Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
das Schengener Informationssystem der zweiten Generation - eine unendliche Geschichte. Mehr noch: Eine Geschichte die zeigt, wie technisches Unvermögen auf antidemokratisches Verhalten trifft und so den Weg, an den nationalen Parlamenten vorbei, in den Überwachungsstaat ebnet. Aber worum geht es im Einzelnen?
Seit Jahren wird in der Europäischen Union, nicht erst seit dem Beitritt von zehn weiteren Staaten 2004 zur EU, über eine Erweiterung des Schengener Informationssystems diskutiert. Eilig verständigte man sich im Rat darauf, künftig nicht nur biometrische Daten hierin aufzunehmen, sondern weiteren Behörden und Institutionen den Zugriff auf die personenbezogenen Daten im SIS zu ermöglichen. 2005 legte die Europäische Kommission Vorschläge für die Einführung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation vor. Seitdem ist es schwer, detaillierte Informationen über das Projekt zu erhalten. Die Informationspolitik der Bundesregierung und des zuständigen Rates für Justiz und Inneres der EU, und dies legt der hier zur Diskussion gestellte Antrag der Grünen treffend dar, ist höchst intransparent. Eine Beteiligung beispielsweise des Bundestages und des Europäischen Parlaments an der konkreten Ausgestaltung von SIS II war nicht oder nur ungenügend vorgesehen.
Hinzu kommen - so die offizielle Darstellung - technische Probleme, so dass die Inbetriebnahme des SIS II im März 2007 endgültig verschoben werden musste. Nun wird mit Hochdruck an einer Übergangslösung gearbeitet, an dem so genannten SIS one for all, welches bis Dezember diesen Jahres in Betrieb gehen soll. Spätestens aber im März 2008. So ganz genau wissen dies die Verantwortlichen in Brüssel anscheinend auch nicht, wie die aktuelle Fassung der europapolitischen Vorausschau für den Innenausschuss darlegt.
Eines ist indes sicher: Die Erweiterung des Informationssystems beinhaltet nicht nur die Anhebung der zu den einzelnen Personen gespeicherten Datensätze, der Speicherungsdauer dieser, die Verwendung biometrischer Daten, sondern umfasst auch das Fehlen eines Rahmenbeschlusses zum Datenschutz in der Dritten Säule und der zu erwartende Zugriff von nationalen Geheimdiensten auf das Informationssystem.
Dabei scheint es die Innenminister der Mitgliedstaaten der EU wenig zu stören, dass Informationen der Geheimdienste, die demnach Eingang in das SIS der zweiten Generation finden sollen, nicht zwangsläufig auf gerichtsfesten oder belegbaren Tatsachen beruhen müssen, sondern meist spekulativer Natur sind. Diesen Umstand verschärft insbesondere eine Regelung, nach der so genannte Drittstaatenangehörige im SIS II zwecks Einreiseverweigerung ausgeschrieben bzw. vermerkt werden können, wenn sie eine „Bedrohung für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit“ darstellen. Die Anwendung dieser schwammigen Vorgabe erfolgt von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich. Eine europaweite Lösung dieses konkreten Problems bei der Verwendung des SIS II wurde nicht gefunden. Die Folgen sind klar: Im Extremfall kann diese Vorgabe genutzt werden, um Menschen in Zukunft von legitimen und demokratischen Protesten, wie zum Beispiel denen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm, fern zu halten und gar nicht erst einreisen zu lassen. Grenzen werden dadurch nicht abgebaut, wie ursprünglich mit dem Schengener Vertrag vorgesehen, sondern neue Zäune errichtet.
Ungeklärt bleibt zukünftig auch, ob es eine Informationspflicht gegenüber Personen die im SIS ausgeschrieben sind, geben wird. Die ist Voraussetzung dafür, dass Menschen ihre Rechte, wie das Recht auf Berichtigung oder Löschung eines entsprechenden Eintrages vor einem Gericht erwirken können.
Heute nun liegt uns ein Antrag der Grünen vor, der mehr Transparenz für den europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Hinblick auf das Schengener Informationssystem fordert. Dieses Anliegen findet die Unterstützung der LINKEN. Gleichzeitig aber, und dies muss eben auch erwähnt sein, frage ich mich, warum die Fraktion der Grünen so zahnlos in ihrem Antrag argumentiert und damit hinter der Arbeit ihrer eigenen Europaparlamentarier zurückfällt. Das Europäische Parlament hat sich, neben zahlreichen datenschutzrechtlichen Bedenken, klar und deutlich gegen einen Zugang von Geheimdiensten zum SIS II ausgesprochen. Hierzu der Berichterstatter des EP, Herr Carlos Coelho am 25. Oktober 2006: „Die Abgeordneten weigerten sich jedoch, dem Vorhaben des Ministerrates zuzustimmen und auch den nationalen Geheimdiensten Zugriff zum System zu gewähren. Der Vorschlag, den Geheimdiensten Zugang zu SIS II zu geben, macht keinen Sinn“.
Die deutschen Grünen wiederum wollen durch ihren Antrag lediglich festgestellt wissen, dass der Deutsche Bundestag den Versuch der Bundesregierung missbilligt, den Geheimdiensten einen direkten Zugriff auf die Daten des SIS II zu ermöglichen. Weiter heißt es, dass der „Deutsche Bundestag […] hofft, dass der Rat das Abstimmungsverhalten des Europäischen Parlamentes in diesem Punkt übernehmen wird“. Ich frage mich, warum Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser zentralen Stelle so zurückhaltend agieren und argumentieren. Denn auch Sie stellen doch völlig zu Recht fest, dass mit der Öffnung des SIS II für nationale Geheimdienste eine Aushebelung der in Deutschland verfassungsrechtlich verankerten Trennung von Polizei und Geheimdiensten stattfindet. Überdies frage ich mich, warum Sie sich nur gegen einen „direkten Zugriff auf die Daten des SIS II“ durch Geheimdienste aussprechen. Wir wissen doch alle, dass über EUROPOL Informationen aus dem SIS II auch Geheimdienste erreichen werden. Die europäische Polizeibehörde wird nach ihrer Reform, die bereits beschlossene Sache ist, nicht nur mit am Tisch der SIS II-Zugriffsberechtigten sitzen, sondern eben auch die Möglichkeit haben, erhaltene Daten an Dritte weiterzureichen. Also auch an Geheimdienste. Hinzu kommt, dass mit der Reform von EUROPOL eine demokratische Kontrolle des Polizeiamtes durch das Europaparlament oder die nationalen Parlamente weiterhin nicht vorgesehen ist. Doch dazu verlieren sie in ihrem Antrag leider kein Wort. Dabei zeigt doch dieses eine Beispiel anschaulich, dass das SIS der zweiten Generation nicht als geschlossenes System betrachtet werden kann, sondern weitere Aspekte und Institutionen in die Bewertung des Systems einbezogen werden müssen.
Ihre Hoffung meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, der Rat würde das Abstimmungsverhalten des Europäischen Parlaments übernehmen, hilft dem EP keinen Schritt weiter. Eine Stärkung demokratischer Mitsprache und Kontrolle, gerade durch eine Stärkung des Europaparlaments im europäischen Institutionengefüge sieht anders aus.
DIE LINKE kann dem Ansinnen der Grünen insoweit zustimmen, als dass auch wir den Zugang von Geheimdiensten zum SIS II verhindern wollen und auch wir uns gegen die Verwendung biometrischer Daten aussprechen. Dennoch können wir Ihrem Antrag als Gesamtprodukt nicht unsere Zustimmung geben. Neben dem bereits skizzierten sprechen vor allem zwei Gründe dagegen:
Zum einen können wir es nicht mittragen, die Bundesregierung aufzufordern - und so ist es in Ihrem Antrag formuliert worden - einen „eindeutigen Zeitrahmen für die Einführung von SIS II“ vorzulegen. Zuvor sind für uns andere, wesentliche Fragen um das SIS II und SIS one for all zu klären.
Zum zweiten können wir der Forderung unter Punkt sechs nicht zustimmen, wonach dafür Sorge zu tragen sei, „dass der Datenschutz bei Polizei und Justiz durch einen Rahmenbeschluss europaweit auf hohem Niveau harmonisiert und eine effektive Datenschutzkontrolle auf nationaler und europäischer Ebene gewährleistet wird“. Diese Forderung ist im Kern zwar richtig, aber hier kausal der Einführung von SIS II nachgeordnet. Für DIE LINKE aber ist der Entscheid über einen Rahmenbeschluss zum Datenschutz in der Dritten Säule Voraussetzung für Beschlüsse weiterer Maßnahmen im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Sie wissen so gut wie ich, dass ein solcher Rahmenbeschluss seit Jahren von den Regierungen der Mitgliedstaaten hinausgezögert wird, um rechtlich und demokratisch fragwürdige Projekte wie das SIS II oder die Überführung des Vertrages von Prüm problemlos umzusetzen. Gerade im Bereich der Dritten Säule sucht man demokratische Kontrollmechanismen vergeblich. Wir fordern deshalb: Zuerst einen Rahmenbeschluss mit hohen Standards über den Datenschutz in der Dritten Säule und danach eine Debatte über europäische Maßnahmen im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit. Diese allerdings müssen dann in einem anderen Stil und in anderen Verfahren geführt werden, d.h. öffentlich, transparent und bürgerrechtsfreundlich.
Schließlich hat es mich doch stark verwundert, als ich Ihren vorliegenden Antrag gelesen habe, warum sich die Grünen im Innenausschuss bei unserem Antrag 16/3619, der den Zugriff von Geheimdiensten auf das SIS II verhindern will, der Stimme enthalten haben. Unser Antrag ist wesentlich konkreter und gibt Innenminister Dr. Wolfgang Schäuble ein klares Abstimmungsverhalten im Rat an die Hand.
Ich hoffe deshalb heute auf Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. Damit hätten wir dann das eine Problem der Geheimdienste in Bezug auf SIS II vorerst gelöst, vor allem vor dem Hintergrund der notwendigen einstimmigen Entscheidung im Rat über SIS II, und können dann gemeinsam Fragen des Datenschutzes in der Dritten Säule und schließlich die endgültige Überwindung der derzeitigen Konzeption des SIS der zweiten Generation diskutieren und angehen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Zu Protokoll gegeben)
SIS II abschalten
Archiv Linksfraktion -
Rede
von
Jan Korte,