja wohl kaum geschadet.
Ich möchte die verbleibende Zeit aber auch dafür nutzen, etwas zum vorliegenden Antrag der Fraktion DIE LINKE „Wahlmanipulation wirksam verhindern“ zu sagen.
Ein fundamentales Prinzip der Demokratie ist die Öffentlichkeit des gesamten Ablaufs von Wahlen. Bei Wahlen per Stimmzettel und Urne kann jede und jeder die Korrektheit des Wahlablaufs von der Aufstellung der Urne bis zur Auszählung und Feststellung des Ergebnisses kontrollieren. Diese Möglichkeit der Kontrolle durch Jedermann wird aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 GG abgeleitet. Werden jedoch Wahlcomputer eingesetzt, was in den Kommunen, aufgrund immer größer werdender Probleme genug Wahlhelfer zu finden, immer öfter der Fall ist, ändert sich die Sachlage völlig: Beim Einsatz von Wahlcomputern werden wesentliche Schritte des Wahlablaufs in das Innere eines Gerätes verlegt und damit der öffentlichen Kontrolle entzogen. Wähler, Öffentlichkeit und selbst Wahlvorstände können nicht mehr nachvollziehen, was im Inneren des Gerätes mit den Stimmen geschieht und wie die Ergebnisermittlung im Einzelnen vor sich geht. Somit wird ein einfaches, erprobtes, evaluiertes und bewährtes System durch ein komplexes, von nur wenigen Einzelnen überprüfbares System ersetzt. Ordnungsgemäßes Funktionieren und Manipulationssicherheit der eingesetzten Wahlcomputer werden zur unabdingbaren Voraussetzung der Integrität einer Wahl. Doch jedem x-beliebigen Menschen, der jemals einen Geldautomaten oder einen PC benutzt hat, ist klar: Das ist absurd. Computer versagen andauernd! Und das weiß auch das Innenministerium, welches ja erst kürzlich mitteilte, dass es keinen absoluten technischen Schutz vor Wahlmanipulationen geben wird. Sehr richtig kann ich dem nur hinzufügen!
Einen klaren Beleg dafür lieferte erst kürzlich der Chaos Computer Club in Hamburg, dem es gelungen war, das für die Hamburg-Wahl am 24. Februar 2008 geplante Digitale-Wahlstift-System zu manipulieren. Hamburg hat als Reaktion darauf von einer Nutzung der Wahlstifte abgesehen. Die SPD war aufgrund des fahrlässig niedrigen Sicherheitsniveaus nicht bereit den Wahlstift länger mitzutragen. Ich hoffe, dass sich die Bundestagsfraktion der SPD dieser Einsicht anschließen und auch deshalb unserem Antrag ihre Zustimmung geben wird.
Florida, das von massiven Wahlmanipulationen mit Wahlcomputern erschüttert wurde, kehrte schon vor einiger Zeit zur Stimmzettelwahl zurück. Die Anschaffung der Wahlcomputer hatte Millionen verschlungen. Aber für die Verantwortlichen war der Weg auf den Schrottplatz für die schicken, hochmodernen Wahlcomputer das kleinere Übel.
Die niederländische Regierung hat ebenfalls die dort flächendeckend eingesetzten NEDAP-Wahlcomputer aufgrund ihrer nachgewiesenen Manipulierbarkeit aus dem Verkehr gezogen. Und was macht die Bundesregierung? Das Innenministerium erteilt von all dem völlig ungerührt neue Bauartzulassungen für NEDAP-Wahlcomputer und suggeriert, das jetzt alle Sicherheitslücken geschlossen seien. Das ist hanebüchen!
Die Zulassung eines Gerätes zur Wahl wird nach §35 BWahlG (und anderen Vorschriften) im Wesentlichen erteilt, wenn die Physikalisch-Technische-Bundesanstalt im Auftrag des Innenministeriums bei der Prüfung eines einzigen Geräts einer Bauart keine Mängel feststellt. Im Gegensatz zu einer Wahl mit Zettel und Urne, wird einfachen BürgerInnen eine Prüfung der Wahlcomputer verwehrt und deren interne Funktionsweise geheim gehalten. Ein einzelnes Gerät kann von einer Gemeinde eingesetzt werden, wenn der Hersteller versichert, dass es baugleich zu einem geprüften Gerät ist. Eine Kontrolle, ob dies der Fall ist oder ob das Gerät möglicherweise bis zu seinem Einsatz von Dritten manipuliert wurde, ist nicht vorgesehen, ist weder für Wahlvorstand, noch für WählerInnen und WahlbeobachterInnen möglich. Die einzige Kontrolle der Geräte findet nach §35 BWahlG durch das Innenministerium und den Hersteller statt. Dies ist im Gegensatz zur Kontrolle durch Jedermann/frau bei Wahl mit Wahlzettel und Urne nicht akzeptabel.
Kolleginnen und Kollegen,
das Prinzip der öffentlichen Kontrolle ist nicht delegierbar, schon gar nicht an das Innenministerium oder den Hersteller der Wahlgeräte. Die demokratische und öffentliche Kontrolle wird durch den Einsatz von Wahlcomputern wesentlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich dem Chaos Computer Club, der sich trotz aller Geheimniskrämerei bei der Aufdeckung der gravierenden Sicherheitsmängel ein großes Verdienst erworben hat, herzlichen für seinen unermüdlichen Einsatz danken.
Unser Antrag, für den ich um Ihre Zustimmung werbe, fordert daher die Bundesregierung auf, durch Änderung des Bundeswahlgesetzes den Einsatz von Wahlcomputern und eine Internetwahl bei Wahlen zum Deutschen Bundestag und des Europäischen Parlaments ausdrücklich auszuschließen und die Bundeswahlgeräteverordnung entsprechend anzupassen.
Wahlcomputer müssen in Deutschland verboten werden, bevor wir auch hier Zustände wie in den USA bekommen. Die hier verwendeten NEDAP-Computer sind mindestens genauso unsicher und manipulierbar, wie die aus den Wahlskandalen in den USA bekannten Systeme. Es liegt in unser aller Interesse, dass Wahlmanipulationen wirksam verhindert werden!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Zu Protokoll gegeben
Wahlcomputer müssen in Deutschland verboten werden
Archiv Linksfraktion -
Rede
von
Jan Korte,