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Stellen Sie endlich Rentengerechtigkeit her!

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Rede zu den 17 Anträgen der Fraktion DIE LINKE zur Angleichung der Ostrenten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, Sie haben hier über die Nomenklatura, Partei- und Staatsfunktionäre geredet.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Unangenehm das Thema, nicht?)

Ich habe mir einmal angeschaut, wie die Rentensysteme der DDR und der Bundesrepublik aussahen: Die DDR hatte eine kleine Kirche, die Bundesrepublik aber einen riesigen Dom mit Türmen, von denen man in der DDR nicht einmal geträumt hat. Nun haben Sie die kleine Kirche in das erste Schiff des Doms hineingestellt.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Dieser Vergleich ist doch schizophren!)

Jetzt gibt es keine Türme mehr - und Sie behaupten, ein Rentenrecht, das so extrem unterschiedlich ist wie das der Bundesrepublik, sei gerecht. Sie machen mir Spaß!
(Beifall bei der LINKEN - Paul Lehrieder (CDU/CSU): Geschichtsklitterung, Herr Gysi!)

Frau Michalk, wenn Sie von Parteifunktionären reden, vergessen Sie immer die Funktionäre der Blockparteien. Die zählen aber auch zu den Funktionären, verstehen Sie?

(Beifall bei der LINKEN)

Heute geht es gar nicht um die Angleichung des Rentenwerts Ost an den allgemeinen Rentenwert; das haben wir schon beantragt. Das beantragen auch Sie; aber Sie wollen nicht, dass die niedrigeren Osteinkommen höher bewertet werden.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist verfassungsrechtlich nicht möglich!)

Sie wollen die Ostdeutschen erheblich benachteiligen. Deshalb können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber unser diesbezüglicher Antrag ist vom Bundestag ja schon abgelehnt worden.

Jetzt geht es um 17 Anträge, und zwar zu Überführungslücken, Versorgungsunrecht und Rentenstrafrecht. Dabei geht es nicht nur um die heutigen Rentnerinnen und Rentner, sondern auch um eine große Zahl künftiger Rentnerinnen und Rentner, die noch gar nicht im Rentenalter sind, die davon aber alle betroffen sein werden.

Bei Überführungslücken geht es um DDR-typische Regelungen, die einfach ignoriert wurden. Beim Versorgungsunrecht geht es um zusätzliche Versorgungssysteme, in die eingezahlt wurde. Diese zusätzlichen Versorgungssysteme haben Sie einfach nicht anerkannt, und die entsprechenden Leistungen haben Sie gestrichen.

Beim Rentenstrafrecht geht es um das, was Frau Michalk hier unter so viel Beifall sagte, aber die Rente ist nicht dazu geeignet ist, die Biografie eines Menschen zu beurteilen. Rente ist wertneutral, und Sie versuchen immer wieder, eine gegenteilige Auffassung durchzusetzen. Dass das eine Partei macht, die nach 1945 an die Nazibonzen die größten Renten gezahlt hat, ist und bleibt ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN - Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Unverschämtheit!)

- So ist es. Das kann ich Ihnen beweisen.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Man muss aber Fehler nicht wiederholen! - Maria Michalk (CDU/CSU): Sie verwechseln hier etwas!)

Im Übrigen hat Frau Bundeskanzlerin Merkel Sie, Ihre Fraktion, aufgefordert, bis Ende 2007 eine Liste noch zu klärender Fragen im Osten zusammenzustellen. Sie haben der Bitte der Kanzlerin nicht entsprochen. Nur meine Fraktion hat der Bitte entsprochen und eine solche Liste vorgelegt. Darüber werden wir heute entscheiden.

(Beifall bei der LINKEN - Elke Ferner (SPD): Das ist falsch, Herr Gysi!)

Ich weiß - da stimme ich Ihnen sogar zu -, dass die Rentenüberleitung durchaus positiv bewertet werden kann.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): So ist es!)

Ich weiß auch, dass viele durch die Überleitung einen höheren Rentenanspruch erhalten haben, als sie ihn in der DDR je erworben hätten.

(Paul Lehrieder (CDU/CSU): Das ist richtig! - Dirk Niebel (FDP): Die konnten sich sogar günstig einkaufen!)

Ich weiß ebenfalls, dass die DDR-Renten ziemlich niedrig waren.

(Zurufe von der CDU/CSU)

- Ich kann im Unterschied zu Ihnen differenzieren. Sie können das nicht; das ist das Problem. -

(Beifall bei der LINKEN)

Aber ich weiß natürlich auch, dass die Kostenstruktur in der DDR eine ganz andere war.

Jetzt geht es um Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen, die wir überwinden müssen. Leider ist meine Redezeit so kurz, dass ich Ihnen diese 17 Anträge nicht vorstellen kann.

(Paul Lehrieder (CDU/CSU): Immer noch lang genug! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

- Ich höre, dass Sie das sehr bedauern. Schlagen Sie der Präsidentin vor, meine Redezeit zu verlängern; dann stelle ich Ihnen alle Anträge vor.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Die Sache mit den Balletttänzern hätten wir gerne genauer erläutert!)

Es geht darum, dass Sie bestimmte Ansprüche nicht anerkannt haben, und das hat Folgen. Frau Michalk, Sie finden das gerecht. Ich kenne Menschen, die von diesen Folgen betroffen sind; sie kommen zu mir in die Sprechstunden.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Zu mir auch!)

Es gibt eine ganze Reihe von Bürgerinnen und Bürgern, deren Ansprüche nicht anerkannt worden sind und die neben einer ganz kleinen Rente eine Grundsicherung bekommen. Bei jeder Rentensteigerung, egal wie groß sie ist, wird die Grundsicherung entsprechend abgeschmolzen. Seit Jahren bekommen diese Menschen nicht einen halben Euro mehr, obwohl die Preise ständig steigen. Rentensteigerungen sind für diese Menschen in Wirklichkeit regelmäßig nichts anderes als Minusrunden.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die Grundsicherung wird doch regelmäßig angepasst!)

Jetzt nenne ich Ihnen vier Beispiele, zu denen ich gern Erklärungen hätte.

Das erste Beispiel betrifft mithelfende Familienangehörige von privaten Handwerkern, meine Damen und Herren von der FDP.

(Dirk Niebel (FDP): Die wenigen, die ihr nicht verstaatlicht habt, meinen Sie?)

Diese Personen waren in der DDR automatisch rentenversichert. Hier kannte man das nicht und hat deren Ansprüche einfach gestrichen. Warum sind wir nicht in der Lage, den Rentenanspruch dieser Personen anzuerkennen? Ich begreife es nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Für geschiedene Frauen und in Ausnahmefällen auch für geschiedene Männer gab es in der DDR keinen Versorgungsausgleich. Wir haben einen Vorschlag für einen solchen Ausgleich gemacht. Sie lehnen diesen Vorschlag ab. Warum wollen Sie Geschiedene so viel schlechter stellen? Ich verstehe es nicht.

(Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel (FDP): Warum haben Sie es in der DDR nicht geregelt? Sie hätten den Versorgungsausgleich in der DDR doch regeln können! Herr Gysi, warum waren Sie eigentlich so ungerecht?

Als drittes Beispiel nenne ich die Hausfrauen. Die Hausfrauen - es gab nur wenige Hausmänner - hatten in der DDR die Möglichkeit, monatlich Marken im Wert zwischen 3 und 9 Mark zu kleben und sie haben sie geklebt. In der DDR hing die Höhe der Rente weniger von der Beitragshöhe, als vielmehr von der Anzahl der Jahre ab, in denen Beiträge gezahlt wurden. Auf diese Weise kamen viele Hausfrauen auf eine große Anzahl von Rentenjahren. Die daraus resultierende Anwartschaft haben Sie einfach mit der Begründung gestrichen, dass Sie das nicht kennen. Das ist arrogant und ignorant. Wir fordern nur, dass Sie diese Entscheidung korrigieren.

(Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel (FDP): Wir kannten auch die Stasi nicht und haben sie gestrichen!)

Viertes Beispiel - es folgt die nächste Kritik -: Krankenschwestern. Die Löhne von Krankenschwestern in der DDR waren viel zu gering.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Ja, eben!)

- Das bestreite ich doch gar nicht. Hören Sie doch erst einmal zu! - Deshalb hat der Gesetzgeber ihnen eine Erhöhung der Rente um den Faktor 1,5 zugesagt. Diese Erhöhung haben Sie gestrichen.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Hat der Gesetzgeber Beiträge dafür gezahlt?)

Wir wollen doch nur, dass die Krankenschwestern den Anspruch wieder erwerben, den sie schon einmal hatten.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Dr. Gysi, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bunge aus Ihrer Fraktion zulassen?

(Iris Gleicke (SPD): Ihre bestellte Zwischenfrage!)
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Ja.

(Zurufe)

- Jetzt wundern Sie sich; das sollten Sie auch.

Dr. Martina Bunge (DIE LINKE):

Kollege Gysi, Sie stellen hier relativ einfache Lösungen vor. Ich habe in der Ausschussarbeit immer sehr viele Gegenargumente gehört. Vielleicht können Sie sich hier dazu einmal positionieren?

(Dirk Niebel (FDP): Lieber nicht! - Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Wir sind hier nicht im Ausschuss!)

Das erste Gegenargument ist: Das alles müsste die Versichertengemeinschaft bezahlen; das ist zu teuer. Das zweite Gegenargument ist: Wenn das geregelt würde, würde man die Menschen im Osten gegenüber den Menschen im Westen bevorteilen. Das dritte Argument ist: Der Bund ist für die zusätzlichen Versorgungen sowieso nicht mehr zuständig, weil das Ländersache ist. Mich würde interessieren, wie Sie dazu stehen.

(Dirk Niebel (FDP): Wollen Sie nicht zusammen Kaffee trinken gehen?)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Ich kann dazu ganz kurz Stellung nehmen.

Die in unseren Anträgen vorgesehenen Maßnahmen müssten - abgesehen von denen in einem einzigen Antrag - aus Steuermitteln und nicht aus Versicherungsbeiträgen finanziert werden. Der Einwand ist deshalb falsch. Nur der Ausgleich bei der Überwindung des Rentenstrafrechts müsste tatsächlich aus Versicherungsmitteln finanziert werden.

Der zweite Einwand ist nachweislich falsch. Zum Beispiel bezieht heute eine Krankenschwester in den neuen Bundesländern eine Rente in Höhe von 68 Prozent der Rente einer Krankenschwester in den alten Bundesländern. Käme der angesprochene Faktor hinzu, wäre sie noch lange nicht bei 100 Prozent. Zu behaupten, dass sie besser stünde, ist albern. Nehmen Sie die Balletttänzerinnen und Balletttänzer: Deren Versorgungsanspruch ist komplett gestrichen worden. Wir streiten hier übrigens über circa 1 500 Personen. Sie konnten sich nicht nachversichern und sind eindeutig schlechter gestellt. Es geht in keinem einzigen Fall um eine Besserstellung.

Was Bund und Länder betrifft: Es geht um Lücken und Fehlleistungen nach Schließen des Einigungsvertrages. Aus dieser Verantwortung kann sich der Bund nicht verabschieden. Er hat diese Probleme zu lösen und kann das Ganze nicht auf die Länder übertragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich in meiner Rede fortfahren. Es geht auch - das haben Sie erwähnt - um die Berufsgruppen mit Zusatzversorgungssystemen. Das betrifft die wissenschaftliche, die technische, die medizinische und die künstlerische Intelligenz; es geht um Beschäftigte im Staatsapparat, in sämtlichen Parteien, auch in den Blockparteien, und in gesellschaftlichen Organisationen. Ich sage Ihnen noch einmal: Das Rentenrecht ist nicht das Feld, auf dem man eine Biografie bewertet.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Aber das Durchschnittseinkommen berechnet!)

Das kann man mit dem Strafrecht machen, wenn es dafür Anhaltspunkte gibt, oder mit anderen Mitteln, aber nicht mit dem Rentenrecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade die Union hat das früher immer abgelehnt. Erst nach dem Ende der DDR ist sie dafür eingetreten.

Ein weiterer Punkt ist der Ausgleich bei der Überwindung des Rentenstrafrechts. Das gilt für die Personen, die genannt wurden, übrigens wiederum auch für Angehörige der Blockparteien. Dazu gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts; dessen Vorgaben haben Sie nur zum Teil, also nicht ganz, erfüllt haben.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Das war die SED, die kein Urteil zugelassen hat!)

Lassen Sie mich auch noch die Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post erwähnen, denen Ansprüche zustanden, die einfach gestrichen worden sind. Sie sind im Verhältnis zu Beschäftigten der Post in der Bundesrepublik oder auch der Deutschen Bundesbahn benachteiligt. Ich verstehe nicht, warum wir das Problem nicht lösen können.

Ich sage noch einmal: Uns geht es niemals um eine Besserstellung. Zu behaupten, dass es uns darum ginge, ist doch Quatsch. Letztlich wollen wir, dass eine gleiche Lebensleistung zu einer gleichen Rente führt. Das ist doch nicht zu viel verlangt von unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN - Manfred Grund (CDU/CSU): Sie haben den Staat untergehen lassen und den Ersatz von einem anderen Staat haben wollen! - Maria Michalk (CDU/CSU): Sie haben das angerichtet und spielen jetzt die Feuerwehr!)

- Nein, das ist Quatsch.

Der Staatssekretär hat zu Recht gesagt, dass wir schon zum zigsten Mal darüber diskutieren. Solange wir im Bundestag sind, werden Sie in jeder Legislaturperiode diese Anträge vorgelegt bekommen,

(Beifall bei der LINKEN)

um deutlich zu machen, dass das, was Sie gemacht haben, ungerecht ist. Ich bin doch nicht derjenige, der Leistung nicht würdigen kann. Das, was hier aber geschehen ist, ist ungerecht. Wissen Sie, was mich stört? Sie setzen auf die biologische Lösung.

(Zuruf der Abg. Maria Michalk (CDU/CSU))

Sie wissen, dass jedes Jahr Betroffene sterben und es immer weniger werden, die einen Anspruch haben. Das ist überhaupt nicht hinzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Ein weiteres Argument mag ich auch nicht, nämlich das, dass kein Geld da ist. In einer Woche können Sie 480 Milliarden Euro für die Banken bereitstellen, aber diese lächerlichen Beträge haben Sie nicht.

(Dirk Niebel (FDP): Ihre Redezeit ist längst abgelaufen, Herr Gysi!)

Stellen Sie endlich Rentengerechtigkeit her!

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN - Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Das war eben SED, die Dritte!)