Sehr geehrte Damen und Herren,
im Antrag der Koalition wird auf den hohen Importbedarf an fossilen Rohstoffen aufmerksam gemacht. Mineralöl werde zu 97 Prozent, Erdgas zu 83 Prozent und Steinkohle immerhin zu 61 Prozent aus dem Ausland eingeführt. Deutschland ist damit in seinem Rohstoff- und Energiehunger abhängig von anderen erdöl- oder gasfördernden Staaten.
Dabei unterliegt es Preisschwankungen und Versorgungsunsicherheiten. Aus Sicht der Industrie ist es verständlich, dass man sich nach günstigeren und vor allem sicheren Alternativen umsieht. Und so hat die EU eine „Leitmarkt“-Initiative aufgelegt, um die Entwicklung von Technologien für die Nutzung nachwachsender Rohstoffe zu forcieren. Auch die Bundesregierung will einen Aktionsplan in diese Richtung vorlegen. Europa soll, so die Vorstellung, Vorreiter bei der Entwicklung biobasierter Produkte werden. Hier sollen die Märkte geschaffen werden, die die Innovationen herausfordern. Diese sollen dann in naher Zukunft einmal auch Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit sichern und auf Exportmärkten Erfolge zeitigen.
Die Frage ist jedoch: Wie sieht es mit der Nachhaltigkeit aus? Alle Prognosen deuten darauf hin, dass Biomasse wie Holz und andere Nutzpflanzen demnächst Mangelwaren werden wie bereits jetzt Erdöl oder Erdgas. Bereits heute werden Naturressourcen überwiegend importiert, etwa 100 Prozent der Baumwolle oder des hier verbrauchten Naturkautschuk sowie 90 Prozent der Arzneipflanzen. Die OECD schätzt, dass das Preisniveau von Agrargütern in den kommenden zehn Jahren nominal um 35 bis 60 Prozent steigen wird. Erst gestern hat es, wie der Spiegel berichtet, einen Disput zwischen den sozialdemokratisch geführten Ministerien für Umwelt sowie für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit gegeben. Minister Gabriel hat sich demnach auch mit dem wissenschaftlichen Beirat für Umwelt gestritten. Der Konflikt ist einfach dargestellt: Sowohl das Entwicklungsministerium wie auch der Beirat warnen vor den ökologischen und sozialen Folgen einer ausgeweiteten Biomasseproduktion in Entwicklungs- und Schwellenländern. Der große Treiber dabei ist allerdings nicht die stoffliche Nutzung, die bisher wenig verbreitet ist, sondern die von Gabriel forcierte Sprit-, Wärme- und Stromproduktion auf Biobasis. Wenn nun in Ausweitung der Biomassenutzung weitere Anwendungen dazukommen, verschärft sich das Problem der Flächenkonkurrenz.
Die massive Förderung von Biokraftstoffen und Biomassekraftwerken war das Gegenteil von nachhaltiger Politik. Chancen und Risiken wurden eben nicht gegeneinander abgewogen, Langzeitfolgen nicht bedacht. Das Beispiel Solarenergie zeigt, wie durchschlagend staatliche Nachfragesteuerung eine bestimmte Technologie in den Markt bringen kann. Im Unterschied zur Sonne stehen nachwachsende Rohstoffe jedoch nur begrenzt zur Verfügung und fallen zudem nicht einfach an Ort und Stelle vom Himmel.
Es reicht also nicht, so wie die Koalition es mit diesem Antrag wieder versucht, vor allem Partikularinteressen zu bedienen und die systemischen Effekte auszublenden. Wer nachwachsende Rohstoffe umwelt- und sozialverträglich einsetzen will, muss schon die Komplexität des gesamten Produktions- und Reproduktionssystems in den Blick nehmen. Bei der stofflichen wie der energetischen Verarbeitung von Biomasse verzahnen sich ökologische, biologische, wirtschaftliche, soziale und technologische Fragestellungen. Weder die chemische Industrie, die billige und sichere Rohstoffe möchte, noch die Land- und Forstwirte, denen kein Abnahmepreis hoch genug sein kann, dürfen alleinige Ratgeber der Regierungspolitik sein. Vielmehr müssen hier ressortübergreifend und wissenschaftsgestützt Potenziale, aber eben auch Grenzen der Nutzung beschrieben und politisch umgesetzt werden. Es ist der schmale Grat zu treffen, auf dem der Einsatz von Biorohstoffen mehr nutzt als schadet. Und natürlich - da gehen wir mit dem Antrag der Großen Koalition mit - hängt dieser massiv vom Wirkungsgrad der eingesetzten Technologien ab. Die Politik muss hier die Entscheidungsinstanz sein, die die Fragen nach Öko-, Energie- und CO2-Bilanzen beantworten, soziale Folgen der verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten einrechnen und erst danach eine abgestimmte Forschungs- und Förderstrategie umsetzen muss.
Es steht nicht nur die Antwort aus, wo und welche Biorohstoffe in welcher Höhe eingesetzt werden, sondern auch, wo dies, in Abwägung der Risiken, nicht geschehen soll.
Wir finden es daher gut, dass die Koalition im Antrag einen Forschungsschwerpunkt bei der ökologischen Verträglichkeit setzen will, allerdings wird den sozialen Problemen keine ähnliche Wichtigkeit zugemessen. Nötig wäre eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Strukturwandels, der durch die Expansion der Rohstoffproduktion in Entwicklungs- und Schwellenländer ausgelöst wurde. Nur so kann gesichert werden, dass etwa der wissenschaftliche Beirat für Umwelt oder auch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht als „Gutmenschen“ - O-Ton Gabriel - abgewatscht werden, sondern auf fundierter Grundlage zur Gesamtstrategie beitragen können.