Zum Hauptinhalt springen

Sport ist kein Luxusgut (Rede)

Archiv Linksfraktion - Rede von Gesine Lötzsch,

Rede im Bundestag am 5.12.2008, Sportpolitik

Gesellschaftliche Bedeutung des Sports ( Drs. 16/11217)
Datum: 4. Dezember 2008

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Als haushaltspolitische Sprecherin und - das sage ich an Ihre Adresse, Herr Parr - stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken vertrete ich gern meine erkrankte Kollegin Katrin Kunert. Mit Frau Dr. Sitte haben wir noch eine zweite Stellvertreterin im Saal.
Ich habe die Anträge der Koalition, der FDP und der Grünen sehr genau gelesen und war doch etwas irritiert, dass in keinem der Anträge auch nur mit einem Nebensatz auf die dramatischen Entwicklungen in der Welt und in unserem Land eingegangen wurde. Wir erleben eine Weltfinanz- und Wirtschaftskrise, deren Auswirkungen noch nicht abzuschätzen sind. Die Wirtschaftskrise bedroht die Realwirtschaft. Viele Autokonzerne haben schon Kurzarbeit angekündigt. Diese gravierende Krise wird auch Auswirkungen auf das gesamte Leben der Menschen haben, auch auf den Sport in unserem Land. Darauf muss die Bundesregierung doch mit einem Maßnahmepaket zur Sicherung des Leistungs- und Breitensports reagieren.
Das Bankenrettungspaket hat Herr Ackermann geschrieben. Doch wo, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ist die Person, die jetzt ein Maßnahmepaket für den Sport formuliert? - Augenscheinlich weder in der CDU/CSU noch in der SPD-Fraktion. Die Koalition schreibt in ihrem Antrag: Durch Kooperation mit Wirtschaft und Medien sollen ergänzende Finanzierungsquellen zur Förderung von Breiten- und Spitzensport erschlossen werden. Ich weiß nicht, ob zum Beispiel der notleidende Autobauer Opel im Augenblick für ein solches Anliegen besonders aufgeschlossen ist.
(Detlef Parr (FDP): Das ist wohl wahr!)
Solche weltfremden Forderungen müssen doch jedem ehrlichen Sportfunktionär die Zornesröte ins Gesicht treiben.
(Dagmar Freitag (SPD): Das sagt jemand, der keinen eigenen Antrag hat!)
Es ist doch völlig klar, dass die Hauptsponsoren des Sports ihre Budgets zusammenstreichen werden. Welche Angebote macht also die Regierung den Sportlern in Anbetracht dieser völlig neuen Situation? - Ich habe keine entdeckt.
Wir Linke haben ein 50-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm von der Bundesregierung und von den Ländern und Kommunen gefordert. Ein solches Programm muss auch Geld für Investitionen in die Sportinfrastruktur bereitstellen.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber noch wichtiger ist, dass die Menschen, die Sport treiben wollen, es sich aber finanziell nicht leisten können, unterstützt werden müssen. Kein Antrag - nicht der der Koalition, der FDP oder der Grünen - geht auf das Spannungsverhältnis von Armut und Sport ein. Die soziale Frage haben alle Antragsteller ausgeklammert.
Vorhin gab es den Zwischenruf, wo denn unser Antrag sei. Wir als Linke haben bereits zu Beginn dieses Jahres ein Sportförderungsgesetz gefordert. Der erste Halbsatz unseres Antrages lautete: „Sport ist kein Luxusgut ...“ Ich darf Ihnen verraten, wie Sie abgestimmt haben. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben unseren Antrag abgelehnt.
(Dagmar Freitag (SPD): Weil es unsinnig war!)
Ich weiß nicht, ob das eine Großtat im Sinne des Sportes war. Ich glaube, es war umgekehrt.
(Beifall bei der LINKEN)
Schauen wir uns einmal die soziale Herkunft von Spitzensportlern an. Weniger als 10 Prozent sind Arbeiterkinder, mehr als die Hälfte Kinder von Angestellten, davon die meisten von hochqualifizierten Angestellten. Es werden also nicht nur Hartz-IV-Kinder vom Leistungssport abgekoppelt, sondern auch Kinder von Minijobbern, schlecht bezahlten Leiharbeitern, Verkäuferinnen und Eltern, die anderen Berufsgruppen angehören.
(Eberhard Gienger (CDU/CSU): Die erzählt ein Zeug! Unfassbar! Peter Rauen (CDU/CSU): Von welchem Land reden Sie eigentlich!)
Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, Thomas Bach, wies auf dem Integrationsgipfel der Kanzlerin Anfang November da waren Sie alle nicht dabei; da durften ja nur wenige Vertreter der Fraktionen teilnehmen darauf hin, dass immer mehr Menschen ihren Vereinsbeitrag nicht zahlen können.
(Peter Rauen (CDU/CSU): Ich habe Sie noch nie im Ausschuss gesehen, und dann reden Sie hier so ein Zeug!)
Dass ich nicht Mitglied des Ausschusses bin, habe ich gesagt, Kollege.
(Dagmar Freitag (SPD): Das merkt man, Frau Kollegin!)
Ich habe auch gesagt, dass ich die erkrankte Kollegin vertrete. Wenn Sie meinen, dass im Plenum nur Ausschussmitglieder sprechen dürfen, dann haben Sie den Sinn des Plenums nicht verstanden. Plenarsitzungen sind keine erweiterten Ausschusssitzungen.
(Beifall des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Detlef Parr (FDP): Sie verraten aber die Gesinnung, Frau Kollegin!)
Meine Damen und Herren, ich finde die Entwicklung, dass viele ihre Vereinsbeiträge nicht mehr bezahlen können, bedrückend. Aber mit dem Beitrag allein das wissen wir alle ist es nicht getan. Die Sportler brauchen Ausrüstungen und müssen Fahrten zu Wettkämpfen bezahlen. Diese Kosten können Hartz IV-Empfänger, aber auch Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, nicht mehr aufbringen. Auch deshalb fordert die Linke die Anhebung des Arbeitslosengeldes II und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes.
(Beifall bei der LINKEN - Lachen des Abg. Peter Rauen (CDU/CSU))
Das sind Maßnahmen, mit denen der Rezession schnell und wirksam begegnet und dem Sport in unserem Land geholfen werden kann.
(Dr. Peter Danckert (SPD): Jetzt weiß ich auch, warum Frau Dr. Sitte nicht reden durfte! Denn die hätte über Sport geredet!)
Übrigens: Unser Exkollege Täve Schur, den Sie sicherlich alle noch kennen, hatte vier Geschwister; sein Vater war Tankwart und seine Mutter Hausfrau. Er hätte heute wohl kaum eine Chance, Radrennweltmeister zu werden. Das wäre ein großer Verlust.
(Detlef Parr (FDP): Es lebe der Sozialismus!)
Eine Bemerkung, die sich an die Sportfunktionäre und die Regierung richtet: Nur einer von 50 Spitzenverbänden des Sports sitzt in Ostdeutschland. Dieser Verband bekommt 60 000 Euro im Jahr. Das ist etwa so viel wie die jährlichen Reisekosten der Abteilung Sport im Innenministerium, die für die Reisen zwischen den Dienstorten Berlin und Bonn anfallen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass das Innenministerium endlich auch die Sportbeamten nach Berlin holt, Herr Staatssekretär,
(Dr. Peter Danckert (SPD): Das ist richtig! Dafür bin ich auch!)
damit sie sich einmal in Ostdeutschland umschauen können.
(Beifall bei der LINKEN)
Da meine Kurzintervention vorhin leider nicht mehr angenommen wurde, möchte ich noch eine kurze Bemerkung zu der vorhergehenden Debatte machen.
(Dr. Peter Danckert (SPD): Nein!)
Es ist ja viel über Berlin geredet worden. Kollegin Fischbach, wir haben in Berlin Bewegungskitas, Sportkitas das würden Sie sich in anderen Ländern vielleicht wünschen , und vor allen Dingen haben wir in Berlin für jedes Kind, dessen Eltern das wünschen, einen Kindertagesstättenplatz. Das sollte man uns in anderen Bundesländern erst einmal nachmachen.
(Dagmar Freitag (SPD): Wenn Sie nun wieder zum Thema sprechen wollen!)
Liebe Kollegin Freitag, eine Sportkita oder eine Bewegungskita hat nichts mit Sport zu tun? Da staune ich aber.
(Dagmar Freitag (SPD): Sie müssen genauer zuhören!)
Vielleicht diskutieren Sie das erst einmal in Ihrer Fraktion.
Die Linke fordert die Bundesregierung auf, jetzt schnell Maßnahmen zu ergreifen, um die Finanzierung des Breitensports und des Leistungssports in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise abzusichern. Es ist höchste Zeit. Weitere Fehlstarts der Bundesregierung können wir uns alle nicht leisten.
Vielen Dank für die erregte Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Dateiende