Die Auswirkung der Kommunistenverfolgung in der Frühphase der Bundesrepublik sind noch heute groß. Berufsverbote aufgrund "kommunistischer Betätigungen" wirken sich auf Renten vieler Betroffene aus. Meldauflagen und Polizeiausicht nach Verbüßung einer Haufstrafe im Zuge des KPD-Verbotes haben das Gleichgewicht zwischen Bürgerrechten und Sicherheit nachhaltig ins Wanken gebracht. Die Linke will Unrecht aufarbeiten und einen dementsprechenden Antrag formuliert.
Sehr geehrter Herr Präsident,werte Kolleginnen und Kollegen,
wir debattieren heute erneut über ein geschichtspolitisches Thema - über das justizielle und politische Unrecht zur Zeit des Kalten Krieges. Über Unrecht, das Menschen widerfahren ist, die sich politisch in einer freien demokratischen Gesellschaft organisiert und engagiert haben und dafür verfolgt und verurteilt wurden. Dieses Unrecht und die Geschehnisse vor 50 Jahren wirken bis heute nach. Auch deshalb hat die Linksfraktion den Antrag „Unrecht des Kalten Krieges wiedergutmachen“ eingebracht und hofft, auch heute auf eine qualifizierte, ehrliche und vor allem redliche Debatte. Ich betone dies, da in der vorausgegangenen Debatte über die Rehabilitierung von so genannten „Kriegsverrätern“ eine faire Auseinandersetzung ausgeblieben war und Äußerungen der Union Einstellungen und geistige Haltungen zu Tage förderten, die uns in die Zeit des Kalten Krieges zurückversetzten. Dies ist nicht der Ansatz der Linksfraktion. Vielmehr geht es uns darum, Unrecht aufzuarbeiten und Recht zu schaffen, das Gräben und den Kalten Krieg überwindet.
Dass das Thema „Kalter Krieg“ noch wie vor zu aktuellen Debatten auch außerhalb des Bundestages, also auch in Medien und Gesellschaft, führt, zeigt die Tatsache, dass vor zwei Tagen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der Film „Als der Staat rot sah“ gesendet wurde. Hermann G. Abmayr, der Autor und Journalist des 45minütigen Streifens und selbst nicht Opfer des Kalten Krieges, hat, wie ich meine, eine sehr gute Dokumentation über die Ursachen und Folgen des Verbotes der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) abgeliefert. Ich kann nur jedem raten, sich diesen Film anzuschauen oder bei den jeweiligen Länderanstalten der ARD anzurufen und als Konsument darum zu bitten, den Film in allen dritten Programmen zu senden. Und vielleicht dann nicht erst um 22 Uhr, sondern direkt nach der Tagesschau um 20.15 Uhr.
Ausschlaggebend für unseren Antrag waren jedoch nicht (nur) das Schauen von Fernsehdokumentationen, sondern zweierlei Tatsachen. Zum einen, dass noch heute Menschen unter der justiziellen und politischen Verfolgung der 50er und 60er Jahre zu leiden haben. Zum zweiten ist der Antrag Ergebnis einer Anhörung meiner Fraktion vor fast einem Jahr hier im Bundestag. Am 1. Juni 2006 lud die Linksfraktion zur Anhörung „50 Jahre KPD-Verbot“ in das Reichstagsgebäude ein.
Eine Geschichte am Rande:
Wir hatten zu der Anhörung den letzten noch lebenden Bundestagsabgeordneten der ersten Bundestagslegislatur, Herrn Fritz Rische (KPD) eingeladen. Im Zuge der Vorbereitungen stellten wir plötzlich fest, dass Herr Rische nie im Besitz eines so genannten Ehemaligenausweises war, wie es für ausgeschiedene Bundestagsabgeordnete üblich ist. Der Ausweis wurde ihm als Kommunist schlichtweg verweigert. Also haben wir Kontakt zum Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert aufgenommen und ihn gebeten, dieses „Versäumnis“ nachzuholen. Fritz Rische konnte gesundheitsbedingt dann leider nicht nach Berlin reisen, erhielt aber doch, nach über 50 Jahren, den angesprochenen Ausweis. Dies ist ein Zeichen, wenn auch nur symbolischer Natur, der Aufarbeitung der Geschichte des Kalten Krieges und dafür möchte ich mich herzlich beim Bundestagspräsidenten bedanken.
Doch zurück zum Antrag.
Es ist an der Zeit, bundesdeutsche Geschichte aufzuarbeiten. Dazu gehört eben auch, ein Kapitel zu beleuchten, das bisher kaum Beachtung gefunden hat: Die politische Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten und anderen politisch aktiven Linksoppositionellen in der frühen Bundesrepublik der 50er und 60er durch bundesdeutsche Behörden und Gerichte aufgrund ihrer politischen Einstellungen und gewaltfreien Betätigung ist ein dunkler Fleck im Geschichtsbuch der Bundesrepublik. Ja, auch in der Bundesrepublik gab es in den ersten beiden Jahrzehnten politische Verfolgung und politische Ungerechtigkeiten. Betroffen waren in erster Linie westdeutsche Kommunistinnen und Kommunisten, darunter viele Widerstandskämpfer, die unter der Nazidiktatur lange Jahre in KZ- und Zuchthaushaft zubrachten. Der Kreis der Verfolgten ging aber weit über die benannten Personen hinaus. Verfolgt wurden auch Menschen, die Post aus der DDR bekamen, deutsch-deutsche Kontakte pflegten oder Menschen, die gegen die Wiederbewaffnung der BRD stritten.
Ein paar Zahlen seien genannt, um das Ausmaß zu verdeutlichen. Diese sind im Übrigen durch Historiker und Juristen zusammengetragen worden und wurden nie angezweifelt - von keiner Seite. In der Zeit von 1951 bis 1968 gab es staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen 200 000 Personen mit über 10 000 Verurteilungen, teils zu mehrmonatigen oder mehrjährigen Haftstrafen. Allein nach dem Verbot der KPD 1956 sind jährlich bis zu 14 000 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren anhängig gewesen, in denen bis zu 500 Kommunisten und Sympathisanten verurteilt wurden. Nach Haftverbüßung folgten Einschränkungen der staatsbürgerlichen Rechte, entwürdigende Polizeiaufsicht, Pass- und Führerscheinentzug. Auch Berufsverbote waren die Folge, was bis heute Auswirkungen auf die Rentenhöhe der betroffenen Personen hat.
Die Illegalisierung der KPD 1956 auf Antrag der Bundesregierung Adenauer führte zu weiteren Kriminalisierungswellen auch gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und Mitglieder der SPD, die alles andere, nur keine Kommunisten waren. So wurden etwa das „Friedenskomitee“ oder die „Aktion Frohe Ferien für alle Kinder“ als Ersatz- oder Tarnorganisationen der verbotenen KPD verfolgt. In sieben Jahren, zwischen 1951 und 1958, ergingen 80 Verbote gegen Organisationen oder Bündnisgruppen, die nicht dem Parteienprivileg nach Art. 21 GG unterlagen. Darunter auch, nur um das hier plastisch zu zeigen, der Demokratische Frauenbund und der Demokratische Kulturbund.
Dass diese Ermittlungsverfahren in einer Atmosphäre der antikommunistischen Hysterie geführt wurden, erkennt auch Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, an. Sie sagte, dass es „wahrlich kein Ausdruck besonderer demokratischer Souveränität“ gewesen sei, die KPD zu verbieten. Praktisch die gesamte politische Betätigung der kommunistisch orientierten Linken und ihrer Bündnispartner wurde in jener Zeit kriminalisiert und aus dem öffentlichen Willensbildungsprozess weitgehend ausgeschaltet, so fasste es der Rechtswissenschaftler Alexander von Brünneck zusammen. Besonders bedrückend ist in diesem Zusammenhang, dass Menschen, die bereits unter den Nazis verurteilt und verfolgt wurden, nun in der Bundesrepublik erneut verfolgt wurden und oftmals durch Richter, die schon vor 1945 Urteile sprachen, verurteilt oder durch Staatsanwälte die bereits im Dritten Reich tätig waren, juristisch verfolgt wurden. Gleichzeitig, und dies gehört eben auch zur Aufarbeitung der Geschichte, saßen viele der alten Nazi-Eliten wieder in Amt und Würden - bis ins Kanzleramt. Ich nenne hier nur den Namen Hans Globke. Der Umgang mit den alten Eliten der nationalsozialistischen Herrschaft und der Antikommunismus in Deutschland sind bis heute eine europäische Einmaligkeit. Alexander von Brünneck schrieb hierzu: „Mit dem Potsdamer Abkommen war eine bestimmte Form der politischen Erneuerung Deutschlands zwischen den Siegermächten vereinbart worden, die eine antifaschistische Zielrichtung hatte und die Mitwirkung der Kommunisten einschloss. Dieser Ausgangspunkt der politischen Entwicklung im Nachkriegsdeutschland wurde in der Bundesrepublik mit Eliminierung der KPD aus dem legalen politischen Leben endgültig verlassen“. Kritik am Antikommunismus und der Verfolgung linker Oppositioneller wurde aber nicht nur von Links oder von Wissenschaftlern geäußert. Auch Personen, wie der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann übten Kritik. Er schrieb 1953 in der Gesamtdeutschen Rundschau: „Wenn wir den Frieden sichern wollen, müssen wir der antisowjetischen Hetze ebenso wehren wie der Hetze gegen irgendein westliches Volk, muss eine Bresche geschlagen werden in den blinden und pauschalen Antikommunismus, diese kriegsträchtige Mentalität bürgerlich-pharisäischer Selbstgerechtigkeit“. Für ihn waren also der hysterische Antikommunismus in der BRD unter Adenauer und die Ermittlungsverfahren gegen tausende nicht vertretbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dieses Unrecht darf nie wieder in unserem Lande passieren. Die beste Prävention von erneuter Verfolgung aufgrund politischer Einstellung und Betätigung ist, dass das begangene Unrecht als solches gekennzeichnet und aufgehoben wird. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, geeignete Formen zu finden, die Opfer des Kalten Krieges zu rehabilitieren und unverzüglich Regelungen zu treffen, die den betroffenen Menschen eine materielle Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht gewähren. Schließlich muss es auch um eine politische Rehabilitierung gehen, gerade vor dem Hintergrund, dass die Betroffenen für ein friedliches Europa und eine friedliche Zukunft stritten und somit am Aufbau der Bundesrepublik aktiv mitwirken wollten. Dies kann nicht weiter kriminalisiert werden, sondern verdient Anerkennung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.