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Sozial- und Erziehungsberufe müssen endlich angemessen bezahlt werden!

Archiv Linksfraktion - Rede von Heidi Reichinnek,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich sehr gerne an die Wurzeln des Internationalen Frauentages. Er entstand nämlich auf Initiative sozialistischer Feministinnen – ich finde, das kann man hier durchaus erwähnen –,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

und zwar schon vor dem Ersten Weltkrieg, mit dem Ziel, für Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frauen zu kämpfen. Über 100 Jahre also – mit Unterbrechung in der Zeit des Faschismus – begehen wir in Deutschland in Ost und West den Frauentag. Ich finde, das ist eine gute Gelegenheit, zu schauen, was wir erreicht haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Fakt ist, dass nur 35 Prozent der Mitglieder dieses Hauses Frauen sind. Fakt ist, dass 40 Prozent aller Mädchen und Frauen in Deutschland über 16 Jahre körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt haben. Fakt ist, dass Frauen immer noch durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer verdienen, Frauen mit Migrationshintergrund sogar noch mal 20 Prozent weniger als herkunftsdeutsche Frauen.

Ja, es gibt 18 Prozent Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen. Ich weiß, die Ersten hier verspüren den Drang, zu rufen: Ja, das ist aber nur so, weil sie unterschiedliche Jobs machen. Wenn das der gleiche ist, ist das ganz anders. Und Frauen entscheiden sich nun mal für schlechter bezahlte Jobs. – Wirklich? Ist das eine angemessene Reaktion? Wir können uns doch nicht damit zufrieden geben, dass Frauenberufe eben schlechter bezahlt sind und direkt in die Altersarmut führen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Frau Ministerin Spiegel, Sie sagen, Sie nehmen den Kampf auf. Aber ich frage mich: Wie denn? Es wird zwar an Feiertagen darüber geredet, aber seit Jahrzehnten ändert sich an der Situation kaum etwas. Die strukturelle Ungleichheit zwischen Männern und Frauen bleibt.

Warum ist das eigentlich so? Sorge-, Pflege-, Haus- und Erziehungsarbeit wird in Berufen geleistet, ohne die eine Gesellschaft niemals funktionieren kann und in denen traditionell Frauen überrepräsentiert sind, weil es angeblich typische Frauenberufe sind. Kümmern ist eben eine weibliche Aufgabe, sagen vor allem viele Männer gern. Am liebsten würde man dieses Kümmern, diese Fürsorge zur reinen Privatangelegenheit – also von Frauen natürlich – erklären, statt sie als gesellschaftliche Aufgabe anzuerkennen. Und dieses Kümmern ist dann auch angeblich keine Leistung, sondern liegt den Frauen halt im Blut; entsprechend sieht es bei der Vergütung von Berufen in diesen Bereichen aus. Der neuen Bundesregierung ist das genauso bekannt wie der alten. Vielleicht tun Sie auch mal etwas dagegen. Ich fände das super. Wenn ich mir den Koalitionsvertrag ansehe, ist meine Hoffnung allerdings gering.

Umso wichtiger ist, dass Verdi in den nächsten Tagen in die Tarifkämpfe im Bereich Sozial- und Erziehungsdienst einsteigen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich war viele Jahre in der Jugendhilfe tätig. Soweit ich weiß, gilt das für recht wenige hier im Haus; hier sind wenige aus dem sozialen Bereich vertreten. Daher möchte ich die einmalige Chance nutzen, meinen Kolleginnen für die Tarifverhandlungen viel Kraft und Erfolg zu wünschen und ihnen an dieser Stelle für ihre Leistung zu danken.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Erik von Malottki [SPD])

Ob im Kindergarten, im Jugendtreff, in der Schulsozialarbeit – überall, wo ihr euch kümmert, leistet ihr Unglaubliches, liebe Kolleginnen, und dieses Kümmern ist keine einfache Arbeit: wenn ihr vor Erschöpfung kaum noch aufrecht stehen könnt, weil in der Kita Personalmangel herrscht, eure Überstunden sich stapeln, ihr aber eine gute Betreuung für alle Kinder wollt, wenn ihr in den frühesten Morgenstunden und bis tief in die Nacht für die Menschen da seid, weil ihr unbedingt noch der Schülerin helfen wollt, die Angst hat, am nächsten Tag in die Schule zu gehen, und wenn ihr keinen Schlaf findet, weil ihr den Gedanken nicht verdrängen könnt, dass eine der Familien, die ihr betreut, vielleicht aus der Wohnung geworfen wird. Und das sind keine fiktiven Beispiele.

Liebe Kolleginnen, ihr verdient mehr Geld und Anerkennung sowie bessere Arbeitsbedingungen. Es braucht endlich politische Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel.

(Beifall bei der LINKEN)

Euer Kampf ist auch ein feministischer Kampf, ein Kampf um die Anerkennung und Wertschätzung von Sorge, Pflege und Erziehungsarbeit. Das sind die zentralen Kampffelder, nicht irgendwelche Genderdebatten, die Sie hier immer wieder aufziehen wollen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihr kämpft nicht nur für euch, liebe Kolleginnen, sondern stellvertretend für eine solidarische, gerechte und gleiche Gesellschaft. Ja, wir führen diese feministischen Kämpfe seit Jahrzehnten. Ich bin es auch leid und hätte hier lieber eine Festrede gehalten, aber dafür gibt es noch viel zu viel zu tun.

Trotzdem schließe ich gern mit etwas Positivem: Dass die Bedeutung des 8. März und der damit verbundenen Kämpfe im rot-rot-grün regierten Berlin durch die Einführung eines Feiertages gestärkt wurde, ist ein wichtiges Zeichen, und auch, dass das rot-rot regierte Mecklenburg-Vorpommern das Gleiche plant. Links wirkt!

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)