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Der Bundestag ist und bleibt handlungsfähig

Rede von Heidi Reichinnek,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen: Ich bin Osnabrückerin. Ich habe gestern mit dem Betriebsrat von VW gesprochen und bin heute trotzdem hier. Es geht beides, wenn man sich nur anstrengt; also, das ist gar kein Problem.

(Beifall bei der Linken)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es stimmt: Es war in den letzten Tagen mal wieder eine helle Freude mit Ihnen. Bei der Ampel ist am Mittwoch auch noch die letzte Sicherung durchgebrannt, die Koalition ist gescheitert, und wir brauchen Neuwahlen.

Sobald das klar war, ging das Gefeilsche um den Termin los. Es ging nicht darum, welche Themen wichtig sind, sondern es ging darum, dass Herr Merz mit dem Fuß aufstampfen

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie stampfen doch die ganze Zeit auf!)

und „Schneller!“ rufen konnte. Eine Woche lang haben wir über nichts anderes geredet. Sieben Tage verschwendet für das Ego eines Möchtegernkanzlers!

Ich meine, ich verstehe Sie ja, Herr Merz – auch wenn Sie sich gerade verabschieden –: Sie haben jetzt drei Anläufe gebraucht, um endlich Parteivorsitzender zu werden. Da sind Sie natürlich ungeduldig. Man weiß ja nie, was noch passiert in Ihrem Laden.

(Beifall bei der Linken – Zuruf des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU] – Stephan Brandner [AfD]: Das weiß man mit Ihrem Laden aber auch nicht! Ihr Laden macht bald zu!)

Aber ja, wir alle wollen schnelle Neuwahlen. Aber so eine Bundestagswahl braucht ein bisschen Vorbereitung. Ich weiß nicht, warum das so schwer zu begreifen ist. Sie müssen Wahllokale finden. Sie müssen über eine halbe Million Wahlhelfer finden, denen ich an der Stelle schon mal danke für das, was sie leisten werden.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen auch bedenken, dass die Postzusteller nach dem Weihnachtsgeschäft, das ein bisschen anstrengender ist als der Durchschnitt, jetzt auch noch die ganzen Wahlunterlagen transportieren müssen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die schaffen das, weil sie wissen, wie man arbeitet.

(Zuruf des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU])

Aber trotzdem sind das alles Punkte, über die man zumindest mal nachdenken sollte, bevor man hier laut rumschreit.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Oder man macht es so wie die Union und attackiert die Bundeswahlleiterin, die zu Recht auf diese Probleme hinweist. Ich meine, das ist ihr Job. Ich finde es wirklich schäbig von Ihnen, dass Sie jetzt so tun, als wüsste diese Frau nicht, wovon sie redet. Aber es passt natürlich zu dem, was Sie hier treiben; denn Sie wollen ja mehr Unsicherheit schaffen, weil Sie hoffen, dass Sie dadurch mehr Stimmen gewinnen – ganz schön durchsichtig. Aber gut, wer mit Inhalt nicht überzeugen kann, versucht es halt auf diesem Weg.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Da kennen Sie sich aus!)

– Herr Brandner, Sie sind doch jetzt gar nicht angesprochen. Halten Sie doch mal Ihren rechten Rand! Was wollen Sie denn die ganze Zeit von mir?

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Ruhig, Brauner!)

Das erinnert am Ende vor allen Dingen an Donald Trump, was Sie hier treiben, liebe Union. Dessen Wahlkampf haben Sie sich ja vor Ort auch ziemlich genau angeschaut und dort scheinbar gelernt, dass es vollkommen in Ordnung ist, das Vertrauen in demokratische Prozesse zu untergraben, wenn es der eigenen Agenda hilft. Davon haben wir schon eine Partei; eine zweite brauchen wir nicht.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)

Apropos Demokratie. Zahlreiche kleine Parteien haben zu Recht die Hürden zum Wahlantritt als unzumutbar bezeichnet. Sie müssen jetzt nämlich Zehntausende Unterschriften in kürzester Zeit sammeln, um überhaupt für die Wahl zugelassen zu werden, und kündigen an, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Ganz großes Kino: Wegen weniger Wochen treiben Sie hier alle auf den Baum und riskieren eine Wahlwiederholung.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ein Blick ins Grundgesetz zeigt die Fristen!)

Und wissen Sie, was daran besonders heuchlerisch ist? Sie begründen das damit, dass wir handlungsfähig sein müssen. Wir sind handlungsfähig. Was hält uns als selbstbewusstes Parlament denn davon ab, demokratische Mehrheiten für wichtige Initiativen zu finden?

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich überlegen. Ja, es sind die Union, die FDP, die Grünen und die SPD – jetzt wieder glücklich vereint. Erst im Hinterzimmer den Wahltermin ausgeklüngelt, vor laufenden Kameras gestritten bis zum Gehtnichtmehr und jetzt kollektive Arbeitsverweigerung. Denn wie Sie auf der Tagesordnung sehen, sehen Sie nahezu nichts. Erklären Sie mir mal bitte, was das soll! Die nächste Sitzungswoche wollen Sie gleich komplett ausfallen lassen. Sie reden hier alle davon, was Sie nicht alles umsetzen wollen, aber tun es dann nicht.

(Beifall bei der Linken)

Lassen Sie uns doch zum Beispiel das Rentenniveau wenigstens bei 48 Prozent absichern.

(Beifall bei der Linken)

Wir Linken stehen für eine Erhöhung auf 53 Prozent, ja. Aber wir sind bereit, mit Ihnen fürs Erste wenigstens dieses absolute Minimum durchzusetzen, damit die Renten nicht noch weiter sinken, damit die Altersarmut nicht noch schlimmer wird. Was hält Sie davon ab, das genau jetzt zu tun?

(Beifall bei der Linken)

Und was ist mit dem Deutschlandticket, um den Menschen einigermaßen bezahlbare Mobilität zu ermöglichen? Und vor allem: Was ist mit dem Gewalthilfegesetz, um Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen zu stärken? Nicht mal die lächerlichen 5 Euro mehr Kindergeld sind jetzt drin. Die beerdigen Sie jetzt hier genauso wie schon vorher die Kindergrundsicherung.

(Zuruf von der Linken: Unglaublich!)

Mann, Rot-Grün, wie kann man sich von der Union so am Nasenring durch die Manege ziehen lassen? Ich weiß, Sie streiten sich gerade, wer Juniorpartner der CDU werden darf. Aber vielleicht könnten wir vorher wenigstens versuchen, für andere Mehrheiten zu kämpfen.

(Beifall bei der Linken)

Und dass Sie jetzt hier nichts aufsetzen und abstimmen wollen, das ist Ihre Sache. Aber dass Sie uns als Opposition daran hindern, eigene Inhalte einzubringen, für Verbesserungen im Alltag der Menschen zu sorgen, das ist ein Skandal.

(Beifall bei der Linken)

Unser Gesetz gegen Mietwucher zum Beispiel haben Sie diese Woche entgegen Ihrer Zusage – das sage ich noch mal ganz deutlich: entgegen Ihrer Zusage vor wenigen Tagen – von der Tagesordnung geworfen, und das, obwohl der Bundesrat genau diese von uns eingebrachte Verschärfung des Mietwucherparagrafen gefordert hat. Im Bundesrat sitzen übrigens Vertreter all Ihrer Parteien. Und, Herr Söder, Ihr Bundesland hat diese Initiative gestartet. Vielleicht könnten Sie der Union mal erklären, dass das ein wichtiges Thema ist.

(Beifall bei der Linken)

Wieso können wir das denn hier nicht gemeinsam beschließen?

Es bleibt dabei: Wer niedrigere Mieten, Entlastung für die Mehrheit, höhere Renten und eine Politik, die Kinder in den Mittelpunkt stellt, will, der muss sich gemeinsam mit uns Linken mit denen anlegen, die das verhindern.

(Beifall bei der Linken – Stephan Brandner [AfD]: Ihr kümmerlicher Haufen!)

Wer Investitionen in Infrastruktur und den Wirtschaftsstandort möchte, statt weiter einer überholten Schuldenbremse zu huldigen, der hat uns als Linke an seiner Seite.

(Stephan Brandner [AfD]: Gott behüte!)

Wir sind bereit.

(Beifall bei der Linken)