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Transparanz beim Sachverständigenrat der Bundesregierung

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi in der Debatte über die Änderung des Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Es geht hier um eine wichtige Frage für unsere Demokratie, nämlich um den Grad an Öffentlichkeit und an Transparenz in unserer Gesellschaft. Seit 1963 gibt es einen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Er gilt so ein bisschen als heilig. Immer, wenn er sein Gutachten vorstellt, wird davon in der Tagesschau oder in der heute-Sendung berichtet, und die jeweilige Bundeskanzlerin bzw. der jeweilige Bundeskanzler und die entsprechenden Bundesminister sind schwer beeindruckt.

Wenn man sich die Gutachten dieses Rates anschaut, stellt man Folgendes fest: In der Zeit, als der Zeitgeist von Keynes bestimmt war, also die Meinung herrschte, dass man darauf achten muss, dass die Nachfrage in der Gesellschaft stimmt, indem gute Löhne, hohe Sozialleistungen und gute Renten gezahlt werden, damit entsprechend gekauft und Dienstleistungen in Anspruch genommen werden und kleine Unternehmen gut von der Binnenwirtschaft leben können, folgte auch der Sachverständigenrat dieser Meinung.

Als sich dann der Zeitgeist änderte und die herrschende Lehrmeinung plötzlich auf Angebotsorientierung abhob, als es also darum ging, die Preisstruktur zu verändern, und deshalb Löhne und Renten sowie Sozialleistungen real sinken sollten, änderte sich auch die Meinung des Sachverständigenrates. Er diskutierte genau im Sinne des nun herrschenden Zeitgeistes und gab Orientierungen dieser Art.

Das ist ja etwas, was mich ärgern kann, aber mich nichts weiter angeht;

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Weil es nicht stimmt, Herr Gysi!)

denn der Sachverständigenrat ist ja unabhängig und soll seine diesbezüglichen Standpunkte kundtun. Das Problem ist ein anderes: Das Problem ist, dass die Mitglieder von der Bundesregierung berufen werden - jeweils fünf für fünf Jahre -, aber man nicht weiß, von wem sie für welche Zwecke eigentlich noch bezahlt werden. Das ist das eigentliche Problem.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Nun haben wir vorgeschlagen, das entsprechende Gesetz nur so zu ändern, dass die Mitglieder dieses Sachverständigenrates verpflichtet werden, Einkünfte aus solchen Tätigkeiten bekannt zu geben, bei denen es zu Interessenkonflikten kommen könnte. Dazu möchte ich Ihnen drei Beispiele nennen.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Professor Bert Rürup, tritt häufig als Referent für Versicherungs- und Finanzdienstleister wie die Credit Suisse und MLP AG auf. Herr Rürup ist auch Vorsitzender des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und Demographischer Wandel, das vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft finanziert wird. Das muss doch die Bevölkerung wissen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wenn man nämlich seine Meinung hört, weiß man dann, weshalb er bestimmte Standpunkte vertritt.

(Dirk Niebel (FDP): Von wem werden Sie denn finanziert?)

Professor Franz gehört auch diesem von der Versicherungswirtschaft gesponserten Institut an.
Frau Professor Weder di Mauro ist Mitglied des Aufsichtsrates der Ergo-Versicherungsgruppe und Mitglied im Verwaltungsrat des Pharmakonzerns Hoffmann-La-Roche.

Das kann ja alles sein. Verstehen Sie: Ich möchte nur, dass das bekannt gegeben wird. Wir Bundestagsabgeordnete sind verpflichtet, alle Nebeneinkünfte im Interesse der Transparenz und der Öffentlichkeit bekannt zu geben.

(Dirk Niebel (FDP): Wie ist denn das mit der Transparenz bei euch?)

Was spricht denn bei so gut bezahlten Sachverständigen dagegen, dass sie verpflichtet werden, das bekannt zu geben? Aus meiner Sicht gar nichts.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Oskar Lafontaine geht ja noch einen Schritt weiter und fordert, dass man auch bei Fernsehtalkshows unter die Professorennamen schreibt, von wem sie bezahlt werden. Dann wüsste man nämlich sofort, warum sie wie reden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Aber darum geht es hier gar nicht. Ich will das gar nicht einführen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Dann würde man bei Ihnen und Herrn Lafontaine gar nicht fertig werden!)

Aber ganz klar, ganz dicke. Da brauchen Sie sich gar keine Sorgen zu machen. Sie brauchen da gar nichts zu sagen; darum kümmern sich immer schon alle anderen.
Ich will nun auf etwas anderes hinaus: Mir ist wichtig, dass wir hier Transparenz einführen, und zwar deshalb, weil ich wissen möchte, ob aus der Art der Bezahlung auch eine bestimmte Meinung resultiert. Wenn das so ist, handelt es sich nämlich nicht mehr um unabhängige Sachverständige.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wenn ich von der Versicherungswirtschaft bezahlt werde, ist doch klar, dass ich keine Gutachten gegen die Interessen der Versicherungswirtschaft erstelle. So einfach ist das. Deshalb halte ich unser Anliegen für völlig angemessen und für völlig richtig.

Ich habe zwar vorhin gesagt, dass die Sachverständigen in der Regel in Richtung des neoliberalen Zeitgeistes agieren, bin mir aber bewusst, dass das zum Beispiel für Professor Bofinger nicht stimmt. Er argumentiert nach wie vor eher nachfrageorientiert. Aber er ist der Einzige von den Fünfen, der diese Auffassung vertritt. Die vier anderen vertreten eine andere Auffassung.

(Dirk Niebel (FDP): Müssen Journalisten das dann auch veröffentlichen, wenn sie zum Beispiel moderieren?)

Journalisten? Ich fände es nicht schlecht; mir ist das aber völlig wurscht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Bei Journalisten kommt es immer darauf an. Das wäre aber ein anderes Thema. Damit beschäftigen wir uns heute nicht. Wir können uns aber gerne einmal darüber unterhalten, ob jemand, der eine Talkshow leitet, offenlegen soll, woher er sonst noch Geld bekommt.

(Dirk Niebel (FDP): Auch ganz spannend!)

Ich habe nichts dagegen.

Entweder wollen wir in diesen Fragen Transparenz, oder wir wollen sie nicht. Es hat so lange gedauert, bis der Bundestag dazu bereit war, sich diesbezüglich selbst Auflagen zu machen. Nun haben wir sie, und damit haben wir auch die moralische Legitimation, Gleiches von anderen zu verlangen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich möchte wissen, von wem die fünf Sachverständigen, die so bedeutend auftreten und die die gesamtwirtschaftliche Entwicklung einschätzen - fast alle Bundesregierungen richten sich häufig nach ihren Urteilen, abgesehen davon, dass sie diese im laufenden Jahr zwei- bis dreimal korrigieren; aber dazu will ich jetzt nichts sagen -, ansonsten bezahlt werden. Das schafft Klarheit. Dann kann man ihre Urteile sehr viel besser einordnen. Ich finde, das ist nicht zu viel verlangt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich bin sehr gespannt auf Ihre Gegenargumente. Warum stimmen Sie unserem Gesetzentwurf nicht einfach zu? Den fünf Sachverständigen tut es nur ein bisschen weh. Außerdem wird niemand gezwungen, Mitglied des Sachverständigenrates zu werden. Wenn sie genug Geld von anderer Seite bekommen, dann lassen sie es einfach bleiben. Das wäre auch keine Katastrophe. Dann bekommen wir vielleicht fünf ungebundene Sachverständige. Genau die brauchen wir.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))