Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihre Forderung im Titel der Aktuellen Stunde haben wir in den letzten Wochen nicht selten vernommen: vom Bauernverband, von den Freien Bauern und anderen. Sie möchten eine Erhöhung der Lebensmittelproduktion, verbinden diesen Wunsch mit der extensiven Nutzung landwirtschaftlicher Nutzflächen und emotionalisieren dies damit, Hunger vermeiden zu wollen. Ziel ist Beharrung im Status quo.
Weder vermeidet man mit diesem Dreh irgendwelche Versorgungsengpässe, noch entspricht dieses Ansinnen den Grundsätzen einer nachhaltigen Landwirtschaft. Im Gegenteil: Ganz schamlos nutzt die Agrarlobby den Krieg in Osteuropa für ihre Interessen. Diese möchte die Produktion intensivieren, den Ökolandbau schwächen, Nutzflächen weiter ausdehnen und eine naturverträgliche Landwirtschaft eigentlich nicht mehr stattfinden lassen.
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Der Krieg in der Ukraine hat die europäischen und weltweiten Probleme der Lebensmittelversorgung nicht unvermittelt erzeugt. Versorgungsschwierigkeiten in der Ernährung haben wir seit Langem vor Augen, Stichwort „Welthungerhilfe“; sonst würde es die nicht geben. Erst jetzt, wo Europa betroffen ist, fangen viele an, sich Sorgen zu machen. Aber was ist mit dem Dauerkrieg im Jemen und in Syrien? Was ist mit der existenziellen Dürrekrise in Afrika? Was ist mit der Hitzewelle in Indien? Was ist mit dem Abtragen landwirtschaftlicher Anbaugebiete in Küstenregionen, in denen der Anstieg des Meeresspiegels die Lebensgrundlage bedroht?
Ja, meine Damen und Herren, Sorgen machen müssen wir uns durchaus, und zwar große, und das schon seit längerer Zeit, aber nicht wegen der Stilllegung der Ackerflächen in europäischen Regionen. Die Ursachen liegen in der Art des Wirtschaftens, in Spekulation, ungleicher Ressourcenverteilung und falscher Subventionspolitik.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Anne Monika Spallek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Linke hat immer gefordert, dass die weitgehende Sicherung der Ernährung aus eigener Produktion ein wesentliches Ziel sozialer und ökologisch gerechter Landwirtschaftspolitik sein muss,
(Beifall bei der LINKEN)
aber nicht auf Kosten der ärmeren Länder der Welt und nicht zulasten der Ökologie und ebenso wenig auf dem Rücken der Bevölkerungsgruppen mit geringen Einkommen.
(Beifall bei der LINKEN – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Bei jedem Halbsatz Beifall!)
Verwerflich ist die profitorientierte Produktion landwirtschaftlicher Güter; ihre Zwillingsschwester heißt „Spekulation mit Nahrungsmitteln“ – eine börsennotierte elende Plusmacherei mit der Ernährung zulasten der Verbraucher.
Das Internationale Expertengremium für nachhaltige Lebensmittelsysteme berichtete im Mai 2022, dass sich die Lebensmittelpreise nun schon zum dritten Mal in den letzten 15 Jahren im Schatten von ökonomischen und politischen Krisen deutlich verteuert haben. Menschen in Deutschland und in der Welt leiden unter hohen Lebensmittelpreisen, und gleichzeitig haben deutsche Düngemittelhersteller ihren Gewinn in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 vervierfacht.
(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das ist die Wahrheit! Das ist die Wahrheit! – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD – Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Ja! Das ist die Wahrheit! Ich weiß, das hört man ungern in den Reihen da! Ist aber so! – Gegenruf des Abg. Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Was ist denn Ihre Antwort? Staatliche Preise!)
Die Gründe dafür liegen in der wirtschaftlichen Abhängigkeit von großen Unternehmen und nicht zuletzt in der Spekulation mit Nahrungsmitteln. Teuerungsraten bei Getreide von 54 Prozent sind derzeit zu verzeichnen. Und selbst wenn man den Anteil des Krieges in Osteuropa herausrechnen würde: Es bleibt eine erhebliche Spekulationsgröße übrig, die seit der Finanzkrise 2008 in mehreren Wellen ursächlich ist für die Preisanstiege. Dem begegnet man nicht mit Produktionssteigerung und zusätzlichen Flächenausbeutungen, sondern mit der Beseitigung der Motive für die Spekulation.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Und ein weiterer Aspekt kommt hinzu. Der „Spiegel“ zitierte im März 2022 aus einer Studie der Umweltorganisation „Transport & Environment“: In Europa werden „täglich 10 000 Tonnen Weizen“ zu Ethanol verarbeitet – umgerechnet 15 Millionen Brote, um bei dem Beispiel mit den Nahrungsmitteln zu bleiben. Meine Damen und Herren, hier muss angesetzt werden. Alles andere wäre verantwortungslos.
(Beifall bei der LINKEN)
Derzeit hungern 800 Millionen Menschen weltweit; aber nur 50 Prozent der weltweiten Getreideernte dienen der menschlichen Ernährung. Die Grundfrage „Teller statt Tank?“ ist hier zu stellen, und sie muss dann auch landwirtschaftlich und ökonomisch vernünftig beantwortet werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Es geht also keineswegs darum, die ökonomisch gesättigten und monopolartig aufgeteilten Lebensmittelmärkte weiter mit zusätzlichen und oft auch unnötigen Waren zu überschwemmen. Heute früh haben wir im Agrarausschuss noch einmal ganz deutlich gesagt: Es gibt kein Mengen-, sondern ein Verteilungsproblem und ein Bezahlungsproblem. Es muss dafür gesorgt werden, dass alle Menschen sich ausreichend gesunde Lebensmittel auch leisten können. Es darf kein Weiter-so geben! Das Versorgungs-, Verteilungs- und Überlebensdilemma darf nicht noch manifestiert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, Die Linke streitet dafür, eine zeitgemäße, ressourcenschonende Agrar- und Ernährungspolitik zu entwickeln. Das geht nur im Zusammenspiel mit sozialer Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit, und zwar mit dem von uns Linken vorgeschlagenen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)