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Schwarze Null oder schwarzes Loch?

Archiv Linksfraktion - Rede von Gesine Lötzsch,

Debatte über den Bundeshaushalt 2014, Etat des Bundeskanzleramtes

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt wollen wir einmal ehrlich übers Geld reden.

(Beifall bei der LINKEN)

"Die Zocker sind zurück", heißt es im Handelsblatt in einem Artikel vom Vortag. Das stimmt leider. Es werden wieder hochriskante Geschäfte mit gefährlichen Schrottanleihen gemacht. Firmen, die nur eine eingeschränkte Kreditwürdigkeit besitzen, bekommen von den Geldhäusern wieder Geld. Das Geschäft mit hochriskanten Krediten hatte im Jahr 2008, dem Krisenjahr in Europa, ein Volumen von fast 80 Milliarden Dollar, vier Jahre später von 90 Milliarden Dollar. Auch die verschachtelten Kreditverbriefungen, die 2008 ein Auslöser der Finanzkrise waren, verkaufen sich wieder prächtig. Die Vorläufer einer neuen Finanzkrise sind für jeden, der es sehen will, sichtbar. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsbank, dürfen davor nicht die Augen verschließen und hier heile Welt spielen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Merkel, Sie haben sich hier als Vorreiterin der Regulierung dargestellt. Das stimmt nicht; das lässt sich in der Realität nicht nachweisen. Ganz im Gegenteil: Alle guten Vorsätze, die Finanzmärkte zu regulieren, scheinen vergessen. Ich darf Sie an Ihre eigenen Worte erinnern. Sie sagten am 5. Oktober 2008 - Zitat -:

Wir sagen außerdem, dass diejenigen, die unverantwortliche Geschäfte gemacht haben, zur Verantwortung gezogen werden.
Dafür wird die Bundesregierung sorgen. Das sind wir auch den Steuerzahlern in Deutschland schuldig. Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein.

Frau Merkel, ich frage Sie: Wer wurde denn nun wirklich zur Rechenschaft gezogen? Warum dürfen Zocker jetzt schon wieder unverantwortliche Geschäfte machen? Warum haben Sie die Finanzmärkte nicht wirksam reguliert?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann Ihnen die Antwort geben: Sie haben vor diesen Finanzmärkten bedingungslos kapituliert. Das werden wir nicht akzeptieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben den Banken sogar noch goldene Rettungsschirme aufgespannt. Auch hierzu gibt es ein Zitat, jetzt von Herrn Schäuble. Am 24. Juli 2010 erklärten Sie:
Solange Angela Merkel Bundeskanzlerin ist und ich Finanzminister bin, würden Sie diese Wette verlieren. Die Rettungsschirme laufen aus. Das haben wir klar vereinbart.
Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Der Rettungsschirm ESM existiert und arbeitet streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit im Interesse der Banken. Wir wollen endlich wissen, was mit unserem Geld geschieht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

In der Süddeutschen Zeitung stand Anfang der Woche ein Artikel mit der Überschrift "Der Geruch absterbender Demokratie". Ich zitiere daraus:

Diese Gegenwart bringe eine Art "Überbürger" hervor, der den Restbürgern keine Rechenschaft mehr schuldig sei. Verfassungen und soziale Übereinkünfte haben Grenzen, die Finanzwelt nicht.
Meine Damen und Herren von der Regierung, Ihre bedingungslose Kapitulation vor den Finanzeliten, den Überbürgern, bedroht die Existenzen von Millionen von Menschen in unserem Land, in Europa und in der ganzen Welt. Das können wir nicht länger hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre bedingungslose Kapitulation vor den Finanzeliten bringt reihenweise Demokratien in Europa ins Wanken. Sie müssen sich doch fragen: Warum erstarken faschistische, rassistische und antisemitische Parteien in vielen Staaten Europas? Die letzten Wahlen haben es gezeigt. Sie erstarken, weil die herrschende Politik in Brüssel und in Berlin versagt hat, weil die Politik ihre Versprechen immer wieder gebrochen hat.

Immer mehr Menschen gewinnen den Eindruck, dass die Politik ihnen keine Sicherheit vor den Finanzmärkten bieten kann. Sie fühlen sich von den "Überbürgern" auf dem Finanzmarkt, auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Wohnungsmarkt schutzlos ausgeliefert. Wenn viele Menschen die Hoffnung verlieren, dann müssen wir uns doch fragen: Was folgt daraus? Hoffnungslosigkeit fördert entweder Aggression oder grenzenlose Gleichgültigkeit gegenüber der Demokratie. Das müssen wir gemeinsam verhindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schäuble erklärt als Finanzminister immer gern, dass die anderen Staaten die Finanzmarktregulierung nicht wollten und auch eine Finanztransaktionsteuer in Europa kaum umsetzbar sei. Aber, Herr Schäuble, sind Sie in Europa wirklich so wenig durchsetzungsfähig? Ich glaube das nicht. Ich traue Ihnen mehr zu, wenn Sie nur wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum gelang es dieser Bundesregierung, brutale Kürzungspakete in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien durchzusetzen, von denen sich diese Länder noch in zehn Jahren nicht erholt haben werden? Warum gelingt es der Bundesregierung, ganze Staaten neoliberal umzukrempeln, aber warum soll es ihr nicht gelingen, die Finanzmärkte zu regulieren? Das ist nicht zu verstehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber machen wir es etwas kleiner. Wenn die Bundesregierung sich angeblich in Europa nicht durchsetzen kann, wenn es um die gerechte Besteuerung von Spekulanten geht, warum fangen Sie nicht einfach in Deutschland damit an? Frau Merkel, Sie haben gesagt, Deutschland sei Vorreiter der Regulierung. Darum frage ich Sie: Warum gibt es nicht wenigstens in Deutschland eine Finanztransaktionsteuer? Das wäre doch der logische Anfang.

(Beifall bei der LINKEN)

In Deutschland kann niemand diese Bundesregierung daran hindern, ein gerechtes Steuersystem einzuführen und die Finanzeliten in ihrem desaströsen Handeln einzuschränken, außer dieser Regierung selbst. Aber   Herr Kauder hat es gerade noch einmal unterstrichen   mit dem Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD selbst schwere Ketten angelegt. Es ist, finde ich, ein beispielloser Akt der Selbstfesselung; denn dieser Koalitionsvertrag schließt Steuergerechtigkeit definitiv aus. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Deutschland ist nach Analysen des Internationalen Währungsfonds eines der wenigen Länder in Europa, das sein Potenzial, seine Spielräume bei den Staatseinnahmen nicht nutzt. Dieser Spielraum macht nach Aussagen des Internationalen Währungsfonds, also nicht der Linken, immerhin rund 80 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen aus. 80 Milliarden! Stellen Sie sich das einmal vor: Mit 80 Milliarden Euro könnte man eine wirklich gerechte Rentenreform beschließen, ohne die Kassen zu plündern. Man könnte endlich das Kindergeld erhöhen. Es ist doch eine lächerliche Aktion, dass man die versprochene Erhöhung des Kindergelds ins Irgendwann, ins Nirwana verschiebt, nur um von der schwarzen Null weiter träumen zu können. Von der schwarzen Null haben die Kinder und ihre Familien wirklich nichts, Herr Schäuble.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nein, die Regierung will diese großen Spielräume nicht nutzen. Sie hat sich selbst Ketten angelegt, wenn es um die gerechte Besteuerung von Vermögenden geht. Sie hat sich auch Ketten angelegt, wenn es um die steuerliche Entlastung der Mittelschicht geht, die unter der kalten Progression leidet. Wir finden als Linke: Das ist verantwortungslos und sozial ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

In den letzten Monaten wurde viel über den Fußballmanager Hoeneß in den Medien berichtet. Sie erinnern sich: Er hatte an den Steuerbehörden vorbei unbemerkt 28,5 Millionen Euro an Steuern hinterzogen. Aber warum fragt eigentlich niemand, wieso so viele Steuerbetrüger in unserem Land unentdeckt bleiben können? Ich kann Ihnen die Frage relativ leicht beantworten. Allein in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Steuerberater um 30 Prozent und die der Steueranwälte sogar um 60 Prozent gestiegen. Aber im gleichen Zeitraum wurden in den Finanzämtern, die die Kontrolle ausüben, 5 Prozent der Stellen abgebaut. Das passt doch wirklich nicht zusammen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch das scheint in Vergessenheit geraten zu sein: Der Bundesfinanzminister hatte sich verpflichtet, 500 Prüfer beim Bundeszentralamt für Steuern einzustellen. Diese Prüfer des Bundesamtes sollten die Kollegen aus den Ländern bei der Kontrolle von Unternehmen unterstützen. Doch weder der Bundesfinanzminister noch die Landesfinanzminister haben offensichtlich ein Interesse daran, Unternehmen bei der Steuergestaltung auf die Schliche zu kommen.

Mein Fazit: Diese Bundesregierung hat auch in Deutschland kein Interesse, alle Bürgerinnen und Bürger gleich zu behandeln. Diese unhaltbaren Zustände wollen und müssen wir ändern, wenn die Menschen nicht den Glauben an Demokratie und Gerechtigkeit verlieren sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ob diese Bundesregierung zukunftsfähig ist, wird sich daran zeigen, ob sie es schafft, den Finanzmarkt zu regulieren. Auch ein ausgeglichener Haushalt wäre nichts wert, wenn er von der nächsten Finanzkrise aufgefressen würde. Diese Erfahrung musste übrigens   wollen wir noch einmal an ihn erinnern   der damalige Finanzminister Peer Steinbrück machen, der 2008, kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise, hier im Deutschen Bundestag stolz die schwarze Null an die Wand malte. Er sagte damals noch   wir erinnern uns auch daran  , die Finanzkrise habe nur etwas mit Amerika zu tun. Amerika war dann schnell sehr nah. Auch daran sollten wir uns erinnern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Von der schwarzen Null von Peer Steinbrück blieb ein schwarzes Loch übrig, in dem die Bundesregierung Milliarden für die Rettung von Banken versenkte. Die schwarze Null wurde damals den Banken geopfert. Das darf sich nicht wiederholen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)