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Rente: Die Feigheit der Koalition

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Die Menschen werden älter und die Rentenkassen haben immer größere Löcher. Auf diese Entwicklung kennt die Koalition nur eine Strategie- kürzen, kürzen, kürzen! An die Besserverdienenden heranzutreten traut sich die SPD nicht, geschweige denn die Union. Das ist deren Feigheit und das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben. Die Linken haben die Idee entwickelt anstelle der heutigen Lohnnebenkosten wie man sie fälschlicherweise nennt eine Wertschöpfungsabgabe einzuführen, die vom Ergebnis des Unternehmens abhängig gemacht werden soll. Gregor Gysi in der Aktuellen Stunde der Fraktion DIE LINKE. zur Zukunft der Rente.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns in dieser Aktuellen Stunde mit der Zukunft der Rente. Auch die Debatte danach beschäftigt sich mit der Rente. (Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Doppelt hält besser!) Ich gehe einmal davon aus, dass wir uns in den nächsten Jahren noch öfter mit diesem Thema beschäftigen müssen. Es gibt eine erschreckende Entwicklung der Eckrente. Man muss einmal erklären, was eine Eckrente ist. (Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Eckrentner ist ausgestorben! Den gibt es nicht mehr!) Diese bekommt ein Durchschnittsverdiener nach 45 Arbeitsjahren, also nach 45 Versicherungsjahren. Die Prognose ist von 1995 bis heute um über 300 Euro gesunken. Das ist eine dramatische Entwicklung. (Beifall bei der LINKEN) Ich glaube, es war Herr Müntefering, der erklärt hat, dass die gesetzliche Rente allein in der Zukunft nicht mehr genügen wird. In der nächsten Debatte wird es darum gehen, dass keine Kürzung der Rente stattfinden soll, obwohl wir im letzten Jahr einen Rückgang bei den Löhnen zu verzeichnen hatten. Aber das, was man nicht kürzt, soll später angerechnet werden, wenn die Löhne wieder einmal steigen. Im Kern nutzt das, was gleich beschlossen wird, den Rentnerinnen und Rentnern also fast nicht. In der Gesellschaft gibt es eine kulturelle Veränderung. Es gab eine Zeit, in der sich die Union besonders stark für die Rentnerinnen und Rentner eingesetzt hat. Diese Zeit ist vorbei. (Zuruf von der CDU/CSU: Blödsinn!) Sie ist wirklich vorbei. (Beifall bei der LINKEN) Sie nennen immer wieder den demografischen Faktor, der hierbei übrigens der unwichtigste Faktor ist. Seit Tausenden von Jahren werden Menschen älter. Das ist wirklich nicht neu. Das hätten Sie schon 1949 wissen können. Ich sage Ihnen dazu: Die Produktivitätsentwicklung ist viel entscheidender. Ich habe das hier schon gesagt und betone es noch einmal: Bei Daimler Benz brauchte man vor 20 Jahren vier Arbeitskräfte für etwas, für das man heute nur noch eine Arbeitskraft braucht; die schafft dasselbe wie damals vier. Die Lohn- und Abgabenentwicklung hat da nicht mitgehalten. Damals waren die vier in der Lage, vier Rentnerinnen und Rentner zu versorgen; heute könnte es der eine alleine leisten. Darauf haben Sie keine Rücksicht genommen. Sie hängen ausschließlich am demografischen Faktor, der in diesem Zusammenhang aber unwichtig ist. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt nenne ich noch ein kulturelles Moment, das mir wichtig ist: Ältere Leute sind früher durch die Straßen der Bundesrepublik gegangen und waren stolz darauf, dass sie dieses Land aufgebaut haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind sie heute noch!) Heute müssen sie, wenn sie durch die Straßen gehen, erklären, warum sie noch da sind. (Beifall bei der LINKEN) Denn bei jeder Debatte sagen Sie: „Die Menschen werden älter. Das ist schön, aber ...“ Die Begründung des Aber dauert dann 20 Minuten. Das diskreditiert ältere Menschen. Davon sollten Sie wegkommen! (Beifall bei der LINKEN Zuruf von der CDU/CSU: Ein ganz übler Demagoge!) Nun stellt man sich die Frage, ob es denn eine Lösung für das Problem gibt. Ihre einzige Lösung ist immer: kürzen, kürzen, kürzen, und zwar überall, zum Beispiel bei der Rente. Ich glaube, es gibt andere Wege, über die wir vielleicht einmal diskutieren müssten: (Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Butter bei die Fische!) Ist es richtig, dass nur die abhängig Beschäftigten in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, oder sollten wir nicht für die nächste Generation ich spreche nicht über die heute 50-Jährigen; auch ich weiß, dass das für sie nicht hinzubekommen ist; aber irgendwann muss man anfangen einen anderen Weg gehen und sagen: Alle, die mehr haben als ein bestimmtes Mindesteinkommen, werden verpflichtet, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, (Beifall bei der LINKEN) egal ob sie von Mieten oder Zinsen leben, ob sie Rechtsanwälte, Abgeordnete oder abhängig Beschäftigte sind, was auch immer? Das wäre eine Bürgerversicherung. (Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Dann haben die auch Rentenansprüche, Herr Gysi, wenn sie einzahlen!) Ich weiß, dass sie dann Rentenansprüche haben. Das ist mir nicht völlig fremd. Das zweite, was wir machen müssen, ist die Aufgabe der Beitragsbemessungsgrenze. Wer ein hohes Einkommen hat, muss von einem hohen Einkommen seine Beiträge bezahlen. Dann steigt natürlich der Rentenanspruch. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist dann die dritte Einkommensteuer!) Ergo muss ich die Rentensteigerung abflachen. Das darf man bei einer solidarischen Rentenversicherung. Ich sage Ihnen, für diese Idee gewinnen Sie sogar Besserverdienende, und zwar aus einem einzigen Grund: Bevor ich Steuern bezahle ich weiß nicht, ob Sie davon einen Panzer kaufen oder etwas für die Rente ausgeben , zahle ich lieber in eine gesetzliche Rentenversicherung ein, auch wenn ich weiß, ich müsste 130 Jahre alt werden werde ich nicht , um alles wieder herauszubekommen. Dafür bezieht eine Frau länger Rente, als sie eingezahlt hat. Das geht in Ordnung. Das ist das Wesen einer solidarischen Rentenversicherung. (Beifall bei der LINKEN) Dafür müssten Sie natürlich an die Besserverdienenden herantreten. Das traut sich die SPD nicht, geschweige denn die Union. Das ist Ihre Feigheit. Das ist das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben. (Beifall bei der LINKEN Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Dummheit ist das Problem!) Deshalb kommen Sie nur auf Kürzungen. Kommen wir zu den Unternehmen. Ich bin der Auffassung, dass die Bindung der Abgaben der Unternehmen für Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung an den Lohnfaktor auf Dauer nicht zu halten ist. Das machte zu Bismarcks Zeiten noch Sinn, weil damals noch 90 Prozent abhängig beschäftigt waren. Wir haben inzwischen eine andere Ökonomie und eine andere Zusammensetzung der Gruppe der Erwerbstätigen in Deutschland. Man muss berücksichtigen, dass sich die Technik entwickelt hat. Es gibt Unternehmen mit wenigen Beschäftigen und einem hohen Gewinn und andere, die bei gleichem Gewinn deutlich mehr Beschäftigte haben. Wie gleichen wir das aus? Das ist doch eine Frage, über die man einmal diskutieren kann. Wir haben die Idee entwickelt die SPD hatte sie übrigens auch einmal; sie hat sie aber sterben lassen , anstelle der heutigen Lohnnebenkosten wie man sie fälschlicherweise nennt eine Wertschöpfungsabgabe einzuführen, die wir vom Ergebnis des Unternehmens abhängig machen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Gysi, die Redezeit der Aktuellen Stunde beträgt fünf Minuten. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Wir machen sie vom konkreten Ergebnis des Unternehmens abhängig. Damit helfen wir den Unternehmen, weil wir sie nicht unterfordern und nicht überfordern. Da wollen Sie nicht ran. Sie wollen gar keine Reformen. Sie wollen nur Kürzungen. Das ist viel zu wenig in Deutschland. (Beifall bei der LINKEN)