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Stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe

Archiv Linksfraktion - Rede von Petra Sitte,

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Antrag der Koalitionsfraktionen nimmt eine wichtige Entwicklung zur Kenntnis: das Ende des fossilen Zeitalters rückt näher. Davon sind nicht nur unsere Systeme der Energieerzeugung, sondern viele Wirtschaftszweige betroffen, deren Produkte sich auf die Verfügbarkeit von Öl, Gas und Kohle stützen. Unsere ganze Wirtschaftsordnung hat sich auf der Grundlage billiger fossiler Ressourcen entwickelt: sie hat über mehr als 150 Jahre ein enormes Wirtschaftswachstum generiert, Träume von umfassender Mobilität und anhaltender Wohlfahrtssteigerung zumindest für die industriell entwickelten Länder dieser Erde verwirklicht.

Nun ist der „Fossilismus“, wie Prof. Elmar Altvater von der FU Berlin dieses System bezeichnete, angesichts des Klimawandels, aber auch der Preisexplosion für Rohstoffe an seine Grenze angelangt. Ob heute der „Peak Oil“, also der Scheitelpunkt der Ölförderung schon überschritten ist, oder wir kurz davor stehen, wird heiß diskutiert. Einig ist sich die Wissenschaft jedoch darin, dass die weltweiten Vorräte den ständig steigenden Rohstoffhunger der sich globalisierenden Weltwirtschaft auf lange Frist nicht decken können.

Alle Industriezweige, die fossile Rohstoffe benötigen, sehen sich auf Grund von unsicheren Zukunftsprognosen zur Versorgungsstabilität nach Alternativen um. Bisher führten nachwachsende Rohstoffe in der industriellen Produktion eher das Dasein eines Mauerblümchens und deckten Nischen ab: nennenswerten Umsatz generieren lediglich die Produkte mit biospezifischen Eigenschaften - etwa kompostierbare Müllbeutel, natürliche Dämmaterialien oder selbstauflösende Implantate in der Medizin.

Forscher arbeiten derzeit an Technologien, die Biomasse zur weitgehenden Substitution erdölbasierter Basisprodukte und Grundstoffe nutzen. Viele technische Verfahren dieser Bioraffinerien sind im Stadium der absoluten Grundlagenforschung - es wird Jahrzehnte dauern, um sie wirtschaftlich anwenden zu können. Wir begrüßen daher, dass die Koalition sich diesen Basistechnologien frühzeitig annimmt und eine integrierte Strategie mit dem Schwerpunkt der Grundlagenforschung erarbeiten will.

Ebenso sinnvoll ist das Agieren auf europäischer Ebene im Rahmen des Aktionsplans für biobasierte Produkte. Hier erscheint besonders die geplante Normung biotechnisch erzeugter Kunststoffe und Chemikalien vordringlich. Die Regierung sollte allerdings nicht ihre Fehler aus laufenden Initiativen ähnlicher Art wiederholen. Anders als bei den Biokraftstoffen darf diesmal Nachhaltigkeit nicht erst nach dem Protest von Experten und Umweltverbänden in den Fokus rücken. Sie muss integraler Bestandteil der Technologieförderung sein.

Die Schwierigkeiten mit der Strategie zum Biosprit und bei der Erarbeitung der Biomassenachhaltigkeitsverordnung zeigen: Importe von nachwachsenden Rohstoffen in großem Maßstab lösen unser Rohstoffproblem nicht, auch wenn im Koalitionsantrag gut meinend die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards angemahnt wird. Deutsche oder europäische Normen lassen sich in Ländern der dritten Welt kaum sinnvoll kontrollieren. Zudem konkurrieren viele Rohstoffpflanzen trotz aller Bemühungen um eine Kaskaden- und Mehrfachnutzung mit dem Anbau von Nahrungsmitteln.

Dazu kommen Überschneidungen der stofflichen mit der energetischen Verwertung, zum Beispiel wegen aggressiver Biospritstrategien, und ökologische Restriktionen wegen der Erhaltung von Fruchtfolge und Biodiversität. Das TAB geht davon aus, dass bei fortschreitender Umstellung auf erneuerbare Energien bereits 2015 die Nachfrage das Angebot an Biomasse aus Reststoffen deutlich übersteigen wird und ein expansiver Anbau an Nutzpflanzen oder Import in großem Maßstab nötig würde. Nachwachsend heißt eben nicht unbegrenzt wachsend.

Das Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen zeigt: Eine schlichte Substitution des Erdöls durch Biomasse ist auf nachhaltiger Grundlage nicht möglich. Wer heute die Pfade für ein neues Rohstoffregime einschlagen will, darf nicht wieder mit Raubbau an Natur und Menschen planen. Die zu entwickelnden Verfahren stofflicher Biomassenutzung müssen einem umfassenden Nachhaltigkeitsansatz genügen, der Düngemittel- und Energieeinsatz, die CO2- und Humusbilanz genauso berücksichtigt wie Auswirkungen auf Sozial- und Ökosysteme.

Der Koalitionsantrag mahnt dies zwar an, Konzepte sind von Ihnen jedoch dazu nicht zu vernehmen. Denn im Mittelpunkt der Biomassestrategie der Bundesregierung insgesamt steht eben nicht ein umfassender Nachhaltigkeitsansatz, sondern die Ermöglichung von Wirtschaftswachstum. Dieser Antrag beweist dies wieder einmal: Es gelte, so der Wortlaut, den Chemiestandort Deutschland durch eine Strategie „weg vom Öl“ zu unterstützen. Wenn dies gelänge, so die Logik, dann könne man auf die gleiche Weise Wirtschaftswachstum generieren wie bisher. Da liegt jedoch der Denkfehler.

Genau dies wird eben nicht möglich sein, denn die nachwachsenden Ressourcen sind endlich. Die Entwicklung neuer Konversionstechnologien kann also nur ein Teil einer nachhaltigen Rohstoffpolitik sein, die auch die „Grenzen des Wachstums“ im Blick hat. Rohstoffeffizienz, Downsizing, Dezentralisierung und Kreislaufwirtschaft müssten zentrale Forschungsthemen sein. Dazu hat diese Koalition keine konkrete Strategie entwickelt, auch dieser Antrag zeigt dies wieder. Wegen der Einseitigkeit dieser Politik wird sich unsere Fraktion enthalten.