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Studentischer Wohnraum jetzt!

Archiv Linksfraktion - Rede von Nicole Gohlke,

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Immo­bilienfirmen und Finanzhäuser haben längst herausge­funden, wie man jetzt auch noch den Studierenden das Geld aus der Tasche ziehen kann. Studentischer Wohn­raum wurde als Anlageobjekt entdeckt. Der Immobilien­dienstleister Savills beispielweise wirbt folgendermaßen um Kunden – ich zitiere –:

In den nächsten Jahren wird die Zahl der Studieren­den … deutlich ansteigen. Da die öffentlichen Wohnheimplätze … bereits heute knapp sind, dürfte sich die Situation … weiter verschärfen. … Inso­fern ergibt sich hier Potenzial für private Investo­ren.

Die privaten Investoren aber verlangen Mieten von 400 Euro und mehr für ein kleines Zimmer. Für die meisten Studierenden ist das völlig unbezahlbar, und es ist schlicht eine Unverschämtheit.

(Beifall bei der LINKEN)

In München standen im Herbst des letzten Jahres über 750 Studierende auf der Suche nach finanzierbaren Alternativen Schlange, als das Studentenwerk gerade einmal 150 Wohnheimplätze verloste. Studierende wer­den in Turnhallen oder in Containern untergebracht, Tausende nehmen in Kauf, jeden Tag mehrere Stunden zu ihren Unis zu pendeln. Diejenigen, die einen Studien­platz in ihrer Heimatstadt bekommen haben, bleiben gleich bei den Eltern wohnen und dürfen sich dann da­rüber freuen, dass ihr neuer Lebensabschnitt im alten Kinderzimmer beginnt. Für die Wohnungsnot und die explodierenden Wohnkosten gibt es allerdings politische Gründe.

Erstens. Die Mieten steigen vor allem in städtischen Wohngebieten und an Hochschulstandorten, weil diese besonders von dem Umstrukturierungsprozess betroffen sind, der als Gentrifizierung bekannt ist. Für Renditeaus­sichten von privaten Investoren werden Preise in die Höhe getrieben. Menschen, die sich das nicht leisten können, werden aus den Wohnvierteln vertrieben. Die Innenstädte werden zu Konsummeilen für die obere Preisklasse.

Zweitens. Studierende haben im Monat durchschnitt­lich 830 Euro zur Verfügung, 20 Prozent von ihnen weniger als 600 Euro. Die Miete ist mittlerweile der mit Abstand größte Kostenpunkt. Fast die Hälfte ihres Gel­des geben die Studierenden für die Miete aus. Für die meisten von ihnen geht das schlicht an die Existenz.

Ein weiterer Grund ist die sinkende öffentliche Förde­rung von studentischem Wohnraum. 1991 gab es bun­desweit noch 246 000 Plätze in Studentenwohnheimen. 2011, also 20 Jahre später, gab es 20 000 Plätze weniger, obwohl die Studierendenzahl im selben Zeitraum um 34 Prozent gewachsen ist. In Bremen bekommen auf diese Art und Weise jetzt nicht einmal mehr 7 Prozent der Studierenden einen Wohnheimplatz. Und was macht die Bundesregierung? Nichts! Es gab nicht eine einzige Maßnahme aus dem Bildungsministerium. Der Runde Tisch „Wohnraum für Studierende“ von Minister Ramsauer blieb ergebnislos.

(Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister: So ein Unfug! Sie müssen mehr Zeitung lesen! Dann wissen Sie, das ist Quatsch!)

Bei den aktuellen Nachverhandlungen zum Hochschul­pakt spielte die soziale Infrastruktur keine Rolle.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Feist?

Nicole Gohlke (DIE LINKE):

Ja, gerne.

Dr. Thomas Feist (CDU/CSU):

Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen. – Natürlich ist es in München oder in Bremen schlimm. Könnten Sie sich vorstellen, unter der Überschrift „Studentisches Wohnen“ am Schluss Ihrer Rede noch ein flammendes Plädoyer für die hervorragenden Universitäten in Ost­deutschland, speziell am Standort Leipzig, zu halten?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nicole Gohlke (DIE LINKE):

Ich habe das Gefühl, dass Sie das Thema dieser De­batte nicht ganz verstanden haben. Wir reden gerade nämlich nicht über die Hochschulen, sondern wir reden über studentischen Wohnraum. Natürlich ist es bekannt, dass es an verschiedenen Hochschulstandorten unter­schiedlich ausschaut. Aber wir reden doch hier über die Verantwortung des Bundes. In der Verantwortung des Bundes liegt es ja auch, gleichwertige Lebensverhält­nisse im Bundesgebiet herzustellen. Ich verstehe eigent­lich nicht, warum manche Studierende 400 Euro Miete und mehr zahlen sollen und andere nicht. Was hat das zum Beispiel mit Fairness beim BAföG zu tun?

(Beifall bei der LINKEN – Sebastian Körber [FDP]: Sie haben doch im Land Berlin mitre­giert! Was haben Sie denn da gemacht?)

Die Bundesregierung schiebt alles auf die Länder. Man könnte in diesem Fall auch sagen: Sie schiebt alles auf die Hochschulen. Aber der Bund ist in der Verant­wortung, eine soziale Infrastruktur zu schaffen, die es allen ermöglicht, ein Studium aufzunehmen. Wenn die Koalition jetzt einwendet, dass das nicht geht, dann muss man eben die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen: Kippen Sie endlich das Kooperations­verbot!

(Beifall bei der LINKEN)

Ohne die sozialen Voraussetzungen entscheidet am Ende der Geldbeutel, und es entscheiden nicht die Nei­gung oder die Interessen darüber, ob man sich ein Stu­dium an der LMU in München, an der HU in Berlin oder an der TU in Darmstadt überhaupt leisten kann. Das zu verändern, das wäre Aufgabe der Bundesregierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke fordert eine Offensive im sozialen Woh­nungsbau und eine soziale Mietrechtsreform. Wir wollen die Mieten deckeln. Die Kommunen müssen das Recht bekommen, Höchstmieten festzulegen, um den Preisan­stieg zu stoppen. Der Verkauf öffentlicher Wohnungen muss gestoppt und die Rekommunalisierung bereits ver­kaufter Bestände unterstützt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke will eine Wohnungsoffensive für Studie­rende. Mit einem Bund-Länder-Programm müssen neue Wohnheimplätze finanziert werden. In den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften muss bezahlbarer Wohn­raum für Studierende geschaffen werden. Wir brauchen natürlich eine BAföG-Reform: Der Fördersatz für Wohnkosten muss erhöht werden und dynamisch an die durchschnittliche Mietsteigerungsrate angepasst werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Gohlke, ich unterbreche Sie ungern; aber Sie müssen jetzt einen Punkt setzen.

Nicole Gohlke (DIE LINKE):

Genau. Ich komme zum Schluss. – Die Bundesregie­rung muss endlich begreifen: Es gibt ein Menschenrecht auf Wohnen und keines auf Spekulation und Mietwu­cher.

(Petra Müller [Aachen] [FDP]: Wenn man keine Wohnungen baut, dann bekommt man auch keine Wohnungen!)

Wenn man keinen bezahlbaren Wohnraum schafft, darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen sich ihn einfach irgendwann nehmen. Dazu muss man dann auch wohl den Studierenden raten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die sollen alle mal nach Ost­deutschland kommen! Es ist dort gar nicht so schlecht, wie viele denken, Frau Gohlke!)