Rede von Gesine Lötzsch zum Bundeshaushalt 2009, Etat: Arbeit und Soziales
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! "Sozial ist, was Arbeit schafft." Dieser Leitspruch der Kanzlerin Angela Merkel wurde durch die Praxis widerlegt. Minister Scholz hat gerade selbst gesagt: Millionen Menschen in unserem Land haben eine Arbeit, von der sie nicht leben können. Ist das etwa sozial?
Herr Scholz, Sie können diese Situation gerne beklagen. Aber wer hat den Unternehmen denn die Instrumente, die dazu geführt haben, in die Hand gegeben? Es war doch die Regierung, die es den Unternehmen ermöglicht hat, aus einem gut bezahlten Arbeitsplatz zwei oder gar drei schlecht bezahlte Arbeitsplätze zu machen. Beklagen Sie also keine Zustände, die Sie selbst geschaffen haben, sondern ändern Sie sie.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Wenn die Regierung Statistiken bemüht, um über ihre Erfolge am Arbeitsmarkt zu berichten, dann sagt sie leider nicht einmal die halbe Wahrheit. Das Statistische Bundesamt nicht etwa die Linke , hat festgestellt, dass die Zahl der Arbeitsstunden in Deutschland seit 1991 insgesamt gesunken ist. Das untermauert unsere Auffassung, dass Minijobs und die vielen anderen prekären Arbeitsverhältnisse keine neuen Arbeitsplätze sind, sondern nur noch Bruchstücke und Überbleibsel von ehemals sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Das ist ein Betrug an den Menschen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die Arbeitslosenstatistik ist wohl eine der am meisten verfälschten Statistiken in unserem Land. Es ist unglaublich das ist viel zu wenig bekannt , dass zum Beispiel 1-Euro-Jobber nicht mehr als Arbeitslose gelten und aus der Statistik herausfallen. Meine Damen und Herren, mit diesen sogenannten Arbeitsgelegenheiten wollten Sie den Arbeitslosen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt ebnen. Das ist offensichtlich gescheitert. Doch die Lösung der Regierung ist ganz einfach: Sie erklärt diese Menschen kurzerhand für nicht mehr arbeitslos. Das ist wirklich grotesk.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die Bundesregierung trägt mit ihrem Verhalten dazu bei, den normalen Arbeitsmarkt zu zerstören, und zwar mit staatlicher Löhndrückerei. Ja, meine Damen und Herren, Sie sind staatliche Löhndrücker, da Sie den Unternehmen die Möglichkeit andienen, Hungerlöhne durch Steuergelder aufstocken zu lassen. Die Unternehmen werden dadurch mit 9 Milliarden Euro im Jahr subventioniert. Für uns, die Linke, gibt es nur eine Lösung dieses Problems: die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Herr Minister, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass Kollegen von der SPD den bayerischen Minister Huber gestern aufgefordert haben, sich für gesetzliche Mindestlöhne einzusetzen; das war geradezu grotesk.
(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Das war wirklich ein Witz!)
Fangen Sie lieber bei sich selbst an, liebe Kollegen von der SPD,
(Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Genau!)
nutzen Sie die parlamentarische Mehrheit und stimmen Sie hier im Bundestag endlich für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt eine breite parlamentarische Mehrheit! Das ist scheinheilig!)
Bekanntermaßen hat sich die Kanzlerin gegen den Mindestlohn ausgesprochen und die Tarifautonomie beschworen. Das ist völlig wirklichkeitsfremd. Gerade in Ostdeutschland gibt es kaum noch Tarifpartner, weil viele Unternehmen gar nicht mehr in der Tarifgemeinschaft sind. Dort werden teilweise Hungerlöhne von 3 bis 4 Euro pro Stunde gezahlt. Das nimmt die Kanzlerin, die aus dem Osten stammt, einfach schulterzuckend hin. Überhaupt habe ich den Eindruck, dass sie vergessen hat, woher sie kommt. Viele Menschen im Osten hatten Hoffnungen in sie gesetzt, die überhaupt nicht erfüllt worden sind.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Frechheit!)
Meine Damen und Herren, wir fordern die Aufstockung des Arbeitslosengeldes II auf 435 Euro. Das ist keine willkürliche Zahl, wie mancher glaubt, sondern dieser Betrag ergibt sich aus der geltenden Rechtslage. Der Arbeitslosengeld-II-Regelsatz ist nur deshalb so niedrig, weil die Bundesregierung ihn mit rechtswidrigen und rein willkürlichen Abschlägen so niedrig hält, wie zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband nachwies.
Wenn ein Professor, der aus dem Westen nach Chemnitz gekommen ist, behauptet, man könne mit 132 Euro im Monat auskommen, dann ist das einfach nur zynisch. Besonders zynisch ist es, dass Herr Merz von der CDU das aufgreift.
(Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Drei Monate Selbstversuch!)
Hartz IV betrifft nicht nur die Menschen, die Hartz IV erhalten, sondern drückt auch auf die Löhne. Herr Scholz, deshalb hätte ich von Ihnen nicht erwartet, dass Sie sagen, dass Sie sich den gesetzlichen Mindestlohn wünschen, sondern ich hätte einen konkreten Fahrplan und Zeitplan erwartet, wann Sie noch in dieser Legislaturperiode den gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen wollen. Mit CDU und FDP wird Ihnen das sicher nicht gelingen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))