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Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz ist reine Flickschusterei

Archiv Linksfraktion - Rede von Matthias W. Birkwald,

Rede von Matthias W. Birkwald zur 1. Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

„Gesetz zur Stabilisierung der Finanzlage der Sozialversicherungssysteme und zur Einführung eines Sonderprogramms mit Maßnahmen für Milchviehhalter sowie zur Änderung anderer Gesetze (Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz - SozVersStabG) “ (BT-Drs. 17/507) am 29.01.2010 im Plenum des Deutschen Bundestages

 

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Für dieses Jahr rechnet die Bundesagentur für Arbeit mit einem Defizit in Höhe von gut 18 Milliarden Euro.


(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wollen Sie denn die Kurzarbeit einschränken,
Herr Birkwald, oder was sonst?)


Das ist ein trauriger Nachkriegsrekord. Nur einen Bruchteil davon kann die Bundesagentur selbst aus ihren Rücklagen ausgleichen. Wie konnte es dazu kommen? Die Krise sei schuld gewesen, sagt die Bundesregierung. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Die Politik der ganz großen Koalition aus CDU/CSU, SPD und FDP hat es vermasselt.


(Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Bitte?)


Sehenden Auges hat diese ganz große Koalition die Finanzen der Bundesagentur an die Wand gefahren.

Meine Damen und Herren von der Union, Sie haben, in wechselnder Besetzung, grob fahrlässig gehandelt, indem Sie die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mehr als halbiert haben. Sie haben die Gewitterwolken aufziehen sehen. Sie haben alle Unwetterwarnungen von Experten in den Wind geschlagen. Jetzt stellen Sie sich hin, beklagen die Löcher im Dach der Bundesagentur und spannen Schutzschirme für die Banken. Gerecht geht anders!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))


Die Bundesregierung will die Beiträge stabil halten. Das waren sie doch. 14 Jahre lang, bis Ende 2006, lagen sie bei 6,5 Prozent. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die ersten Anzeichen der Krise für jede und jeden sichtbar wurden, ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt wurde der Beitragssatz auf unter 3 Prozent gesenkt. Das ist der niedrigste Wert seit 1975. Doch wer hier Beiträge kürzt, hat Sozialabbau im Sinn.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Nein, das war ein Wachstumsimpuls!)


Beim Arbeitslosengeld war es zunächst andersherum, aber nicht anders: Rot-Grün hat die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I massiv verkürzt und die Arbeitslosenhilfe gleich komplett gestrichen. Dann wurden die Beitragssätze gesenkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb: Wer heute auf Teufel komm raus niedrige Beiträge sät, wird morgen größere Defizite ernten. Und was machen Sie dann? Das Arbeitslosengeld I kürzen? Wir Linken sagen: Das Gegenteil ist richtig. In der Krise muss die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld verlängert werden, und zwar auf zwei Jahre für alle. Das hilft den Beschäftigten, die jetzt entlassen werden,


(Beifall bei der LINKEN Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Arbeit brauchen die Leute!)


zum Beispiel bei Siemens, wo jetzt, wie heute Morgen in den Nachrichten zu hören war, 2.000 Stellen gestrichen werden sollen.

Der Gesetzentwurf, den Sie nun vorlegen, ist reine Flickschusterei. Die Linke sagt: Die Bundesagentur muss grundsätzlich wieder solide finanziert werden. Wir brauchen eine Staatsgarantie für die Sozialversicherungen, keinen einmaligen Zuschuss, sondern eine dauerhafte Defizithaftung.


(Beifall bei der LINKEN)

Heute Morgen konnte man einer Pressemitteilung der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel: „Koalitionshaushälter wollen Zuschüsse für Sozialkassen kürzen“ sie lief auch über den Ticker entnehmen, dass Ihnen der Zuschuss von 16 Milliarden Euro zu hoch ist und auf 11 Milliarden Euro gesenkt werden soll und dass dafür unter anderem Qualifizierungsprogramme der BA gestrafft werden sollen. Ich sage Ihnen: Es ist komplett der falsche Weg, auch noch bei den Qualifizierungsmaßnahmen zu sparen. Auch hier wäre der umgekehrte Weg richtig; denn wir brauchen mehr Bildung und bessere Qualifikation.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit dem sogenannten Eingliederungsbeitrag werden letztendlich die Beitragszahler mit 5 Milliarden Euro dafür haftbar gemacht, dass es Langzeiterwerbslosigkeit gibt. Das darf nicht sein; denn die Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme muss auch von der gesamten Gesellschaft finanziert werden.

Das Schonvermögen für die Altersvorsorge von Hartz-IV-Betroffenen deutlich anzuheben, ist richtig.

(Paul Lehrieder (CDU/CSU): Na also! Gehtdoch!)

Mit dieser Forderung ist die Linke bei der Wahl angetreten. Bleiben Sie uns treu: Heben Sie die Vermögensfreigrenzen an! Erhöhen Sie den Hartz-IV-Regelsatz auf 500 Euro! Streichen Sie die unwürdigen Sanktionen und Schikanen für Hartz-IV-Betroffene, und führen Sie endlich das ist ganz dringend eine eigenständige Mindestsicherung für Kinder ein! Im Übrigen bin ich der Meinung: Hartz IV muss überwunden werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Den Mindestlohn haben Sie vergessen, Herr Birkwald!)

Die Rede im Web-TV:

http://webtv.bundestag.de/iptv/player/macros/_v_f_514_de/od_player.html?singleton=true&content=477782

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