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Riesterrente: Allianz-Konzern ist der eigentliche Gewinner

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi in der Debatte über den Antrag der FDP "Altersvorsorge für Geringverdiener attraktiv gestalten"

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Brauksiepe hat hier von Erich Honecker gesprochen. Ich finde das interessant. Ich bin ihm in meinem Leben nie begegnet, aber die erste Reihe Ihrer beiden Parteien hatte ihn ja ständig auf dem Sofa. Ich hoffe, Sie erzählen mir mal, wie der so war.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Sie waren wahrscheinlich auch nie mit ihm in einer Partei!)

Davon abgesehen geht es heute um die Riester-Rente und damit um die Veränderungen in der Rentenpolitik, die allerdings von SPD und Grünen eingeleitet worden sind. Sie haben die Rentenformel der gesetzlichen Rente verändert. Sie haben gesagt: Die Rentenentwicklung wird nicht mehr an die Produktivität gekoppelt. Sie begründeten das mit der Demografie; aber ich sage Ihnen: Produktivität schlägt Demografie. Das war Ihr entscheidender Fehler, und zwar ein Fehler, der auch zur Altersarmut führt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

1990 spiegelte die gesetzliche Rente 75 Prozent der durchschnittlichen Löhne und Gehälter wider. Heute sind wir bei 51 Prozent, angestrebt werden 40 Prozent. Ergo haben Sie auch gewusst, dass Sie Altersarmut organisieren. Das ist das eigentliche Problem.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Alle Veränderungen, die damit in Zusammenhang stehen, waren diesbezüglich durchdacht. Im Osten wird Altersarmut ganz verschärft auftreten, aber ebenso im Westen. Auch das wissen Sie. Sie wird nicht bei den heutigen Rentnerinnen und Rentner auftreten - bei denen ist es zum Teil schon schlimm genug -, sondern bei denen, die jetzt arbeiten und die dann nur Anspruch auf Minirenten haben.
Warum? Sie von SPD und Grünen waren nicht bereit, die alte Formel aufrechtzuerhalten. Zu Beginn Ihrer Regierungszeit haben Sie sie zwar wieder eingeführt und die Kohl-Formel abgeschafft.

(Frank Spieth (DIE LINKE): Genauso ist es! - Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zurück zu Kohl!)

Ein Jahr später hat sich Schröder aber bei Union und FDP entschuldigt und die Kohl-Formel wieder eingeführt. Das war damals die Wahrheit.

Sie waren auch nicht bereit, zu sagen: Wir machen eine Rentenreform und beziehen sämtliche Einkommen in die Rentenzahlungen ein, so wie es in der Schweiz der Fall ist.

Sie waren nicht bereit, die Beitragsbemessungsgrenzen anzuheben bzw. aufzuheben. Der große Vorteil wäre doch endlich einmal eine Entlastung der Mittelschicht; denn die durchschnittlich Verdienenden müssen doch einen höheren Prozentsatz bezahlen, weil Sie die Bezieher hoher Einkommen nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen. Kommen Sie mir ja nicht mit dem Argument, dass das dann zu extrem hohen Rentenauszahlungen führen würde. Man kann die Rentensteigerung abflachen. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer solidarischen Versicherung erlaubt. Es gäbe Lösungen. Sie aber sind den Weg der Armutsrente gegangen, und zwar zum Nachteil der Gering- und Durchschnittsverdiener. Das ist das Problem.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Nun wussten Sie ja, dass damit eine geringere Rente verbunden ist. So sind Sie auf die Idee der Riester-Rente gekommen. In diesem Zusammenhang haben Sie sich entschlossen, die Geringverdiener und andere zu unterstützen, und deshalb die staatlichen Zuschüsse eingeführt. Nun ist es ja zum Ersten so, dass die staatlichen Zuschüsse zunächst einmal der Allianz und anderen privaten Versicherungen zugute kommen. Das kann man ja nicht leugnen. Zum Zweiten sparen Sie, sofern eine Riester-Rente vorhanden ist, bei den Ausgaben für die Grundsicherung, weil die Riester-Rente ja angerechnet wird.

(Ute Kumpf (SPD): Wir sparen? Die Steuerzahler sparen!)

Ergo: Die Zuschüsse, die Sie jetzt zahlen, sparen Sie später, indem Sie weniger für die Grundsicherung aufwenden müssen. Man muss nur einmal darauf hinweisen, damit diese Tatsachen auch der Bevölkerung bekannt werden.

(Zurufe von der SPD)

- Die Allianz Versicherung ist ja auch sehr dankbar. Ich habe Ihnen das schon einmal dargelegt. Sie hat an Sie 60 001 Euro gespendet, an die Union 60 001 Euro, die CSU hat diese noch einmal extra bekommen. Die Grünen haben 60 001 Euro bekommen.

(Ute Kumpf (SPD): Sie haben nichts gekriegt?)

Die FDP hat sich daneben benommen und hat nur 50 001 Euro bekommen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sehen Sie!)

Wir haben gar nichts bekommen. Ich halte es für wichtig, dass es noch eine Partei im Bundestag gibt, die nicht von der Allianz gesponsert wird. Das sage ich Ihnen auch ganz klar.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Sie können noch von Ihren eigenen Zinsen leben!)

Nun kommen wir auf das Beispiel aus der Sendung „Monitor“. Worum ging es da eigentlich? Machen wir es einmal ganz deutlich: Es geht um zwei Verkäuferinnen, die beide ein Einkommen von 1 000 Euro haben. Beide erhalten einen Werbebrief, in dem die Riester-Rente als ganz toll dargestellt wird. Gerade, weil sie so wenig verdienen, sollten beide sie abschließen. Die eine entscheidet sich dafür, die Riester-Rente abzuschließen und die Beiträge zu zahlen. Die andere sagt, sie habe so wenig, sie brauche das Geld, was sie für die Beiträge aufwenden müsste, für Lebensmittel, und schließt keinen Riester-Vertrag ab. Beide bekommen später eine so geringe Rente, dass sie davon gar nicht leben können. Ergo bekommen sie die Grundsicherung.

(Ute Kumpf (SPD): Nein! Nicht wenn sie verheiratet sind!)

- Dazu, als Sozialleistung. - Nun sagen Sie den beiden: In dem einen Fall wird die Riester-Rente angerechnet, dadurch fallen die Zahlungen zur Sicherstellung der Grundsicherung etwas geringer aus. In dem anderen Fall, wo es keine Riester-Rente gibt, fallen die Zahlungen zur Sicherstellung der Grundsicherung höher aus. Beide bekommen aber am Schluss den gleichen Betrag.

(Rolf Stöckel (SPD): Ja, so ist das mit Grundsicherung!)

Sie können doch nicht leugnen, dass die Verkäuferin, die über Jahre Beiträge zur Riester-Rente gezahlt hat, sich am Ende betrogen fühlt. Das ist doch einfach so.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Sie sagt sich nämlich: Hätte ich die Beiträge nicht bezahlt, bekäme ich höhere staatliche Sozialleistungen und hätte früher Monat für Monat mehr ausgeben können. Das ist doch ganz einfach.

Nun sagen Sie mir - das sagte auch schon Herr Riester -, das ist wie bei Sparguthaben bzw. höherer gesetzlicher Rente. Das stimmt erstens bei höherer gesetzlicher Rente nicht. Hier ist es ja zunächst einmal so, dass man zu den Zahlungen verpflichtet ist; das ist ein großer Unterschied zur Riester-Rente, die noch freiwillig ist. Bei der gesetzlichen Rente muss ich zahlen und mehr, als ich zahlen darf, darf ich auch gar nicht zahlen. Das ist hier der Unterschied. Zweitens stimmt es bei Sparguthaben nicht: Diese haben Sie auch gar nicht beworben. Aber Sie haben einen ungeheuren Werbefeldzug für die Riester-Rente gestartet. Nirgendwo haben Sie geschrieben: Geringverdiener, passt auf, wenn ihr später weniger als die Grundsicherung erhaltet, nutzt euch das Ganze gar nichts. Dann habt ihr zwar die Beiträge bezahlt, aber ihr bekommt keinen Euro mehr als diejenigen, die nicht eingezahlt haben. Das haben Sie nie erklärt. Dazu darf man das tut mir Leid Anlagebetrug sagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wie könnte man das Problem lösen? Das ist ja auch spannend. Jetzt wird die ganze Anrechnungsproblematik ordnungspolitisch diskutiert. Es versteht zwar draußen keiner; das Gleiche gilt ja auch für die Formeln, die Sie, Herr Brauksiepe, angeführt haben. Wer soll all das nachvollziehen?

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Einfacher Populismus ist immer nachvollziehbar!)

Aber das ist ja egal. Wir diskutieren jetzt ordnungspolitisch darüber. Da ist ja auch etwas dran; das alles ist ja sehr kompliziert und man stellt sich die Frage, warum das eine nicht angerechnet wird, aber das andere. Ergo brauchen wir eine andere Herangehensweise: Sie müssen die alte gesetzliche Rentenformel wieder einführen. Sie müssen die Rentnerinnen und Rentner zukünftig wieder an der gesellschaftlichen Produktivitätsentwicklung beteiligen. Das ist das Entscheidende.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich sage noch einmal: Wir müssen als Nächstes alle Einkommen zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung heranziehen. Wir müssen das Grundprinzip aus der Schweiz übernehmen, wo man sagt: Es ist zwar wahr, dass die Millionäre keine gesetzliche Rentenversicherung benötigen, aber die gesetzliche Rentenversicherung benötigt die Millionäre. Diesen Grundsatz müssen wir durchsetzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wir müssen darüber hinaus - ich habe es schon gesagt - die Beitragsbemessungsgrenzen an- bzw. aufheben. Zu diesen mutigen Schritten sind Sie aber nicht bereit, obwohl sie für die Zukunft unserer Gesellschaft und für die Zukunft der Rentnerinnen und Rentner dringend erforderlich wären. Neben diesen mutigen Schritten gäbe es aber noch eine andere Möglichkeit. Sie könnten sagen: Wer später eine Grundsicherung bekommt und ergo nichts von seinen Beiträgen hat, der bekommt Schadensersatz. Sie müssten dann die Beiträge mit Zinsen zurückzahlen. Das wäre übrigens ein Weg, der bei Betrug üblich ist und deswegen nicht völlig aus der Welt ist.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Diesen Weg werden Sie aber auch nicht gehen.
Nun werden Anrechnungsmodelle ins Spiel gebracht. Man könnte sie ausnahmsweise nicht im Prinzip rechtfertigen, weil es eine Fehlinformation durch die Bundesregierung gab. Aber eine Lösung bringt auch das nicht. Eine Lösung gibt es nur, wenn Sie den mutigen Weg gehen, die Rentnerinnen und Rentner wieder an der Produktivitätsentwicklung zu beteiligen, und den Abgeordneten, Anwälten sowie den Ärztinnen und Ärzten sagen, dass sie künftig ebenfalls in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen müssen.
Wir können die Beiträge sogar senken, wenn die höheren Einkommen herangezogen werden. Tun Sie also endlich etwas für die Geringverdienenden und für die Durchschnittsverdiener und nicht nur für die Topverdiener, wie das bisher der Fall ist. Damit können wir den so nenne ich es Anlagebetrug beseitigen. Es ist ein Anlagebetrug, weil Sie die Geringverdienenden getäuscht haben, indem Sie ihnen gesagt haben, dass es so wichtig ist, diese Rente abzuschließen. Jetzt sagen Sie aber: Ihr habt zwar einen Beitrag gegen Armut geleistet, aber er nutzt euch nichts. - Das ist nicht hinnehmbar.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)