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Steinzeitliches Demokratieverständnis der Führung der Unionsfraktion

Archiv Linksfraktion - Rede von Kathrin Vogler,

Rede von Kathrin Vogler (DIE LINKE) zur Beratung des Antrages von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Antrages von der Fraktion DIE LINKE „EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln - Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen" (BT-Drs. 17/12183; BT-Drs. 17/12184) am 31.01.2013 im Deutschen Bundestag

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, tut mir leid, wir müssen reden.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: „Wir“ ist falsch! Sie! – Manuel Höferlin [FDP]: Nein, wir müssen zuhören!)


– Sie müssen zuhören, das ist ja noch besser.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht so!)


Wir sprechen heute über zwei Anträge zum Schutz von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Medikamentenstudien der EU. Wir sind uns quer durch alle Fraktionen dieses Hauses einig, dass insbesondere Kinder und nicht einwilligungsfähige Menschen besonderen Schutz benötigen. Eine Aufweichung der Schutzstandards, wie sie in der neuen EU-Richtlinie vorgesehen ist, wollen wir alle nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wie gesagt, wir sind uns da vollkommen einig.
Ich möchte mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen des Gesundheitsausschusses und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken, die es ermöglicht hat, in sehr kurzer Zeit einen detaillierten und wirklich guten Forderungskatalog zu entwickeln.


(Beifall bei der LINKEN)


Das hätte heute wirklich eine Sternstunde des Parlaments werden können.


(Manuel Höferlin [FDP]: Nein, eine -Hohnstunde!)


Dass wir aber dennoch zwei Anträge vorliegen haben, ist leider dem steinzeitlichen Demokratieverständnis der Führung der Unionsfraktion geschuldet; denn da hat man offensichtlich noch nicht so ganz gemerkt, dass der Kalte Krieg längst zu Ende ist.


(Otto Fricke [FDP]: Oh!)


Was da passiert ist, ist ein politisches Narrenstück, eine Schmierenkomödie in drei Akten.
Erster Akt. Union und FDP legen einen Antragsentwurf vor und laden die Oppositionsfraktionen ein, diesen gemeinsam einzubringen.


(Otto Fricke [FDP]: Sie haben den Prolog -vergessen!)


Zweiter Akt. Die Oppositionsfraktionen schlagen einige Änderungen vor, die weitgehend aufgenommen werden. Ein gemeinsam abgestimmter Antragstext, dem alle zustimmen können, wird am Montag dieser Woche an die vier Fraktionsvorstände weitergeleitet, um am Dienstag in den Fraktionen beschlossen zu werden.
Dritter Akt. Der Vorstand der CDU/CSU-Fraktion erklärt, dass er den Antrag nur zulässt, wenn meine Fraktion, Die Linke, von der gemeinsamen Einbringung des Antrags ausgeschlossen wird.


(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Sehr richtig so! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Buh! Undemokratisch!)


Dieses Schauspiel ist ein Armutszeugnis für die Demokratie.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie grenzen damit fast 12 Prozent aller Wählerinnen und Wähler dieser Republik bei einem gemeinsamen Anliegen aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie erweisen den schutzbedürftigen Studienteilnehmern, für die wir uns gemeinsam starkmachen wollten, einen Bärendienst. Sie sorgen für Politikverdrossenheit, weil Sie kleinkarierte Ideologie über die Interessen der Menschen stellen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ich lach mich tot! Ausgerechnet von Ihnen! Haben Sie eigentlich etwas zur Sache zu sagen?)


Ich will noch etwas anderes anmerken. Die Fraktionen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sind auch dieses Mal wieder vor der Erpressungsstrategie von Kauder und Hasselfeldt eingeknickt. Jedes Mal sagen Sie, dass Sie diese Ausgrenzerei blöd und unpolitisch finden, dass Sie das eigentlich nicht wollen; aber Sie machen trotzdem jedes Mal wieder mit. Eigentlich müssten Sie hier mit knallroten Köpfen sitzen, wenn Sie noch einen Funken politischen Anstand hätten.


(Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie haben es gerade nötig! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die Einzige, die hier mit knallrotem Kopf stehen müsste, sind Sie!)


Wir haben uns entschieden, den Antrag, den wir alle gemeinsam erarbeitet haben, wortgleich als Antrag der Linksfraktion einzubringen. Wir haben zugestimmt, über beide Anträge heute gemeinsam abstimmen zu lassen. Damit geben wir Ihnen jetzt die Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen, ohne mit Ihren Fraktionsführungen in Konflikt zu geraten. Wir hatten sowieso vor, zu beiden Anträgen Ja zu sagen; denn wir finden, dass unser gemeinsames Anliegen, der Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wichtig ist.


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Frau Kollegin, wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen? Das verlängert Ihre Redezeit. Zu dieser Stunde ist das ein großzügiges Angebot.


Kathrin Vogler (DIE LINKE):
Ja, Kollege Ackermann, gerne.


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Aber machen Sie es kurz.


(Heiterkeit – Manuel Höferlin [FDP]: Ich stelle auch gleich noch eine! – Weiterer Zuruf von der FDP: Herr Präsident!)
Jens Ackermann (FDP):


Sehr geehrter Herr Präsident! Vielen Dank, Frau Kollegin Vogler, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich denke, dieses Thema eignet sich nicht, um politische Schlachten zu schlagen.


Kathrin Vogler (DIE LINKE):
Hört! Hört!


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach! Dann lassen Sie es doch! – Gegenruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Erst einmal zuhören!)


Jens Ackermann (FDP):
Wir sind uns einig, dass der Schutz der Probanden ganz oben anzusiedeln ist. Wenn die Kollegen der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments sagen, dass sie klinische Prüfungen auch ohne Einsatz einer Ethikkommission zulassen wollen, so lehnen das alle Fraktionen in diesem Hause ab und sagen: Wir können klinische Prüfungen nur zulassen, wenn wir vorher eine unabhängige Ethikkommission eingesetzt haben.
Ich möchte Sie aber fragen: Wie konnte es die Vorgängerorganisation Ihrer Partei in der ehemaligen DDR zulassen, dass Pharmaindustrie und Pharmahersteller im Osten an unbeteiligten Patienten Versuche durchgeführt haben, ohne dass die Patienten davon wussten? Die SED hat damit Devisen beschafft. Wie beurteilen Sie das im Zusammenhang mit dem, was Sie jetzt vor uns hier aufführen?


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Herr Ackermann, legen Sie Ihre Hand dafür ins Feuer, dass es im Westen keine solchen Versuche gab?)


Ist es nicht auch unethisch, zu sagen: „Wir wollen klinische Prüfungen ohne Beteiligung der Patienten durchführen“? Ich denke, Sie sollten auch dazu eine Stellungnahme abgeben, weil Sie in der Nachfolge dieser Staatspartei stehen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ein Unsinn, was Sie da erzählen!)
Kathrin Vogler (DIE LINKE):


Herr Ackermann, Sie reden sich um Kopf und Kragen. Wollen Sie es nicht langsam gut sein lassen? – Sehr geehrter Herr Kollege, ich muss etwas, was ich vorhin gesagt habe, revidieren. Ich habe die These aufgestellt, dass lediglich bei der Union der Kalte Krieg noch nicht beendet ist. Ich muss das erweitern: Offensichtlich ist auch bei der FDP noch nicht angekommen, dass wir den Kalten Krieg inzwischen beendet haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


Es muss Ihnen doch bewusst sein, dass wir vor 25 Jahren auch in der Bundesrepublik und den westlichen Demokratien längst nicht den Schutz hatten, den wir heute haben,


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Das ist doch eine Lüge!)


und auch Länder, die durchaus demokratisch sind, nicht unbedingt die Schutzkriterien und ethischen Kriterien anlegen, die wir hier gemeinsam anlegen.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Das wissen Sie doch ganz genau, dass das eine Lüge ist! – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Das haben Sie auf der Kaderschule gelernt, was Sie hier vortragen! Unerträglich!)


– Ist klar. – Wissen Sie was? Das ist doch wirklich peinlich. Wir haben inhaltlich gut zusammengearbeitet, an einem Punkt, bei dem es um ethische Fragen geht, bei dem es um die Gesundheit von Menschen geht. Es geht um die Frage, wie wir mit Probandinnen und Probanden umgehen, die sich selbst nicht aktiv für die Teilnahme an der Studie entscheiden können. Das sind wirklich wichtige ethische Fragen. Bisher war es in diesem Haus gute Tradition, dass in ethischen Fragen solche parteipolitischen Spielchen, solche Kalter-Krieg-Nummern keine Rolle spielen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Kalter Krieg?)


Nichtsdestotrotz geben wir Ihnen die Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen, ohne mit Ihren Fraktionsführungen in Konflikt zu geraten. Wir sind weiter zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit, aber ein so absurdes Theater, wie Sie es im Zusammenhang mit diesen beiden Anträgen aufgeführt haben, werden wir uns von Ihnen nicht mehr bieten lassen.


(Beifall bei der LINKEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Was passiert denn jetzt?)