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Rechtlosigkeit von Gefangenen bringt ein Stück zivilisatorische Entwicklung ins Schwanken

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi fordert in der Debatte zum Antrag der Linksfraktion „Guantanamo schließen“ die anderen Fraktionen auf, zu einem gemeinsamen Signal an die USA auf, die Rechtsstaatlichkeit im Kampf gegen den Terrorismus zu wahren und Verantwortung für das Völkerrecht wahrzunehmen. Die Koalitionsfraktionen setzten ihren Antrag zu Guantanamo durch und lehnten die Formulierung eines gemeinsamen Antrags aller Fraktionen in den Ausschüssen ab.

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich etwas sagen, das mir eigentlich nicht so wichtig ist, das ich aber einmal gesagt haben will: Ich finde, es ist angesichts des Gewichts des Themas kleinkariert, dass alle anderen Fraktionen einen eigenen bzw. einen gemeinsamen Antrag eingebracht haben, nur weil sie den Adressaten unseres begründeten Antrags als nicht richtig empfinden. (Beifall bei der LINKEN) Natürlich kenne ich ein solches Verhalten auch aus der Geschichte der Linken; das will ich gar nicht bestreiten. (Zuruf von der CDU/CSU) Ich sagte ja gerade, dass ich das kenne. Ich bin froh, nun Mitglied einer Fraktion zu sein, die dieses Verhalten wirklich überwunden hat (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) und bereit ist, jeden vernünftigen Antrag zu unterstützen, selbst wenn er von der Union kommt; das geschieht allerdings relativ selten. (Beifall bei der LINKEN Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Wir haben doch schon zusammen einen eingebracht! So schlimm ist es also auch nicht!) Inhaltlich geht es um eine gewichtige Frage. Das Völkerrecht, mit dem wir es heute überwiegend zu tun haben, ist in einer bestimmten Zeit entstanden, in einer Zeit des militärischen Gleichgewichts zwischen der Sowjetunion und den USA. Es hatte so lange einen relativ stabilen Bestand. Nichts Wichtiges geschah an der einen oder der anderen Weltmacht vorbei. Dann ist die eine Weltmacht weggefallen; das ist begrüßt worden. Aber damit sind auch viele Grundlagen des Völkerrechts entfallen. Es entspricht heute nicht mehr dem bestehenden Kräfteverhältnis. Das Vetorecht Russlands ist anders gewichtet als das der Sowjetunion. Die USA haben sehr schnell erkannt, dass sie die einzig verbliebene Weltmacht sind. Aber die einzig verbliebene Weltmacht zu sein darf nicht nur ein Ausdruck von Rechten, sondern muss auch ein Ausdruck von Verantwortung und enormen Pflichten sein. Dem stellen sich die USA nur sehr wenig. (Beifall bei der LINKEN) Das Völkerrecht hat - genauso wie das innere Recht - nur Substanz, wenn es für alle Staaten verbindlich ist, das heißt für Uganda genauso wie für Deutschland und die USA. Es darf nicht nur für bestimmte Staaten und für andere nicht gelten. So sind die Charta der Vereinten Nationen und viele andere völkerrechtliche Bestimmungen angelegt. Wir haben es mit der Entwicklung des Terrorismus und schrecklichen Ereignissen - diese muss ich hier sicherlich nicht im Einzelnen aufzählen - zu tun bekommen. Die Antwort darauf lautete Krieg. Ich sage Ihnen, warum ich diese Antwort so falsch finde: Krieg bringt nur neuen Hass hervor. Im Krieg sterben immer Unschuldige - wenn man so will - aus politischen Gründen. Krieg, insbesondere der völkerrechtswidrige, ist eine der schlimmsten Formen des Terrorismus. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb wird in der Charta der Vereinten Nationen die Möglichkeit, Krieg zu führen, ungemein eingeschränkt. Dagegen ist aber verstoßen worden. Wir haben es nun mit einer Spirale der Gewalt zu tun und niemand von uns kann wirklich einschätzen, wohin das Ganze führt, wann wer wie darunter leidet, wann etwas passiert. Die USA haben daraus eine Schlussfolgerung gezogen: Sie bekämpfen den Terrorismus auf ihre Art mit allen Mitteln und verletzen dabei das Recht. Ich sage Ihnen aber: Terrorismus ist großes grobes Unrecht. Wir haben nur eine Chance gegen großes grobes Unrecht, wenn wir es mit Recht bekämpfen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir es mit Unrecht bekämpfen, werden wir dem, was wir bekämpfen, immer ähnlicher. Genau das darf aber nicht passieren. Ich kann Ihnen viele Beispiele nennen. Heute geht es um eines, um Guantanamo. Man muss sich überlegen, was nach dem Krieg in Afghanistan geschehen ist: Du machst Gefangene, sagst aber, dass das keine Kriegsgefangenen sind. Du willst die entsprechende Konvention nicht anwenden, du gibst ihnen nicht die Rechte von Kriegsgefangenen. Du sagst aber auch, dass es keine Beschuldigten sind und deshalb keine Ermittlungsverfahren in diesem Sinne durchgeführt werden. Du sagst, dass du dein eigenes Recht fürchtest. Die US-Administration sagt: Ich bringe die Gefangenen nicht in die USA; denn da haben sie Rechte. Da gibt es Richter, Verteidiger und vieles mehr. Das will ich nicht. Man erklärt die Gefangenen für rechtlos. Das ist das Kernproblem. Wenn man sagt, Gefangene seien rechtlos, dann bringt man ein Stück zivilisatorische Entwicklung von weit über 100 Jahren ins Schwanken. Wir bewegen uns dann zurück. Der Terrorismus hat diesen Erfolg einer antizivilisatorischen Entwicklung bei uns oder im Westen überhaupt nicht verdient. Es wäre grotesk, wenn er Erfolg hätte. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb ist es so wichtig, gerade an einen Partner, gerade an eine so wichtige Macht wie die USA, immer wieder zu appellieren: Man kann Stärke auch missbrauchen. Sie sind dabei, das zu tun; das ist ein grober Fehler. Schauen Sie sich die Entwicklung auf der Welt an. Wie denkt die Bevölkerung mancher Staaten heute über die USA? Ich habe den Eindruck, dass das die Administration in den USA gar nicht interessiert. Ich glaube, das ist ein großer Fehler. Wir hatten heute eine Diskussion über den Iran. Es gibt viele Länder, über die man in diesem Zusammenhang sprechen könnte. Wir haben hier eine katastrophale Entwicklung. Deutschland ist ein enger Verbündeter der USA. Sie alle kennen die Geschichte seit 1945. Ich brauche gar nicht darauf einzugehen, welche Rolle die USA gerade für die alte Bundesrepublik gespielt haben. Und weil das so ist, ist es so wichtig, dass ein Partner wie Deutschland den Mut hat auch das Parlament , zu sagen: Du begehst einen Fehler. Wir sagen das öffentlich, weil wir nicht wollen, dass du diese Entwicklung als Weltmacht weiter nimmst. Wir wollen, dass du deine Rechte wahrnimmst, vor allem aber auch deine Pflichten und deine Verantwortung gerade für das Völkerrecht. (Beifall bei der LINKEN) (Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie sollten bitte zum Schluss kommen, Herr Gysi.) Lassen Sie mich als Letztes eines sagen, weil immer der Vorwurf des Antiamerikanismus nahe liegt: Abgesehen davon, dass ich in den USA Freunde habe, weise ich diese Anschuldigung zurück. (Lachen bei der FDP) Sie haben keine Ahnung. Das macht aber nichts. Wissen Sie, wer heute antiamerikanisch ist? Präsident Bush. Er erzeugt einen Antiamerikanismus wie kein anderer. (Beifall bei der LINKEN) Eine Korrektur ist dringend erforderlich. Deshalb meine Bitte: Machen wir zusammen einen Antrag und sagen den USA: So geht es nicht weiter! (Beifall bei der LINKEN)