Rede in der Aktuellen Stunde zu Plänen zur zukünftigen Gestaltung des Solidaritätszuschlages
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine Aktuelle Stunde zum Thema der Gestaltung des Solidaritätszuschlags auf die Tagesordnung gesetzt. Ich will allerdings zu Beginn sagen, dass es hier aus meiner Sicht um ein viel grundsätzlicheres Problem geht. Es geht um die Rolle des Bundestages und ein Stück weit auch um die Rolle der Demokratie. Wir können ja zu dem Thema „Solidaritätszuschlag“ sehr unterschiedliche Auffassungen haben.
(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Wie zum Thema SED!)
Es ist ja auch sichtbar geworden: CDU-geführte, SPD-geführte Länder, Grüne, Linke haben dort unterschiedliche Sichtweisen. Das gilt auch für das Thema „Auslaufen des Solidarpaktes“ oder auch für die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs. Sicherlich alles sehr interessante Themen, die behandelt werden müssen.
Das Problem ist, dass es zu all diesen Themen im Bundestag eine völlige Fehlanzeige gibt. Wir reden über diese Themen überhaupt nicht.
(Manfred Grund (CDU/CSU): Mit wem sollen wir auch reden? Von Ihnen ist ja niemand da!)
Das wird in der Öffentlichkeit, in Talkshows beredet, das wird von den Finanzministern beredet, das wird von A- und von B-Ländern beredet. Dann redet der Finanzminister mit dem Hamburger Bürgermeister und macht da im Kern das aus, was sein soll. Aber, meine Damen und Herren, wir sind das gewählte Parlament. Alle diese Themen müssen doch im Bundestag behandelt werden.
(Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Das machen wir doch jetzt!)
Es muss doch eine demokratische Auseinandersetzung geben. Wir haben die Aktuelle Stunde beantragt. All diese Themen spielen überhaupt keine Rolle. Nur wir sind demokratisch legitimiert.
Ich appelliere einmal ausdrücklich an die Abgeordneten der Großen Koalition: Sie müssen dafür sorgen, dass wir hierzu streiten. Das kann ja kontrovers sein.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben doch eine Mehrheit. Aber wenigstens die Debatte muss doch möglich sein.
(Manfred Grund (CDU/CSU): Können Sie zu Ihrer eigenen Fraktion auch einmal etwas sagen?)
Wir haben jetzt die Situation, dass es so aussieht, als würde sich die Regierung ein Parlament halten, und nichts anderes. Das ist inakzeptabel. Dafür trägt die Bundeskanzlerin die Verantwortung. Wir brauchen diese Debatten.
Noch einmal: Es geht um die Zukunft. Wir wissen alle nicht, welche Konstellationen es im Jahr 2019 gibt. Wir müssen damit befasst werden. Also rein in das Parlament, rein in die Ausschüsse, Transparenz, kontroverse Debatten und dann auch Entscheidungen zu diesem Thema wie zu den anderen, die ja miteinander verbunden sind! Meine Damen und Herren allesamt, als Parlamentarier dürfen wir es nicht mit uns machen lassen, dass das in Hinterzimmern ausgekungelt wird
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und wir hier im Parlament nur noch abstimmen sollen.
Der Soli ‑ um kurz etwas zur Sache zu sagen ‑ ist im Kern eine gigantische Kommunikationsleistung der Bundesregierung. Schon der Titel ist irreführend. Der ist total klug gewählt, denn Solidarität hat in Deutschland offensichtlich einen guten Klang. Deswegen wird das auch angenommen.
Ich will aber einmal daran erinnern, wie das denn im Jahr 1991 war, als CDU/CSU und FDP dieses Gesetz eingeführt haben, und zwar mit der Begründung: erstens wegen der Mehrbelastung durch den Konflikt am Golf, zweitens wegen der Unterstützung der Länder in Mittel-, Ost- und Südosteuropa auf dem Weg zur Marktwirtschaft, und drittens für Aufgaben in den neuen Ländern, die insbesondere nach dem Zusammenbruch der früheren RGW-Absatzmärkte entstanden sind.
Also in der Bevölkerung gibt es das Gefühl, dass der Soli eine Abgabe für den Aufbau in den neuen Ländern ist. Das ist aber, wie wir alle wissen, nicht der Fall. Das ist eine allgemeine Bundessteuer, die in den großen Topf geht, so wie die Sektsteuer, die Tabaksteuer und andere Steuern. Sie geht in den Bundeshaushalt, und wir Haushälter beschließen dann, wie sie verwandt wird.
(Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Das ist so bei Steuern!)
Alle ‑ auch das will ich betonen ‑ bezahlen sie, von Rügen bis zum Bodensee, also selbstverständlich auch die Menschen in den neuen Ländern. Ich sage das, weil auch hier hin und wieder das Gerücht entsteht, dass das nicht der Fall wäre. 14 Milliarden Euro sind das.
Jetzt haben wir die komische Situation, dass es schlaue oder vielleicht nur einen ganz schlauen Journalisten gibt, der sagt: Einfach streichen, und alles ist gut. - Jede Haushälterin und jeder Haushälter weiß, dass wir das nicht mit einem Federstrich einfach so machen können. Das ist ja unbestritten.
Deswegen gibt es eben auch hier einen Zusammenhang von auslaufendem Solidarpakt und Länderfinanzausgleich. Das ist nur im Gesamtpaket auflösbar. Wir brauchen insgesamt eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, einschließlich einer entsprechenden Aufgabenverteilung zwischen den unterschiedlichen Ebenen.
(Beifall bei der LINKEN)
Da gibt es eine gemeinsame Aufgabe, und wir könnten das mit einer wirklichen Steuerreform in Deutschland verbinden. Jetzt haben wir doch die Situation, wenn einer das Wort Steuern in den Mund nimmt, dass es heißt: Um Gottes willen, um Gottes willen, Steuererhöhung! - Dann ist alles sofort tot. Darum geht es überhaupt nicht. Wir brauchen eine grundsätzliche Debatte. Die jetzige Situation ‑ der totale Stillstand, keine Bewegung auf diesem Gebiet ‑ ist aus meiner Sicht in jedem Fall falsch. Wir müssen das in jedem Fall mit der Auseinandersetzung um die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland verbinden. Das kann auch eine Auseinandersetzung im Wahlkampf des Jahres 2017 sein. Aber wir müssen darüber streiten, und es muss nachvollziehbar sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb ist unsere, meine Forderung: Wir brauchen dringend eine Föderalismuskommission III, in der diese Fragen behandelt werden. Sie ist dringend notwendig. Dies muss entschieden werden, damit es eine klare Verantwortlichkeit gibt und die Menschen im Lande wissen, wer für welche Aufgabenverteilung und welche Finanzverteilung steht.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)