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Soziale Sicherheit und gute Arbeit

Archiv Linksfraktion - Rede von Matthias W. Birkwald,

Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)

zur abschließenden Lesung des AN DIE LINKE BT-Drs. 17/659

„Weg mit Hartz IV -

Für gute Arbeit und eine sanktionsfreie, bedarfsdeckende Mindestsicherung“

06.05.2010 im Plenum des Deutschen Bundestages

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!


Wir erleben derzeit nicht allein eine Wirtschafts- oder eine Finanzkrise.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Sondern eine Krise des Denkens!)


Wir erleben eine umfassende Krise des gesellschaftlichen Zusammenhalts, Herr Zimmer. Banken und Spekulanten werden mit Milliarden gehätschelt und Hartz IV-Betroffene für ein paar Kröten gegängelt. Das ist eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit!


(Beifall bei der LINKEN - Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]:
Also doch eine Krise des Denkens bei Ihnen!)


Acht Jahre ist das Hartz-Konzept bald alt, und im Kern heißt es: Die Erwerbslosen wollen nicht arbeiten. Das war schon damals falsch. Heute Morgen hat NRW-Arbeitsminister Laumann hier im Plenum doch zugegeben: Es gibt nicht genug Arbeitsplätze; das ist das Problem.


(Beifall bei der LINKEN)


Es mangelt an guter Arbeit, nicht am Willen zu arbeiten. Die meisten Hartz-IV-Betroffenen sind aktiv. Sie arbeiten, betreuen kleine Kinder oder nehmen an Beschäftigungsmaßnahmen teil. Weniger als die Hälfte sind tatsächlich arbeitslos, und 90 Prozent von ihnen wollen dringend arbeiten. Nicht die Arbeitsmoral ist das Problem, sondern das Fehlen von Millionen Arbeitsplätzen. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der LINKEN)


Den Erwerbslosen die Schuld für ihre Situation in die Schuhe zu schieben, ist erbärmlich. Dieser Grundansatz von Hartz IV ist ein Angriff auf die Würde der Menschen. Darum sage ich: Nicht allein die einzelnen Regelungen, nicht allein das Gesetz, nein, die gesamte Hartz IV-Denke ist komplett falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Herr Kober, von Ihnen höre ich immer: Die Menschen sollen Verantwortung für sich selbst übernehmen.


(Pascal Kober [FDP]: Und für andere!)


Was heißt das konkret für Hartz IV-Betroffene? Was ist denn daran verantwortungsbewusst, sich in einem Ein-Euro-Job über alle Maßen ausbeuten zu lassen? Was ist daran verantwortungsvoll, zu jeder Zumutung Ja und Amen sagen zu müssen? Wer von Eigenverantwortung spricht, darf doch zur Entscheidungsfreiheit nicht schweigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Was dürfen die Betroffenen im Hartz IV-System denn entscheiden? Sie dürfen nichts entscheiden, rein gar nichts. „Klappe halten und setzen“, das ist das Motto von Hartz IV. Die Betroffenen haben nichts zu melden und sollen doch für alles die Verantwortung tragen. Das ist unzumutbar, schäbig, und es ist respektlos.


(Beifall bei der LINKEN)


Nur wer Nein sagen darf, kann frei für sich selbst entscheiden. Doch was passiert, wenn Hartz IV-Betroffene Nein sagen? Sie werden abgestraft. Ihnen wird so lange das Geld gekürzt - im Extremfall wird es sogar ganz gestrichen -, bis sie gefügig und willig sind. Solche Sanktionen führen zu Ängsten, Druck und Widerstand, und das lehnen wir Linken ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen - ich habe das an diesem Pult schon einmal gesagt -: Sozial ist, was Würde schafft. Darum will die Linke eine soziale Mindestsicherung für alle Menschen, die über kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen, um ihren Mindestbedarf zu decken. Wir wollen eine Mindestsicherung ohne Drohgebärden, ohne Sanktionen und ohne Angst der Betroffenen.


(Beifall bei der LINKEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:
Und wie hoch soll die sein? Sa-gen Sie einmal eine Zahl!)


Das vom Grundgesetz geschützte Existenzminimum darf nicht unterschritten werden, Herr Kolb. Überschritten werden darf es schon. Das gilt auch für die Flüchtlinge, die hier leben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Katja Kipping [DIE LINKE]: Das stand auch im Urteil!)


Die Gegenwart sieht leider noch anders aus: Billige und willige Arbeitskräfte, das ist das wirkliche Ziel von Hartz IV. Es ist kein Zufall, sondern politisch gewollt, dass ausgerechnet die Ein-Euro-Jobs das Instrument im Hartz IV-System sind, das mit großem Abstand am häufigsten eingesetzt wird. Wir reden hier nicht mehr nur über Ein-Euro-Jobs. In Nordrhein-Westfalen gibt es schon längst Null-Euro-Jobs. Ich habe hier einen konkreten Fall aus meinem Wahlkreis vorliegen, ein Angebot der Arge Köln - ich zitiere -: 0 Euro für 38,5 Stunden pro Woche und die zusätzliche Auflage, sich zu bewerben. Ich sage: Das ist ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir Linke wollen wirkliche soziale Sicherheit und gute Arbeit. Wir wollen tariflich bezahlte Jobs mit Sozialversicherung und ohne Zwang zur Arbeit. Wir streiten für eine soziale Mindestsicherung in Höhe von 500 Euro und für einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 10 Euro.


(Pascal Kober [FDP]: Eine Schätzung ins Blaue hinein!)


Wir wollen, dass die Betroffenen endlich wirklich etwas zu entscheiden haben und die Finanzinstitute zur Verantwortung gezogen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen eine Mindestsicherung, die Würde schafft. Deswegen sagen wir: Hartz IV muss weg.


Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)

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Die Rede im Web-TV:

webtv.bundestag.de/iptv/player/macros/_v_f_514_de/od_player.html

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