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Regierung organisiert die Wiederholung der Krise

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi in der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 25. und 26. März 2010 in Brüssel

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Frau Homburger, an Ihnen schätze ich am meisten, dass dieses Pult hochgefahren werden muss, wenn Sie vor mir gesprochen haben. Das ist bei mir so selten der Fall.

(Heiterkeit)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Gysi, wenn wir Ihnen damit eine besondere Freude machen können, würde ich mich darum bemühen, dass wir das vor Beginn einer Rede von Ihnen prinzipiell so einführen.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Dann machen Sie das öfter.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber bitte ziehen Sie mir das nicht von der Redezeit ab.

Ich habe gehört, Frau Bundeskanzlerin, dass beim EU-Gipfel die Verabschiedung eines Programms mit dem Titel „Europa 2020 - eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ vorgesehen ist. Dann ist mir eingefallen, dass es seit dem Jahre 2000 schon eine Lissabon-Strategie gab. Laut Lissabon-Strategie sollte die Europäische Union bis 2010 daran möchte ich erinnern zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden. Nun hat auch die EU-Kommission festgestellt, dass von diesen Zielen keines erreicht ist. Es waren mehr Arbeitsplätze und ein größerer sozialer Zusammenhalt versprochen. Davon kann keine Rede sein. Dieser Zehnjahresplan ist gescheitert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Es klappt aber nicht mit der Planwirtschaft!)

Nun kennen wir beide ja auch die Fünfjahrespläne aus staatssozialistischen Ländern, die alle gescheitert sind.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Deshalb sage ich: Ihr Vorhaben, einen zweiten Zehnjahresplan zu starten, wird ebenso scheitern.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun sind in dem Programm einige konkrete Ziele festgelegt Sie haben sie genannt : die Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung, mehr Ausgaben für Bildung, eine wirksamere Armutsbekämpfung, eine Beschäftigungsquote von 75 Prozent diese Quote liegt in Deutschland jetzt bei 69,4 Prozent, allerdings einschließlich der gesamten prekären Beschäftigung , außerdem sind Energie- und Klimaprogramme vorgesehen.
Sie sagen jetzt aber, Frau Bundeskanzlerin: Deutschland wird weder bei der Höhe der Bildungsausgaben noch bei der Armutsbekämpfung konkrete Ziele verfolgen. Das lehnen Sie einfach ab. Gleichzeitig sagen Sie, dass man sich auf Schwerpunkte konzentrieren muss. Darf ich das so verstehen, dass Armutsbekämpfung nicht Ihr Schwerpunkt ist? Es wird aber höchste Zeit, dass wir in Deutschland Armut sehr wirksam bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich nenne Ihnen dazu einige Zahlen: In Deutschland gibt es den größten Niedriglohnsektor aller Industriestaaten: Er umfasst ein Viertel der Beschäftigten. Hinzu kommen die prekären Jobs: die 400-Euro-Jobs und andere Minijobs, befristete Arbeitsverhältnisse und die Aufstockerinnen und Aufstocker, die eine Vollzeitbeschäftigung haben, aber so wenig verdienen, dass sie zum Sozialamt geschickt werden müssen. Es ist indiskutabel, was wir diesbezüglich in Deutschland haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Niedriglohnsektor umfasst, wie gesagt, ein Viertel der Beschäftigten. Das betrifft 9 Millionen Menschen in Deutschland. Als prekär Beschäftigte haben wir 5 Millionen in Teilzeit, 2,6 Millionen in Minijobs und 500 000 in Leiharbeit. 2,7 Millionen haben eine befristete Beschäftigung. Das sind insgesamt fast 7,7 Millionen Beschäftigte. 2 Millionen unserer Kinder leben in Armut. Und dann sagen Sie, Armutsbekämpfung sei nicht Ihr Schwerpunkt. Ich finde, das muss der Schwerpunkt der Politik einer Bundesregierung werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Übrigen hat die Armut von heute später Folgen Sie kennen doch die Studie : Es ist festgestellt worden, dass die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern in wenigen Jahren im Durchschnitt unter dem Grundsicherungsniveau liegen werden, weil es jetzt so viel prekäre Beschäftigung gibt.

Es ist festgestellt worden, dass wir in Deutschland im Vergleich zu allen anderen Eurostaaten die niedrigsten Lohnstückkosten haben. Das wird durch Lohndumping erreicht, was übrigens auch den Handel der anderen Länder deutlich erschwert.
Kommen wir zur Bildung. Im Vergleich zu den anderen EU-Ländern geben wir in diesem Bereich jährlich 40 Milliarden Euro zu wenig aus, Frau Bundeskanzlerin. Wieso wollen Sie sich hier nicht auf Zahlen festlegen? Wenn wir etwas brauchen, dann sind es höhere Ausgaben für Bildung, eine bessere Ausbildung und vor allen Dingen endlich Chancengleichheit in der Bildung. Davon sind wir meilenweit entfernt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD Volker Kauder (CDU/CSU): Losverfahren in Berlin! Das ist Chancengleichheit, Herr Gysi!)

Ich sage ganz deutlich, auch Ihnen von der FDP: Wir sind mit unserem Schulsystem im 19. Jahrhundert stecken geblieben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben 16 Bundesländer und 16 verschiedene Schulsysteme. Das finden Sie toll und nennen es Wettbewerb. Ich sage Ihnen: Das ist eine Benachteiligung von Kindern je nach dem zufälligen Geburtsort. Das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD Widerspruch bei der FDP)

Sie können noch so viel herumbrüllen. - Ich möchte im Unterschied zu Ihnen, dass wir endlich ein Top-Bildungssystem bekommen, und zwar von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern. Ich möchte, dass alle Kinder die gleiche Chance auf eine sehr gute Ausbildung haben, auch das dritte Kind der alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin, das Sie ausgrenzen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung der Abg. Bettina Hagedorn (SPD))

Das ist der Punkt: Sie machen reine Elitebildung.

Wir müssen die soziale Ausgrenzung in der Bildung überwinden. Insofern hätten Sie sich durchaus auf ein konkretes Ziel einlassen sollen.
Was ist wirtschaftspolitisch vorgesehen? Wirtschaftspolitisch ist vorgesehen, mit der Lissabon-Strategie weiterzukommen: Flexibilisierung, Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung. Das alles hat uns in die Krise geführt.

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Ja!)

Sie ziehen daraus keine Schlussfolgerung, sondern machen einfach so weiter.
Spannend finde ich auch, wie Sie Wachstum erreichen wollen. Sie schlagen zwei Wege vor: erstens Ausstieg aus dem Konjunktur- und Wachstumsprogramm und zweitens Schuldenabbau über strenges Sparen. Das ist aufregend. Was passiert denn da? Wenn wir aus den Konjunktur- und Wachstumsprogrammen aussteigen, gibt es keine staatlichen Investitionen. Wenn es keine staatlichen Investitionen gibt, gibt es weniger Konjunktur und weniger Wachstum. Wie Sie damit Wachstum beschleunigen wollen, ist ein Geheimnis, das Sie unserer Bevölkerung noch verraten müssen.

(Zuruf von der FDP: Was haben Sie denn vor?)

Wenn Sie bei den Renten, bei Hartz IV und den anderen Sozialleistungen sparen wollen, dann reduzieren Sie die Kaufkraft. Wenn Sie die Kaufkraft reduzieren, wird weniger eingekauft, und es werden weniger Dienstleistungen in Anspruch genommen. Dann gehen kleine und mittlere Unternehmen pleite, und die Zahl der Arbeitslosen steigt. Dann haben Sie wieder höhere Ausgaben und außerdem viel weniger Steuereinnahmen.
Die Unlogik ist nicht mehr zu bremsen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): So stellt sich Klein-Gysi die Welt vor!)

Wenn Sie Wirtschaftswachstum wollen, dann brauchen Sie Investitionen und mehr soziale Gerechtigkeit, also genau das Gegenteil davon. Die gegenteiligen Programme sind schon alle gescheitert.

(Lachen bei der FDP)

Ja. - Ich sage Ihnen noch etwas: Die Reallöhne sind in Deutschland und zwar nur in Deutschland im Vergleich zu allen anderen Industrieländern um 8 Prozent gesunken. Glauben Sie, dass das unsere Wirtschaft vorangebracht hat? Überhaupt nicht. Im Gegenteil, es hat viele kleine und mittlere Unternehmen ruiniert. Sie gehen einen völlig falschen Weg.
Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, fordern wir eine grundlegende Überarbeitung der Strategie „Europa 2020“. Es muss um die Schwerpunkte Armutsbekämpfung, Bildung, Beschäftigung und sozialer Ausgleich gehen. An diesen Zielen sollte Europa unbedingt festhalten und endlich etwas in diese Richtung tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt komme ich zu Griechenland und damit auch zur Eurozone. Ich kann mich ja noch daran erinnern Herr Bundestagspräsident, das wollte ich Ihnen auch gerne einmal erzählen , dass wir hier saßen und Schilder hatten damals flogen wir aber noch nicht raus , auf denen „Euro so nicht“ stand. „Euro so nicht“ war eine kluge Formulierung; wir haben nämlich nicht „Euro nein“ gesagt, sondern wir haben gesagt: erst die politischen und ökonomischen Voraussetzungen schaffen und dann den Euro einführen. - Aber alle anderen waren ja schlauer, und jetzt haben wir mit Griechenland genau das Beispiel, dass es so nicht geht und dass es nicht ordentlich vereinbart war.

Ich habe ja nichts dagegen, dass Sie zu Recht darauf hinweisen, dass die griechische Regierung eine Mitverantwortung trägt und dass sie in diesem Umfange selbstverständlich auch verantwortlich gemacht werden muss. Aber jetzt sage ich Ihnen: Die wirklichen Gewinner der Krise um Griechenland sind wieder die Spekulanten.

(Beifall bei der LINKEN)

Hierzu würde ich gern erklären das muss man auch einmal den Leuten erklären , was es mit einer Kreditausfallversicherung auf sich hat. Es gibt Leute, die einen Kredit gewähren und sich dann für den Fall versichern, dass sie den Kredit nicht zurückgezahlt bekommen; dann bekommen sie etwas von der Versicherung. Dies finde ich ja noch nachvollziehbar. Dann gibt es aber noch eine zweite Gruppe dass muss man auch erklären , die Folgendes macht: Die geben gar keinen Kredit, sondern schließen mit der Versicherung eine Wette dergestalt ab, dass sie sagen: Ich glaubte, der Kredit wird nicht zurückgezahlt. - Wenn sie mit ihrem Wettangebot recht haben, bekommen sie dafür Geld. Das ist die absurdeste Spekulation, die man sich vorstellen kann: ohne jede Wirtschaftsleistung, nichts steckt dahinter.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dies wird jetzt forciert. Das wäre so, als könnte ein Brandstifter bei einer Versicherung eine Wette abschließen, die besagt: Das Haus wird in Kürze brennen. Dann zündet er es selber an und kriegt dafür 1 Million. Sagen Sie mal, wo leben wir denn hier eigentlich?

(Beifall bei der LINKEN -Volker Kauder (CDU/CSU): Aber der geht in den Knast, Gysi! Der geht in den Knast dafür!)

Wenn wir Glück haben, kriegt er neben dem Geld auch noch Knast; aber da müssen wir schon sehr viel Glück haben. Herr Kauder, nehmen Sie dazu doch einmal Stellung.
Leerverkäufe sind nichts anderes als eine Wette. Ich sage: „Die Kurse fallen oder die Kurse steigen“, und dann bekomme ich Geld, wenn ich recht hatte. Sie hatten die Leerverkäufe verboten. Warum, Herr Schäuble, haben Sie sie denn wieder erlaubt? Das war doch vernünftig. Jetzt haben Sie angekündigt, sie wieder zu verbieten. Ja, wann denn? Machen Sie es doch endlich mal! Wir müssen raus aus der Spekulation, wenn wir aus den Krisen raus wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie könnte man Griechenland helfen? Sie verweigern sich ja der Hilfe für Griechenland, was ich für völlig falsch halte, weil es auch Europa und uns mit nach unten zieht. Es gibt folgenden Weg: Wir müssen Griechenland zinsgünstige Darlehen der EU anbieten. Machten wir dies, wäre der Weg für die Spekulanten schon versperrt, weil dann deren hohe Zinsen nicht mehr aufgehen würden. Dann müsste man einen Teil dieser Kredite auch gar nicht mehr geben, weil die Spekulation beendet ist. Soweit man Kredite gibt, bekommt man das Geld mit Zinsen wieder zurück. Was soll denn daran eine Katastrophe sein? Warum fällt es Ihnen so schwer, diesen Weg zu gehen, um so schnell wie möglich aus dieser spezifischen Krise herauszukommen?

Dann haben Sie gesagt: Jetzt sollen endlich einmal die Verantwortlichen der Banken, die ja das Ganze angeleiert haben, mit einer Bankenabgabe tatsächlich zur Verantwortung gezogen werden. - Wir haben Ihnen hier vorgeschlagen, den Weg von Obama zu gehen. Wenn Sie den Weg von Obama gehen würden, hätten wir eine Mehreinnahme von 9 Milliarden Euro. Aber das trauen Sie sich ja hinten und vorne nicht. Sie machen so ein kleines „Abgäbelchen“ und wollen gerade einmal 1 Milliarde einnehmen. Hinzu kommt, dass Sie diese Abgabe auch noch von den Sparkassen und der genossenschaftlichen Raiffeisenbank verlangen, was eine Unverschämtheit ist; sie haben weder direkt noch indirekt irgendetwas vom Staat erhalten, sie sind auch gar nicht daran beteiligt. Nein, das müssen schon die Deutsche Bank und die Commerzbank und die anderen Banken bezahlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber ich sage Ihnen noch einmal: Ihr Weg ist nicht einmal ein Neuntel dessen wert, was Obama diesbezüglich vorgeschlagen hat.
Die Obama-Regierung macht übrigens noch etwas das haut mich ja schon fast um : Sie hat jetzt bei 119 Managern

(Zurufe von der FDP)

ja, hören Sie mal genau zu vom Versicherungskonzern AIG, von den Autobauern Chrysler und General Motors die Vergütungen, also die normalen Einkünfte, um 15 Prozent und die Sondervergütungen um ein Drittel gesenkt. Sie hätten ja nicht einmal den Mumm, daran zu denken, Ackermanns Vergütung zu kürzen; lieber laden Sie ihn viermal zum Essen ein. Aber ich sage Ihnen: Das andere ist der richtige Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun weiß ich ja, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie keine linke Regierung führen. Insofern sind Sie ja auch nur sehr begrenzt.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich muss zum Ende kommen. Das ist sehr bedauerlich; ich mache es aber.
Insofern sind Sie nur sehr begrenzt zu vernünftiger Politik fähig. Wenn wir Ihnen Obama-Politik vorschlagen, dann gehen wir doch schon sehr weit; wir nehmen schon Rücksicht auf Ihre Situation. Obama ist nämlich vieles, aber kein Linker.
Machen Sie es endlich: Helfen Sie in dieser Krise ganz anders! Denken Sie an die Bekämpfung von Armut! Denken Sie endlich einmal an die Chancengleichheit im Bildungsbereich! Schaffen Sie mehr Beschäftigung! Organisieren Sie nicht die Wiederholung der Krise! Leider sind Sie dabei.
Danke.