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Schlechte Noten für die Bundesregierung

Archiv Linksfraktion - Rede von Gesine Lötzsch,

In diesem Jahr werden mit dem Haushalt 260 Milliarden Euro verteilt. Die Bundesregierung behauptet im gleichen Atemzug, dass es nichts mehr zu verteilen gibt. Das klingt unlogisch, ist es aber nicht. Es gibt zwar an die Mehrheit nichts zu verteilen, eine Minderheit wird jedoch eher diskret bedient.Wir als Linke schenken den Menschen reinen Wein ein. Gesine Lötzsch in der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 08 / Bundesministerium der Finanzen.

Meine Damen und Herren! Am 4. Juli gibt es an den Berliner Schulen Zeugnisse und die Empfehlung für die weiterführenden Schulen. Nach diesen Haushaltsberatungen komme ich, wie sicher auch viele Wähler, zu dem Schluss: Diese Bundesregierung ist stark versetzungsgefährdet. Eine Empfehlung für die gymnasiale Oberstufe würde wohl kein Regierungsmitglied erhalten, wenn die Wähler entscheiden könnten. (Beifall bei der LINKEN) Die Aufgabenstellung war klar: Die Bundesregierung war von den Wähler beauftragt, die Arbeitslosigkeit zu senken. Diese Aufgabe hat sie nicht erfüllt. Sie hat sich einfach andere Aufgaben gesucht, die ihnen keiner gestellt hat, zum Beispiel das SGB-II-Optimierungsgesetz. Herr Müntefering hat es als seine Aufgabe angesehen, die Kosten für Hartz IV zu senken allerdings auf Kosten der Arbeitslosen. Dabei war es die eigentliche Aufgabenstellung, die Arbeitslosen nicht nur zu fordern, sondern auch zu fördern. Aber was machen Herr Müntefering und Herr Beck, der Parteivorsitzende der SPD? Sie beklagen, obwohl sie es besser wissen, in einer unerträglich populistischen Art die angebliche Faulheit und Raffgier der Hartz-IV-Empfänger. Das ist unerträglich und unerhört. Wir als Linke werden uns dagegen immer wehren. (Beifall bei der LINKEN) Denn man kann die Menschen noch so drangsalieren und piesacken, sie werden keine Arbeitsplätze bekommen, wenn es nicht ausreichend Arbeitsplätze gibt. Dieser Populismus gefällt einigen CDU- und SPD-Wählern, die sich an Stammtischen das Maul über die Arbeitslosen zerreißen. (Norbert Barthle (CDU/CSU): Ausgerechnet Sie sprechen von Populismus!) Allerdings bringt uns das keinen Schritt weiter bei der Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Ich habe daraus übrigens gelernt, dass Populismus nicht ein Privileg von Oppositionsparteien ist. Er wird offensichtlich auch von mittelgroßen Volksparteien genutzt, um Stimmung gegen Arbeitslose zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Genauso populistisch finde ich es, wenn Herr Müntefering behauptet, dass viele Arbeitslose Angebote ablehnen. Viele können aus ihren Abgeordnetensprechstunden gegenteilige Beispiele erzählen. Ich sage Ihnen einmal eines aus meiner Sprechstunde: Da ist ein Mann Anfang 40, mit Frau und Kindern , der eine Umschulung zum Physiotherapeuten machen möchte. Er hat bereits eine Einstellungszusage eines zukünftigen Arbeitgebers, doch die Arbeitsagentur will die Ausbildung nicht bezahlen. Sie bietet ihm dafür einen Job als Pizzaausfahrer in Köln an. Das ist doch absurd; mit einer nachhaltigen Arbeitsmarktpolitik hat das nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Herr Müntefering hat im Wahlkampf über Frau Merkel geäußert: „Sie kann es nicht.“ Heute müssen wir feststellen: Er kann es auch nicht. (Beifall bei der LINKEN) Finanzminister Steinbrück gehört zu denjenigen, die gerne etwas von Nachbarn abschreiben. Dumm ist nur, wenn der Nachbar einen Fehler gemacht hat. Das fällt dem Lehrer in der Regel auf. Herr Steinbrück hat von seinem Vorgänger, Herrn Eichel, abgeschrieben. Der hatte es nämlich in kürzester Zeit geschafft, auf Steuereinnahmen in Höhe von mehr als 50 Milliarden Euro zu verzichten. Damit hatte er die Hoffnung verbunden, dass die Unternehmen, die von diesen Steuerreformen am meisten profitierten, die gesparten Mittel in neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze investieren würden. Das ist bekanntlich nicht passiert. Aber der aktuelle Finanzminister macht den gleichen Fehler. Er hebt die Mehrwertsteuer ab dem 1. Januar 2007 um 3 Prozentpunkte von 16 auf 19 Prozent an die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik und ein Griff in die Taschen der kleinen Leute. Pro Prozentpunkt will der Finanzminister 8 Milliarden Euro einnehmen. Komischerweise wird die geplante Unternehmensteuerreform dieses Ministers die Steuerzahler ebenfalls 8 Milliarden Euro kosten. Das heißt, die Einnahmen aus einem Prozentpunkt Mehrwertsteuererhöhung fließen direkt an die Unternehmen. - Meine Damen und Herren, ich finde, jeder hat das Recht, Fehler zu machen. Doch wissentlich Fehler zu wiederholen, das ist schon beängstigend und ein Fall für den Schulpsychologen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms (FDP)) Minister Tiefensee ist schon deshalb versetzungsgefährdet, weil ihn nie jemand gesehen hat. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie sind blind, Frau Lötzsch, absolut blind! Schauen Sie doch einmal zur Regierungsbank!) Der Aufbau Ost hat in dieser Legislaturperiode bisher noch nicht stattgefunden. In einem Interview mit Herrn Tiefensee habe ich jetzt gelesen, dass er gerne im Verborgenen arbeitet. (Lachen bei der LINKEN) Doch das scheint nicht erfolgreich zu sein. (Beifall bei der LINKEN) Der Finanzminister hat schon angekündigt, dass er Herrn Tiefensee in Zukunft 100 Millionen Euro für den Aufbau Ost wegnehmen will. Das ist Geld, das für die Gemeinschaftsaufgabe in Ostdeutschland gebraucht wird. Ich habe auch gehört, dass sich der Ostbeauftragte der Bundesregierung über die angebliche Verschwendung von Solidarpaktmitteln öffentlich beklagt. Ich halte das im Gegensatz zu meinem Vorredner für eine Anbiederei bei den Herren Koch und Stoiber. Es ist richtig: Mittel, die für Investitionen gedacht sind, sind in den konsumtiven Bereich geflossen, allerdings um die Erfüllung von Pflichtaufgaben der Länder und Kommunen abzusichern. Der Osten verjubelt das Geld nicht. Die Steuereinnahmen der neuen Länder und der Gemeinden in Ostdeutschland sind im Vergleich zu denen in den alten Ländern so niedrig, dass man dort nicht einmal mehr seine Pflichtaufgaben erfüllen kann. In Anbetracht der dramatischen Situation im Osten ist es ein Gebot der Vernunft, die Nutzung der Solidarpaktmittel flexibler zu gestalten, so wie es übrigens auch der Ministerpräsident Thüringens, Herr Althaus von der CDU, gefordert hat. (Iris Gleicke (SPD): Den würde ich ja nun nicht als Kronzeugen heranziehen!) Er will die Mittel für Bildungsinvestitionen nutzen dürfen. Wir brauchen im Osten nicht noch mehr Autobahnen, sondern Investitionen in die Köpfe, also in Schulen und Universitäten. Die Kriterien für die Vergabe der Mittel sind überholt. Doch es gibt eine breite Front von Personen, die diese Kriterien nicht ändern wollen. Sie haben nämlich kein Interesse daran, dass im Osten mehr Geld in die Bildung gesteckt wird. Noch fataler ist allerdings die Abwesenheit des so genannten Ostministers bei der Föderalismusreform. Nur so viel wir werden nächste Woche ausführlich darüber diskutieren : Ich habe den Eindruck, dass einige Ministerpräsidenten den Zug zur deutschen Einheit stoppen wollen, und das ist nicht sehr patriotisch, schon gar nicht „fröhlich“, wie es der Präsident uns allen heute Morgen empfohlen hat. Es gibt allerdings einen Erfolg, mit dem sich Herr Tiefensee gerne schmückt: Das ist die Angleichung des Ostniveaus des Arbeitslosengeldes II an das Westniveau. Allerdings muss dieser Erfolg gerechterweise den HartzIV-Demonstranten zugestanden werden, die bei Wind und Wetter jeden Montag auf die Straße gegangen sind, um gegen diese Ungerechtigkeit zu demonstrieren. Ihnen gebührt meine Hochachtung. (Beifall bei der LINKEN) Der Finanzminister verteilt schon heute das Geld, das er noch gar nicht hat. Er und die Familienministerin wollen jedes Jahr 3,9 Milliarden Euro Erziehungsgeld zahlen. Es wird immer wieder gern erklärt  auch von Herrn Steinbrück , dass die Steuergelder zielgenauer eingesetzt werden müssen, dass nur diejenigen Geld bekommen sollen, die es dringend brauchen und sich selbst nicht helfen können. Da stimme ich zu. Doch beim Erziehungsgeld ist es genau umgekehrt: Die Mütter, die auf das Erziehungsgeld angewiesen sind, bekommen weniger; die Mütter, die es nicht unbedingt brauchen, bekommen mehr. Bisher begann die Sozialauswahl in unserem Land erst nach der Grundschule. Dort wurde entschieden, wer auf das Gymnasium und wer auf die Hauptschule kommt, wer also Gewinner oder Verlierer ist. Die Familienministerin will die Sozialauswahl schon vor der Geburt treffen. Das ist wirklich erschreckend. (Beifall bei der LINKEN Iris Gleicke (SPD): So ein Quatsch! Das Babyjahr in der DDR ist auch nach dem Einkommen abgerechnet worden!) Wenn die ganze Bundesregierung versetzungsgefährdet ist, kann das nicht nur an den Schülern liegen. Dann muss man sich auch einmal die Frage stellen, was die Lehrer denn falsch gemacht haben; nehmen wir einmal den Wirtschaftsweisen Rürup. Egal welche Regierung wir haben: Die falschen Konzepte kommen immer aus den gleichen Häusern. Ich erinnere an die Gesundheitsreform 2004: Ziel war es, die Lohnnebenkosten und die Beitragssätze der Krankenkassen auf Kosten der Beitragszahler zu senken. Was ist passiert? Die Lohnnebenkosten wurden nicht gesenkt; aber die Kassenbeiträge steigen und der Patient zahlt. Da muss man sich doch die Frage stellen: Wie lange noch dürfen diese nicht gewählten Experten ihre falschen Konzepte verkaufen? (Beifall bei der LINKEN) Aber vielleicht interessieren sich die Mitglieder der Bundesregierung gar nicht mehr dafür, ob die Reformen das Land wirklich weiterbringen, ob sie ihre Aufgaben im Interesse der Wähler erfüllen. Vielleicht gibt es für das eine oder andere Regierungsmitglied auch schon lukrative Angebote aus der Wirtschaft, sodass sie auf die Beurteilung der Wähler pfeifen können, wie es Altbundeskanzler Schröder getan hat. Noch ein Wort zum Verlauf der Beratungen. Kein Antrag der Opposition bekam im Haushaltsausschuss eine Mehrheit; Herr Koppelin ist darauf schon eingegangen. Das ist natürlich eine ideologiebetriebene Politik. Es kann und darf aus der Sicht von CDU/CSU und SPD nicht sein, dass Oppositionspolitiker  in unserem Falle sind es Linke vernünftige Vorschläge machen. Wenn die Regierungsfraktionen an diesen Vorschlägen nicht vorbei können, dann werden die entsprechenden Anträge trotzdem abgelehnt und diese Vorschläge werden über eigene Anträge in die Beratungen eingebracht. Ist das wirklich ein souveränes Verhalten oder ist das nicht eher kleinkariert und ein schlechtes Vorbild für diejenigen, die sich an den Diskussionen hier im Bundestag orientieren wollen? (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Otto Fricke (FDP)) In diesem Jahr werden mit dem Haushalt 260 Milliarden Euro verteilt. Die Bundesregierung behauptet im gleichen Atemzug, dass es nichts mehr zu verteilen gibt. Das klingt unlogisch, ist es aber nicht. Es gibt zwar an die Mehrheit nichts zu verteilen, aber  wie ich an einigen Beispielen dargestellt habe : Eine Minderheit wird eher diskret bedient. Wir als Linke schenken den Menschen reinen Wein ein. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Na, na! Das ist wohl die Spitze!) Es ist genügend Geld da; es muss nur richtig verteilt werden. (Beifall bei der LINKEN) Das ist von dieser Regierung aber nicht zu erwarten. Deshalb werden wir den Haushalt ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN)