Sehr geehrte Damen und Herren,
allenthalben werden in der Debatte über qualitative Veränderungen unserer Gesellschaft und ihrer ökonomischen Grundlagen Schlagworte wie „Wissensgesellschaft“, „Informationsgesellschaft“ oder neuerdings auch „Bildungsrepublik“ gebraucht.
Abgesehen davon, dass diese Begriffe eher interessengeleitet als objektiv beschreibend verwendet werden, enthalten sie doch auch Wahres: Die Bedeutung von Wissen und Kreativität, aber auch von Kommunikation und Information steigt weiter stark an. Diese Kompetenzen werden immer mehr zu wichtigen Produktionsfaktoren im gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Bereich. Wenn unsere Gesellschaft sich also in umfassendem Sinne weiterentwickeln will, muss sie die Verbreitung des Wissens fördern und die kreativen Kompetenzen der Menschen herausfordern.
Mit dem Bedeutungszuwachs des Wissens stiegen auch dessen Verwertungsmöglichkeiten als lukrative Handelsware. Dieser schlichte Bezug zur „Wissensgesellschaft“ meint, dass sich heute mit wissensintensiven Gütern mehr Geld verdienen lässt als früher, und das auch im Bildungs- und Forschungsbereich. Sowohl Schulbuch- wie auch Wissenschaftsverlage konnten ihre Umsätze und Gewinne in den vergangenen Jahren stark steigern. Der Zugang zu Wissen wird dadurch jedoch verknappt. Hochschulen müssen Zeitschriften abbestellen, Schulen sparen am Lehrmaterial und Familien an Kinderbüchern, um die steigenden Beschaffungskosten abzufangen. Dabei profitieren weniger die Kreativen und Wissenschaftler von dieser Entwicklung, denn sie schließen zumeist Abtretungsverträge mit den Verwertern ab. Die Digitalisierung von Inhalten erweist sich in diesem Prozess als zweischneidiges Schwert: Zum einen ist prinzipiell die Verbreitung auf Basis des Internets fast ohne Kosten möglich, zum anderen sind jedoch Möglichkeiten des Rechtemanagements durch die Verlage und Firmen im Vergleich zur Papierform stark angestiegen.
Mit einem Wort: Die technischen Möglichkeiten sind den gesellschaftlichen Regularien bei der Schaffung von Gemeinnutzen weit voraus. Es leuchtet ein, dass hier zwischen kommerziellen Verwertern des Wissens und den Nutzern ein Interessenwiderspruch besteht. Die Gesellschaft muss infolgedessen eine Güterabwägung vornehmen, wobei die beiden genannten Bereiche Bildung und Wissenschaft als Schlüsselsektoren einer wissensbasierten Gesellschaft besonderer staatlicher Förderung bedürfen.
Der Gesetzgeber hat im Jahr 2003 daher als vorsichtigen, aber richtigen Schritt eine Regelung im Urheberrechtsgesetz verankert, die es Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen ermöglicht, urheberrechtlich geschützte, sogenannte kleine Werke und Teile von Werken in internen Netzwerken in digitaler Form einem begrenzten Personenkreis zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise dienen sie fördernswerten Zwecken, ohne die Verwertungskreisläufe zu boykottieren. Denn für diese Nutzung zahlen die Einrichtungen bzw. ihre Träger pauschale Nutzungsgebühren. Die Vorbehalte gegen eine solch leichte Öffnung des Urheber- und Verwerterschutzes, mithin die Angst vor Kontrollverlust durch Verlage und Produktionsfirmen war und ist groß. Zudem ist die Verteilung der gezahlten Pauschalen durch die Verwertungsgesellschaften noch ein Problem. Daher ist diese Regelung zuerst bis 2006 und dann - aufgrund unzureichender Evaluierungsergebnisse - bis zum Jahr 2008 befristet worden.
Die erneute Evaluierung durch das Bundesministerium der Justiz in den letzten zwei Jahren bezieht Befragungen aller Beteiligten ein und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Die genannte Regelung hat sich bewährt. Sie trägt dazu bei, das Lehrangebot in Schulen und Hochschulen aktuell zu halten und qualitativ zu verbessern. In Forschungseinrichtungen werden vor allem Kooperationen und Kollektivarbeiten befördert. Zudem habe selbst der Börsenverein des deutschen Buchhandels bisher keine nennenswerten Umsatzeinbußen infolge der Ausnahmeregelungen feststellen können. Eine Erweiterung des § 52 a Urheberrechtsgesetz, wie Schulen und Forschung forderten, könne das BMJ zwar nicht empfehlen, eine nochmalige Befristung sei jedoch in keinem Fall begründbar.
Ich bin erstaunt, dass Sie, liebe Koalitionäre, nach diesem eindeutigen und gut belegten Plädoyer aus dem Bericht nun trotzdem eine Befristung beantragen. Trauen Sie Ihrem Ministerium nicht? Oder hat hier die Lobbyarbeit von Verlagen und Verbänden Wirkung gezeigt? Eine nochmalige Befristung um vier Jahre hilft doch niemandem! Sie behindert den Auf- und Ausbau von Intranets in Schulen und Hochschulen durch mangelnde Nutzungsperspektiven, führt dennoch nicht zu mehr Erkenntnissen in der Folgenabschätzung.
Und zur FDP: Sie haben sich in der Sitzung des Bildungsausschusses als Partei des Eigentums dargestellt und wollten den § 52 a am liebsten ganz abschaffen. Das ist konsequent. Wie verträgt sich diese restriktive Haltung jedoch mit Ihrer Rhetorik von Wissenschaftsfreiheit und Bildungsaufschwung? Der FDP steht die genannte Güterabwägung offensichtlich noch bevor. Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Grünen zustimmen, der eine Entfristung des § 52 a vorschlägt. Kompromisse zwischen widerstreitenden Interessen, die sich nachweislich in der Praxis bewährt haben, sollte man um der Planungssicherheit der Beteiligten willen beibehalten. Trotzdem, das darf ich hier anfügen, kann diese Regelung nicht der letzte Schritt auf dem Weg zu einem bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrecht gewesen sein.
Die Linke fordert, wie der Bildungsausschuss, eine dritte Novelle des Urheberrechtsgesetzes, in dem der „Open Access“-Gedanke umfassend eingearbeitet ist und dem Recht auf Bildung und Informationsfreiheit Vorrang vor der kommerziellen Verwertung eingeräumt wird.