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Sozial-ökologische Energiewende braucht breite gesellschaftliche Debatte

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

 

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):  Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Altmaier, es nutzt nichts, wenn man versucht, eine zwingend notwendige Entscheidung durch Verzögerung hinauszuschieben. Es bringt Ihnen nichts, es schadet Ihnen nur. Sie kommen aus der Sache sowieso nicht heraus. Der Ausschluss der Öffentlichkeit wird nicht funktionieren.  (Beifall bei der LINKEN – Peter Altmaier (CDU/CSU): Das hat auch niemand gesagt!) Wir haben eine japanische Atomkatastrophe erlebt. Erst jetzt haben die Behörden eingeräumt, dass es doch der höchste Schadensfall ist und dass ein Super-GAU vorliegt. Auch das hat sehr lange gedauert. Aber jetzt ist es eingestanden worden. Selbstverständlich werden wir der japanischen Bevölkerung jede uns mögliche Hilfe zukommen lassen.  Eines hat sich aber in Deutschland herumgesprochen: Ein Atomkraftwerk ist im Falle einer Katastrophe nicht beherrschbar, durch niemanden, auch nicht in Deutschland. Deshalb sind nun plötzlich alle Parteien für den Atomausstieg - irgendwann und irgendwie. Aber dafür brauchen wir keine Ethikkommission der Regierung, Herr Altmaier, die auch noch geschlossen tagen soll  (Peter Altmaier (CDU/CSU): Die tagt doch nicht geschlossen! ‑ Gegenruf des Abg. Rolf Hempelmann (SPD): Doch! Das ist so!) und von einer Regierung eingesetzt wird, die diesbezüglich völlig unglaubwürdig und inzwischen auch unberechenbar ist.  Welche Konsequenzen werden denn gezogen? Der FDP-Generalsekretär Lindner hat zum Beispiel gefordert: Alle alte Meiler müssen dauerhaft geschlossen werden. ‑ Jetzt nimmt er das wieder zurück. Dann äußern sich Herr Röttgen und Herr Brüderle und legen einen Sechs-Punkte-Ausstiegsplan vor, der alles Mögliche ist, aber kein Plan. Darin geht es zum Beispiel um den rascheren Ausbau der regenerativen Energien, aber so gut wie ausschließlich auf der Basis von Offshorewindenergie. Doch diese großen Parks können nur von den vier Energieriesen gebaut und finanziert werden.  (Horst Meierhofer (FDP): Quatsch!) Zugleich wird aber so gut wie nichts zu Photovoltaik oder Erdwärme gesagt, in die auch kleine und mittlere Unternehmen investieren könnten. Das fällt auf.  Aber selbst diese Absichtserklärung der beiden Bundesminister trifft vor allem auf Ablehnung in der Union, und zwar vonseiten der Herren Schäuble und Kauder. Sie führen drei Argumente an. Das erste Argument ist, dass es dann keine Versorgungssicherheit mehr gäbe. Das zweite ist, dass die Schuldenbremse dagegenspräche, und das dritte ist, dass die Strompreise in unzumutbarem Maße stiegen. Mit diesen drei Argumenten möchte ich mich kurz auseinandersetzen.  Das Argument der Versorgungssicherheit von Herrn Kauder ist schon deshalb falsch, weil selbst der Umweltbeirat Ihres Bundesumweltministeriums festgestellt hat, dass wir die acht alten Atomkraftwerke nicht brauchen, weil sie nur Überschüsse produzieren. Das Argument ist also falsch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)  Das zweite Argument ist die Schuldenbremse. Das finde ich spannend. Union und SPD haben die Schuldenbremse in das Grundgesetz geschrieben ‑ wir hielten das immer für falsch ‑, und jetzt wird gesagt, die Schuldenbremse hindere uns daran, Fortschritte zu machen.  (Beifall bei der LINKEN) Das ist genau das, worauf wir immer hingewiesen haben. Indirekt bestätigt uns Herr Schäuble; denn er sagt: Wir können leider nichts mehr machen. Die Politik ist handlungsunfähig. ‑ Aber in diesem Fall ist das Argument falsch, und zwar deshalb, weil die vier Energieriesen über solche Reserven verfügen, dass das Ganze sehr wohl finanzierbar ist. Darauf komme ich noch zurück.  Das dritte Argument ist das Argument der höheren Strompreise. Die FDP spricht von einem Sparpaket. Sie sagt, es müsse noch mehr Sozialabbau geben und gerade die ärmeren Schichten und die durchschnittlich Verdienenden hätten das alles zu bezahlen. Das ist der einfachste und unsozialste Weg; für uns kommt der überhaupt nicht infrage. (Beifall bei der LINKEN) Aber dahinter steckt doch etwas ganz anderes. Sie drohen mit Strompreiserhöhungen, um die Zustimmung gerade der ärmeren Schichten der Bevölkerung für die Atomenergie zurückzugewinnen. Ich sage Ihnen: Das ist übel. Mit solchen Katastrophen darf man nicht spielen, und man darf auch nicht eine solche Stimmung erzeugen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Grünen äußern sich zur sozialen Frage überhaupt nicht, und die SPD denkt in erster Linie an die Großverbraucher. Wir denken an alle Verbraucherinnen und Verbraucher. (Zurufe von der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) ‑ Ja. Sie können uns doch nicht verbieten, zu denken.  (Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir bezweifeln, dass Sie das können!) Wir denken sowohl an die durchschnittlich Verdienenden als auch an die Armen sowie an die kleinen und mittleren Unternehmen, die alle davon betroffen sind. Was wir brauchen, ist die Wiedereinführung einer staatlichen Preisregulierung. (Beifall bei der LINKEN – Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha! - Michael Kauch (FDP): Wie in der DDR!) ‑ Ich wusste, dass die FDP von Planwirtschaft redet. Wissen Sie, auch in der Bundesrepublik Deutschland herrschte in diesem Bereich die Planwirtschaft; denn bis zur Großen Koalition hatten wir eine staatliche Preisregulierung in der Bundesrepublik Deutschland.  (Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Genau!) Das haben Sie bloß nicht mitgekriegt. Waren Sie nicht im Bundestag, oder was?  Erst die Große Koalition, bestehend aus Union und SPD, hat beschlossen, die staatliche Preisregulierung abzuschaffen, und zwar mit der Begründung, dass es einen topfunktionierenden Markt gebe, der ohnehin dafür sorge, dass die Preise sinken. Nun haben aber alle Bürgerinnen und Bürger und alle Unternehmen mitbekommen, dass die Preise in der ganzen Zeit nicht gesunken, sondern ständig gestiegen sind, weil die vier Riesen sich abgesprochen haben, wie sie die Bevölkerung abzocken. So einfach ist das. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt müsste doch auch die SPD einräumen, dass das gerade genannte Argument für die Abschaffung der Preisregulierung falsch war. Es bleibt auch falsch. RWE hat übrigens durch falsche Preise sogar 2,3 Milliarden Euro abgezockt. Wo blieb da eigentlich Ihr Protest? Der wäre meines Erachtens wichtig gewesen.  Also: Wir müssen zurück zur staatlichen Strompreisregulierung. Es gibt jetzt eine große Chance für eine grundlegende Neuorientierung der ökonomischen, ökologischen, demokratischen und sozialen Grundlagen unserer Gesellschaft. Weder die Verlängerung der Laufzeiten durch die jetzige Bundesregierung noch der rot-grüne Atomkompromiss aus dem Jahr 2002 sind heute noch die Verhandlungsbasis. Wir brauchen jetzt fünf Schritte für eine sozialökologische Energiewende.  Erstens. Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte. Es kann nicht bei der Ethikkommission der Regierung bleiben. Wir brauchen, wie von der SPD beantragt, einen Sonderausschuss des Bundestages. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Entgegen dem Willen der SPD darf aber auch dieser Ausschuss nicht geschlossen tagen. Es reicht auch nicht, alles im Internet zu veröffentlichen. Das ist wichtig, und das können wir machen. Auch der Ausschuss muss jedoch die breiteste Öffentlichkeit zulassen, Fragen von den Betroffenen aufnehmen und Gespräche mit ihnen führen. Das ist das Wichtige. Wir brauchen einen wirklichen gesellschaftlichen Konsens. Die Konzepte des BUND und von Greenpeace, die keinen Platz in Ihrer Ethikkommission haben, zeigen doch, welch fundiertes Wissen und welches Ideenpotenzial in der Gesellschaft vorhanden sind. Lassen Sie uns es doch endlich nutzen, statt es ständig auszuschließen! (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Wir brauchen einen Atomausstieg mit einem Ausstiegsgesetz, damit das Ganze juristisch wasserdicht wird. Außerdem soll der Ausstieg unumkehrbar werden. Deshalb brauchen wir eine Ergänzung des Grundgesetzes. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben drei Anträge hierzu eingebracht. Herr Lindner, lesen Sie diese; das bildet.  Im ersten Antrag geht es um die dauerhafte Stilllegung der sieben alten AKW und des AKW Krümmel.  Im zweiten Antrag geht es um den Ausschluss der Übertragung der früher zugesicherten Reststrommengen für diese acht AKW auf die dann noch verbleibenden neun weiterlaufenden AKW. Das ist ganz wichtig; denn wenn diese neun AKW die Reststrommengen übernehmen, dann bedeutete das für diese eine Laufzeitverlängerung. Genau so etwas planen Sie. Das darf es auf gar keinen Fall geben. Dieser Trick darf nicht funktionieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Als Drittes haben wir beantragt, dass ein Verbot der Nutzung der Atomtechnologie für energetische Zwecke und für Waffen ins Grundgesetz aufgenommen wird. Das ist besonders wichtig, denn wenn wir das einmal im Grundgesetz stehen haben ‑ geben Sie sich doch wirklich einen Ruck ‑, garantiere ich Ihnen, dass es nie wieder eine Zweidrittelmehrheit geben wird, die dieses Verbot abschaffen kann. Das ist das Entscheidende daran. (Beifall bei der LINKEN) Zurück zu den fünf Schritten: Wir brauchen drittens eine staatliche Preisregulierung und kein Sparpaket, wie es die FDP will. Was wir wirklich brauchen, ist Steuergerechtigkeit.  Jetzt sage ich Ihnen etwas zu den Kosten für die Energiewende: In erster Linie müssen das meines Erachtens die vier Energieriesen bezahlen. Die von diesen gebildeten Rückstellungen für den Abbau der AKW in Höhe von 29 Milliarden Euro sind jetzt in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überzuleiten, damit das Geld auch wirklich für den Abbau der AKW zur Verfügung steht.  (Beifall bei der LINKEN) Aber das ist nur das eine. Außerdem müssen sie ihre Extraprofite abführen, um die Umstellung auf erneuerbare Energien zu gewährleisten.  Jetzt sage ich einmal etwas zu den Profiten dieser vier Energieriesen, damit die Bevölkerung es auch weiß: Eon, EnBW, RWE und Vattenfall haben seit 2002 einen Profit von über 100 Milliarden Euro erwirtschaftet. Dort gibt es also genügend Geld, denn die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen wurden und werden von den vier Energieriesen abgezockt.  Kleine und mittlere Unternehmen haben dagegen im Jahre 2009 ‑ vor der fälschlich durch Ihre Regierung beschlossenen Verlängerung der Laufzeiten ‑ 26,7 Milliarden Euro in die erneuerbaren Energien investiert. Wenn Sie Ihre Laufzeitverlängerung, die diese so schockiert hat, wieder zurücknehmen, sind diese auch bereit, wieder zu investieren und Mittel für die Erneuerbaren zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der LINKEN) Übrigens noch zur Ergänzung: Ich habe gesagt, dass die vier Konzerne über 100 Milliarden Euro Profit seit 2002 erwirtschaftet haben. Allein in der Krise im Jahr 2009 waren es 23 Milliarden Euro, und im Jahre 2010 waren es 30 Milliarden Euro. Solche finanziellen Reserven haben die! Da müssen Sie einmal den Mumm haben und umgekehrt auch einmal ein bisschen abzocken, und zwar durch gerechte Steuern. Das ist das, was wir fordern.  (Beifall bei der LINKEN) Selbstverständlich muss auch der Bund investieren. Erst ganz zuletzt darf man an die Verbraucherinnen und Verbraucher denken, und das muss angemessen geschehen: Das bedeutet, dass man auch finanziell schwachen Haushalten einen Sozialtarif gewähren muss. Viertens. Die überkommenen Konzernstrukturen und die marktbeherrschende Stellung der vier Stromkonzerne stehen einer wirklichen Energiewende entgegen. Die Regierung hat bewiesen, erpressbar zu sein. Jetzt erpressen die Konzerne erneut ‑ mit einem Stopp der Zahlungen in den Ökofonds. Ich sage: Wer so erpresst, darf kein Verhandlungspartner sein.  (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Energiewende gelingt dezentral oder gar nicht. Die Linke wird das Erbe von Hermann Scheer aufnehmen, das die SPD leider ausschlägt. (Michael Kauch (FDP): Erbschleicher! ‑ Ulrich Kelber (SPD): Sie kennen die Meinung von Hermann Scheer über die Linkspartei ganz genau! ‑ Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Das Erbe kommt zu den SED-Milliarden, oder wie?) Der notwendige Netzausbau muss zum Einstieg in die dezentrale kommunale Energieversorgung genutzt werden. Die Stromnetze müssen endlich in öffentliche Hand, und zwar deshalb, weil ich möchte, dass die Politik zuständig ist. In der Politik haben wir Demokratie, bei den vier Konzernen haben wir keine Demokratie. Sie wollen die Zuständigkeit der Konzerne, wir wollen die Zuständigkeit der öffentlichen Hand. (Beifall bei der LINKEN) Fünftens und Letztens. Wir brauchen höchste Energieeffizienz. Das ist auch eine soziale Frage. Darauf muss sich auch die Forschung konzentrieren. Wir haben schon vor Jahren 2,5 Milliarden Euro für einen Fonds beantragt, um Bürgerinnen und Bürgern mit einer Effizienzprämie bei der Anschaffung energiesparender Geräte zu helfen. Das gilt übrigens auch für Unternehmen; denen soll damit auch geholfen werden. Über den Fonds ist auch zusätzliche Hilfe für finanziell, das heißt sozial Schwache möglich. Wenn der Sonderausschuss gebildet würde und dazu dienen würde, den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie zu begleiten und den Einstieg in das nachatomare Industriezeitalter mit vorzubereiten, wenn er mit dazu beitrüge, eine breite und offene gesellschaftliche Debatte zu organisieren, bekäme er einen hohen gesellschaftlichen Gebrauchswert.  Hören Sie auf, zu verdunkeln! Hören Sie auf, zu vertuschen!  (Michael Kauch (FDP): Hören Sie auf, zu reden!) Lassen Sie uns die dringend notwendigen Entscheidungen hier im Bundestag treffen.  (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)