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Verhöhnung hat die Bevölkerung nicht verdient

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Die Defizite, die die vorherige Rot-Grüne-Regierung verursacht hat, will die Große Koalition dadurch decken, dass sie den Mehrwertsteuersatz um 3 Prozentpunkte erhöht. Aber die Mehrwertsteuer bezahlen Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das heißt, was die Regierung den Konzernen, den Best- und Besserverdienenden geschenkt hat, holt sie sich jetzt von der normalen Bevölkerung zurück, und zwar ohne jeden Ausgleich. Das ist sozial unerträglich. Gregor Gysi in der Debatte zum Haushaltsbegleitgesetz 2006.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungskoalition erklärt zu Recht, dass dem Bund, den Ländern und den Kommunen Geld fehlt, weil die Ausgaben höher sind als die Einnahmen. Sie erklären allerdings nicht, woran das liegt. Sie gehen mit keinem Wort auf die Ursachen ein. Ich darf daran erinnern, dass die vorherige Regierung aus SPD und Grünen die größten Steuersenkungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beschlossen hat und dass deshalb jetzt die Einnahmen fehlen. (Beifall bei der LINKEN) Dabei ist der Körperschaftssteuersatz von 40 auf 25 Prozent gesenkt worden. Ich darf Sie auch an etwas erinnern, was Sie längst vergessen haben. Es gab früher eine Steuer, die Unternehmen auf Verkaufserlöse zahlen mussten. Damals musste zum Beispiel die Deutsche Bank als Kapitalgesellschaft den vollen Steuersatz und der Bäckermeister den halben Steuersatz zahlen. Sie haben das geändert: Jetzt muss der Bäckermeister den vollen Steuersatz zahlen und die Deutsche Bank gar nichts mehr. Das war die Entscheidung der Regierung aus SPD und Grünen. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben zusammen mit der Union und der FDP den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent - also um 11 Prozentpunkte gesenkt. Rechnen Sie sich einmal aus, was Herr Ackermann dadurch an Steuern spart! Das würde mancher in dieser Gesellschaft gerne verdienen. (Beifall bei der LINKEN) Nachdem Sie das alles gemacht haben und die SPD entgegen ihren Versprechungen natürlich keine Vermögensteuer eingeführt hat, haben wir jetzt ein Einnahmedefizit. Nun ist die interessante Frage: Wie decken Sie dieses Defizit? Was haben die Konzerne gemacht? Ihr Versprechen war: Die Senkung der Körperschaftsteuer und alle anderen Senkungen führen zu einer Fülle von Arbeitsplätzen. Die Konzernleitungen verhöhnen die Politik. 30 DAX-Konzerne haben im letzten Jahr einen Gewinnzuwachs um 36 Prozent erzielt. Sie machen Pressekonferenzen, bedanken sich bei der Politik für die wunderbaren Steuersenkungen, geben Riesengewinne bekannt und erklären: Das nutzen wir, um noch einmal 8 000 oder 10 000 Leute zu entlassen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn man so verhöhnt wird, kann man doch wenigstens die Kraft haben, zu sagen: Wenn ihr riesige Gewinne habt und noch zusätzlich Leute entlasst, statt welche einzustellen, verlangen wir von euch wieder gerechte Steuern. Aber auf diese Idee kommt niemand in der SPD und in der Union schon gar nicht; Sie machen gänzlich andere Vorschläge. Die Defizite, die Sie selber verursacht haben, wollen Sie dadurch decken, dass Sie den Mehrwertsteuersatz um 3 Prozentpunkte erhöhen. Aber die Mehrwertsteuer bezahlen Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das heißt, was Sie den Konzernen, den Best- und Besserverdienenden geschenkt haben, holen Sie sich jetzt von der normalen Bevölkerung zurück, und zwar ohne jeden Ausgleich. Das ist sozial unerträglich. (Beifall bei der LINKEN Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ausatmen!) Wir können gern über Tatsachen reden. 10 Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen 57 Prozent des Eigentums und Vermögens. (Volker Kauder (CDU/CSU): Einschließlich der PDS!) Die unteren 50 Prozent der Haushalte besitzen 4 Prozent des Eigentums und Vermögens. Diese 50 Prozent müssen die Erhöhung der Mehrwertsteuer genauso mittragen wie alle anderen, aber es fällt ihnen sichtbar sehr schwer. Deshalb ist es so unerträglich, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. (Beifall bei der LINKEN) Die Versicherungsteuer erhöhen Sie auch gleich um 3 Prozentpunkte. Das ist spannend. Sie reden immer davon, dass die gesetzliche Rente nicht mehr reicht und sich die Leute privat versichern müssen. Was machen Sie aber als Nächstes? Sie erhöhen die Versicherungsteuer, damit sie es sich nicht leisten können. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Auf Altersvorsorge wird keine Steuer gezahlt, Herr Gysi! Nur in der Sachversicherung! Was reden Sie! Keine Ahnung!) Dann sage ich noch etwas zu den kleinen und mittleren Unternehmen. (Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Das ist kein Marktplatz!) Es gibt sehr viele kleine und mittlere Unternehmen, die gerade am Rande ihrer Existenz sind. Wenn die ihre Produkte mit der um 3 Prozentpunkte erhöhten Mehrwertsteuer verkaufen müssen, verkaufen sie weniger. Dann kommt es zu Insolvenzen und in der Folge wieder zu mehr Arbeitslosen. Ich höre schon, wie Sie dann wieder versuchen, die Sätze beim ALG II zu reduzieren. Der Weg, den Sie hier gehen, ist der falsche Weg. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP Zuruf von der CDU/CSU: Wie läuft das in Berlin? Erklären Sie mal, wie das in Berlin läuft!) Heute Abend Sie trennen das so schön soll noch so ein Gesetz der Koalition beschlossen werden. Sie machen das nicht einmal am Tag, Sie machen das mehrfach, wenn Sie die Leute schröpfen wollen. (Norbert Barthle (CDU/CSU): Holen Sie mal Luft!) Heute Abend geht es zum Beispiel um die Senkung der Pendlerpauschale. Das bedeutet, dass man erst ab einem Weg von 21 Kilometern etwas geltend machen kann. Das heißt, 51 Prozent derjenigen, die heute in den Genuss der Pendlerpauschale kommen, sollen anschließend nichts mehr erhalten und 49 Prozent werden deutlich weniger erhalten und das in einer Zeit, in der die Union ständig vom flexiblen Arbeitsmarkt redet. Der flexible Arbeitsmarkt ist familienzerstörend. Sie sagen aber: Die Leute müssen für einen Arbeitsplatz oder Ausbildungsplatz weit fahren. Aber die Pendlerpauschale, also die Erstattung der damit verbundenen Kosten, reduzieren Sie. In der Föderalismusdebatte sagen Sie auch noch: Wir machen 16 verschiedene Bildungssysteme in Deutschland. Dann handeln eben die Eltern verantwortungslos, wenn sie mit schulpflichtigen Kindern das Bundesland wechseln, um einer neuen Arbeit nachgehen zu können. Sie müssen doch wenigstens Logik in Ihre Politik bringen! Das eine muss zu dem anderen passen! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Koppelin (FDP)) Dabei belassen Sie es nicht. Sie senken den Sparerfreibetrag. Sie halbieren ihn, damit auch die Leute mit kleinen Sparguthaben endlich Steuern bezahlen müssen. (Zuruf von der SPD: Über 100 000 Mark!) Sie senken die Ausgaben beim Kindergeld, indem Sie festlegen: Auszubildende junge Erwachsene bekommen es nicht mehr. Dann führen Sie noch sehr sozialdemokratisch eine Reichensteuer ein. Lassen Sie uns kurz über die Reichensteuer reden! Einkommen von Unternehmen und Selbstständigen zählen da gar nicht. Es muss sich also um jemanden handeln, der fest angestellt ist und mehr als 250 000 Euro im Jahr verdient; falls es um Verheiratete geht, müssen beide zusammen mehr als 500 000 Euro verdienen, und zwar nach Abzug von Steuerfreibeträgen etc. (Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): „Zu versteuerndes Einkommen“ heißt das!) Dazu muss man den Leuten Folgendes sagen: (Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Das kann man ganz einfach ausdrücken! Keine Ahnung!) Wenn ein Einzelner nach Abzug der Steuerfreibeträge aus einem festen Anstellungsverhältnis meinetwegen 260 000 Euro im Jahr verdient, dann verlangen Sie nur für 10 000 Euro eine um 3 Prozentpunkte höhere Steuer. (Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Gysi muss einen Steuergrundkurs machen! Und Lafontaine! Alle beide!) Es gibt eine Art der Verhöhnung, die die Bevölkerung nicht verdient hat. (Beifall bei der LINKEN) Entweder Sie machen eine richtige Reichensteuer oder Sie lassen es bleiben. (Anhaltender Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)