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Verzichten Sie auf die Rente ab 67 - holen Sie diese Kuh vom Eis!

Archiv Linksfraktion - Rede von Matthias W. Birkwald,

Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)

zur Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Klaus Ernst und der Fraktion DIE LINKE „Beschäftigungssituation Älterer, ihre wirtschaftliche und soziale Lage und die Rente ab 67“ (BT-Drs. 17/169, 17/2271 vom 23.06.2010) am 09.07.2010 im Plenum des Deutschen Bundestages

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!


Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Die Linke zur Beschäftigungssituation Älterer bestätigt, was Gewerkschaften, Sozialverbände und wir Linken stets kritisiert haben: Die „Rente erst ab 67“ ist das eine; tatsächlich bis 67 in Lohn und Brot stehen, ist das andere. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Paar Schuhe.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kober, wo sind denn die Arbeitsplätze für Menschen über 60? Die können Sie doch mit der Lupe suchen. Ich sage es noch einmal: Nicht einmal jeder zehnte 64-Jährige ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das Sparpaket für Rentnerinnen und Rentner heißt „Rente erst ab 67“. Diese Rentenkürzung müssen wir verhindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die schwarz-gelbe Bundesregierung hält sich eine heilige Kuh, die nicht angetastet werden darf. Sie nennt sie Beitragssatzstabilität. Nach diesem Glauben dürfen die Beiträge zur Rentenversicherung nicht erhöht werden. Im Gegenteil: Sie sollen gesenkt werden. Wie huldigen die Bundesregierungen von Rot-Grün bis Schwarz-Gelb der heiligen Kuh Beitragssatzstabilität? Sie kürzen die Rente, und das gleich dreifach: Erstens. Es gibt weniger Rente für alle; in 20 Jahren wird das Rentenniveau ein Viertel niedriger sein als 1998. Zweitens. Es wird noch mehr Abschläge geben; noch mehr Menschen werden das völlig unrealistische gesetzliche Renteneintrittsalter von 67 Jahren nicht erreichen. Drittens wird es weniger Rente geben, da die Zeit des Ruhestandes gekürzt wird. ‑ Diese Politik des Rentenklaus lehnen wir Linken ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt wird es ein bisschen kompliziert.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Verheben Sie sich nicht!)

Wer heute in Rente geht, ist durchschnittlich 63 Jahre alt. Das hat Konsequenzen. Wer vor 65 in den Ruhestand geht, erhält weniger Rente. 115 Euro Monat für Monat bis zum Lebensende ‑ so hoch sind die Abschläge schon heute im Durchschnitt. Das heißt bereits jetzt: Ohne die „Rente erst ab 67“, müssen Rentnerinnen und Rentner in den durchschnittlich 18 Jahren, in denen sie Rente erhalten, wegen der Abschläge auf insgesamt 25.000 Euro verzichten. 25.000 Euro weniger, nur weil das Renteneintrittsalter von 65 Jahren von der Hälfte derer, die in Rente gehen, nicht erreicht werden konnte. Und Sie wollen das Renteneintrittsalter ernsthaft anheben? Erklären Sie das einmal den Betroffenen, zum Beispiel der Chemiearbeiterin, dem Elektriker oder dem Bauarbeiter. Die werden Ihnen etwas husten, und das völlig zu Recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Politik der Arbeitszeitverlängerung nützt nur der heiligen Kuh Beitragssatzstabilität. Dazu will ich noch etwas sagen: Beitragssatzstabilität wird allein deshalb von Schwarz-Gelb und Rot-Grün nahezu absolut gesetzt, weil damit die Arbeitskosten niedrig gehalten werden sollen; der Staatssekretär hat das vorhin gesagt. Ein Blick auf die durchschnittlichen Lohnkosten zeigt, warum wir recht entspannt sein können: Deutschland liegt mit 32 Prozent sogenannter Lohn“neben“kosten deutlich unterhalb des europäischen Durchschnitts von 36 Prozent.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die Rechnung würde mich einmal interessieren!)

Deswegen sage ich Ihnen: Die Beitragssatzstabilität darf keine heilige Kuh bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kober und Herr Fuchtel, das Stichwort, das immer genannt wird, ist Generationengerechtigkeit. Ich sage: Das ist kein Problem der Generationengerechtigkeit; denn es würde die Beschäftigten nur wenig kosten, wenn es weiterhin bei der Rente ab 65 bliebe. Den Rentenkürzungen wegen der „Rente erst ab 67“ stehen nicht einmal zwei Weißbier oder drei Pils oder ‑ ich bin Kölner ‑ fünf Kölsch im Monat gegenüber, die sich eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit Durchschnittsverdienst in diesen heißen Sommertagen leisten könnte. Die „Rente ab 67“ wird den Beitrag, den durchschnittlich verdienende Beschäftigte an die Rentenkasse zahlen müssen, um nicht einmal 7 Euro senken. Bevor diese 7 Euro weniger Beitrag für die Rentenkasse für Bier ausgegeben werden können, werden sie im Übrigen durch die 8 Euro Beitragserhöhung für die Krankenkasse, die Herr Rösler will, mehr als aufgebraucht. Heute heißt es im Handelsblatt: Röslers Reform belastet vor allem die Rentner. Kümmern Sie sich bitte einmal darum.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Ganze ist also ein Kuhhandel, und den lehnen wir ab. Im Übrigen bin ich sicher: Jede Enkelin und jeder Enkel wäre bereit, 7 Euro im Monat zu zahlen, damit es für die Großeltern, die Eltern und später auch für sie selbst beim Rentenalter 65 bleiben kann. Da bin ich ganz sicher, Herr Weiß.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Würde des Ruhestands steht und fällt mit der Freiheit von wirtschaftlichen Zwängen. Die „Rente erst ab 67“‑ das gilt auch für die gesamte Ausrichtung der Rentenpolitik der vergangenen 20 Jahre ‑ bringt diese Freiheit zu Fall. Wir alle wissen ganz genau: Wer im Alter zu wenig oder gar kein Geld hat, wird um seinen wohlverdienten Ruhestand gebracht. Wer den Menschen erst ab 67 die volle Rente zugestehen will, befördert Armut und sozialen Abstieg. Die Linke will das Gegenteil. Schauen Sie nach Frankreich. Da ist „Rente erst ab 67“ kein Thema. Die Alternativen dort heißen 60 oder 62. Wir wünschen den französischen Kolleginnen und Kollegen viel Erfolg bei ihrem Kampf um die Rente ab 60.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch für Deutschland gilt der kluge Spruch von Bertolt Brecht: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.Ich komme zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP: Nehmen Sie die Furcht der Menschen vor Altersarmut und sozialem Abstieg ernst. Folgen Sie dem einfachen Grundsatz: Jeder Mensch hat das Recht, im Alter ein Leben in Würde zu führen. ‑ Verzichten Sie auf die Rente ab 67. Holen Sie diese Kuh vom Eis.

(Beifall bei der LINKEN- Pascal Kober (FDP): Und jetzt ein Kölsch!)

Heute Abend.