Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Immobilienfirmen und Finanzhäuser haben längst herausgefunden, wie man jetzt auch noch den Studierenden das Geld aus der Tasche ziehen kann. Studentischer Wohnraum wurde als Anlageobjekt entdeckt. Der Immobiliendienstleister Savills beispielweise wirbt folgendermaßen um Kunden – ich zitiere –:
In den nächsten Jahren wird die Zahl der Studierenden … deutlich ansteigen. Da die öffentlichen Wohnheimplätze … bereits heute knapp sind, dürfte sich die Situation … weiter verschärfen. … Insofern ergibt sich hier Potenzial für private Investoren.
Die privaten Investoren aber verlangen Mieten von 400 Euro und mehr für ein kleines Zimmer. Für die meisten Studierenden ist das völlig unbezahlbar, und es ist schlicht eine Unverschämtheit.
(Beifall bei der LINKEN)
In München standen im Herbst des letzten Jahres über 750 Studierende auf der Suche nach finanzierbaren Alternativen Schlange, als das Studentenwerk gerade einmal 150 Wohnheimplätze verloste. Studierende werden in Turnhallen oder in Containern untergebracht, Tausende nehmen in Kauf, jeden Tag mehrere Stunden zu ihren Unis zu pendeln. Diejenigen, die einen Studienplatz in ihrer Heimatstadt bekommen haben, bleiben gleich bei den Eltern wohnen und dürfen sich dann darüber freuen, dass ihr neuer Lebensabschnitt im alten Kinderzimmer beginnt. Für die Wohnungsnot und die explodierenden Wohnkosten gibt es allerdings politische Gründe.
Erstens. Die Mieten steigen vor allem in städtischen Wohngebieten und an Hochschulstandorten, weil diese besonders von dem Umstrukturierungsprozess betroffen sind, der als Gentrifizierung bekannt ist. Für Renditeaussichten von privaten Investoren werden Preise in die Höhe getrieben. Menschen, die sich das nicht leisten können, werden aus den Wohnvierteln vertrieben. Die Innenstädte werden zu Konsummeilen für die obere Preisklasse.
Zweitens. Studierende haben im Monat durchschnittlich 830 Euro zur Verfügung, 20 Prozent von ihnen weniger als 600 Euro. Die Miete ist mittlerweile der mit Abstand größte Kostenpunkt. Fast die Hälfte ihres Geldes geben die Studierenden für die Miete aus. Für die meisten von ihnen geht das schlicht an die Existenz.
Ein weiterer Grund ist die sinkende öffentliche Förderung von studentischem Wohnraum. 1991 gab es bundesweit noch 246 000 Plätze in Studentenwohnheimen. 2011, also 20 Jahre später, gab es 20 000 Plätze weniger, obwohl die Studierendenzahl im selben Zeitraum um 34 Prozent gewachsen ist. In Bremen bekommen auf diese Art und Weise jetzt nicht einmal mehr 7 Prozent der Studierenden einen Wohnheimplatz. Und was macht die Bundesregierung? Nichts! Es gab nicht eine einzige Maßnahme aus dem Bildungsministerium. Der Runde Tisch „Wohnraum für Studierende“ von Minister Ramsauer blieb ergebnislos.
(Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister: So ein Unfug! Sie müssen mehr Zeitung lesen! Dann wissen Sie, das ist Quatsch!)
Bei den aktuellen Nachverhandlungen zum Hochschulpakt spielte die soziale Infrastruktur keine Rolle.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Feist?
Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Ja, gerne.
Dr. Thomas Feist (CDU/CSU):
Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen. – Natürlich ist es in München oder in Bremen schlimm. Könnten Sie sich vorstellen, unter der Überschrift „Studentisches Wohnen“ am Schluss Ihrer Rede noch ein flammendes Plädoyer für die hervorragenden Universitäten in Ostdeutschland, speziell am Standort Leipzig, zu halten?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Ich habe das Gefühl, dass Sie das Thema dieser Debatte nicht ganz verstanden haben. Wir reden gerade nämlich nicht über die Hochschulen, sondern wir reden über studentischen Wohnraum. Natürlich ist es bekannt, dass es an verschiedenen Hochschulstandorten unterschiedlich ausschaut. Aber wir reden doch hier über die Verantwortung des Bundes. In der Verantwortung des Bundes liegt es ja auch, gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet herzustellen. Ich verstehe eigentlich nicht, warum manche Studierende 400 Euro Miete und mehr zahlen sollen und andere nicht. Was hat das zum Beispiel mit Fairness beim BAföG zu tun?
(Beifall bei der LINKEN – Sebastian Körber [FDP]: Sie haben doch im Land Berlin mitregiert! Was haben Sie denn da gemacht?)
Die Bundesregierung schiebt alles auf die Länder. Man könnte in diesem Fall auch sagen: Sie schiebt alles auf die Hochschulen. Aber der Bund ist in der Verantwortung, eine soziale Infrastruktur zu schaffen, die es allen ermöglicht, ein Studium aufzunehmen. Wenn die Koalition jetzt einwendet, dass das nicht geht, dann muss man eben die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen: Kippen Sie endlich das Kooperationsverbot!
(Beifall bei der LINKEN)
Ohne die sozialen Voraussetzungen entscheidet am Ende der Geldbeutel, und es entscheiden nicht die Neigung oder die Interessen darüber, ob man sich ein Studium an der LMU in München, an der HU in Berlin oder an der TU in Darmstadt überhaupt leisten kann. Das zu verändern, das wäre Aufgabe der Bundesregierung.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke fordert eine Offensive im sozialen Wohnungsbau und eine soziale Mietrechtsreform. Wir wollen die Mieten deckeln. Die Kommunen müssen das Recht bekommen, Höchstmieten festzulegen, um den Preisanstieg zu stoppen. Der Verkauf öffentlicher Wohnungen muss gestoppt und die Rekommunalisierung bereits verkaufter Bestände unterstützt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke will eine Wohnungsoffensive für Studierende. Mit einem Bund-Länder-Programm müssen neue Wohnheimplätze finanziert werden. In den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften muss bezahlbarer Wohnraum für Studierende geschaffen werden. Wir brauchen natürlich eine BAföG-Reform: Der Fördersatz für Wohnkosten muss erhöht werden und dynamisch an die durchschnittliche Mietsteigerungsrate angepasst werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Gohlke, ich unterbreche Sie ungern; aber Sie müssen jetzt einen Punkt setzen.
Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Genau. Ich komme zum Schluss. – Die Bundesregierung muss endlich begreifen: Es gibt ein Menschenrecht auf Wohnen und keines auf Spekulation und Mietwucher.
(Petra Müller [Aachen] [FDP]: Wenn man keine Wohnungen baut, dann bekommt man auch keine Wohnungen!)
Wenn man keinen bezahlbaren Wohnraum schafft, darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen sich ihn einfach irgendwann nehmen. Dazu muss man dann auch wohl den Studierenden raten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die sollen alle mal nach Ostdeutschland kommen! Es ist dort gar nicht so schlecht, wie viele denken, Frau Gohlke!)