Zum Hauptinhalt springen

Ökonomischer Wahnsinn

Archiv Linksfraktion - Rede von Gesine Lötzsch,

-

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Immer mehr Menschen in Deutschland kommen zu der Überzeugung, dass diese Bundesregierung nicht regierungsfähig ist, wir auch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Regierungsfähig heißt, dass man in der Lage ist und den Willen hat, die Interessen der Menschen in einem Land mit demokratischen Mitteln in praktische Politik umzusetzen. Doch Sie als Regierung kämpfen nur mit Ihrer inneren Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit. Deshalb haben Banken, Spekulanten und Lobbyisten auch so ein leichtes Spiel, die Regierung vor sich herzutreiben und ihr ihre Bedingungen zu diktieren. Ist das etwa Ihr Verständnis von Demokratie, Frau Merkel? (Beifall bei der LINKEN)
Hinzu kommt, dass die Kanzlerin mit der FDP die gleichen schrecklich teuren Fehler wiederholt, die sie bereits 2008 mit einem anderen Partner gemacht hat. Erstes Beispiel. Der damalige SPD-Finanzminister ging davon aus, dass die Finanzkrise 2008 kein Problem Deutschlands, sondern der USA sei. Er tat erst einmal nichts, und das war falsch. Die Kanzlerin ging 2010 davon aus, dass die Euro-Krise kein Problem Deutschlands, sondern ausschließlich Griechenlands sei. Sie tat erst einmal nichts, und auch das war falsch. Innerhalb von zwei Jahren wurde zweimal der gleiche Fehler gemacht. Das zeugt von einer katastrophalen Lernunfähigkeit, Frau Merkel. (Beifall bei der LINKEN)
Zweites Beispiel. Der damalige Finanzminister ging davon aus, dass die Finanzkrise 2008 auch ohne Konjunkturpaket zu lösen wäre. Erst auf Druck der Linken und der realen Verhältnisse wurde ein Konjunkturprogramm beschlossen, das allerdings unsinnigerweise in diesem Jahr ausläuft. Die Kanzlerin ging 2010 davon aus, dass die Euro-Krise alleine mit einem zweiten Bankenrettungsschirm und ohne ein Konjunkturpaket gelöst werden könne. Das ist doch abenteuerlich!
Sie, Frau Merkel, müssen sich einfach einmal die Frage stellen, warum die Finanzkrise 2008 nicht zum Kollaps der Realwirtschaft geführt hat. Es war doch die Kombination mit dem Konjunkturprogramm, die den ökonomischen Totalschaden verhindert hat. Aber Sie haben wieder nichts aus Ihren alten Fehlern gelernt. Statt Konjunkturprogrammen verlangen Sie Kürzungsprogramme. Damit drosseln Sie die Binnennachfrage und schwächen Sie die Konjunktur in Europa. Das ist doch ökonomischer Wahnsinn!
(Beifall bei der LINKEN) Schaut man sich die Entwicklung in Griechenland an, dann weiß man, wie es in Portugal, Spanien, Frankreich, Italien und auch in Deutschland in den nächsten Monaten weitergeht. Darum sagen wir als gute Europäer: Solidarität mit diesen Ländern ist auch Solidarität mit den Lohnabhängigen, Rentnern und Arbeitslosen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der LINKEN)
Frau Merkel, Sie wussten bereits vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen, dass Griechenland mit diesen Auflagen komplett überfordert sein wird, und hofften, dass Sie mit dieser Strafaktion gegen Griechenland bei den Wählerinnen und Wählern in Nordrhein-Westfalen punkten könnten. Doch das ist Gott sei Dank gründlich misslungen. Gut, dass diese Strategie nicht aufgegangen ist. (Beifall bei der LINKEN)
Schon vor der Wahl war klar, dass die Griechenlandkrise eigentlich eine Euro-Krise ist. Sie haben überhaupt keine Strategie zur Lösung dieser Euro-Krise. Sie mussten sich erst von den Vertretern der anderen EU-Länder zwingen lassen, darüber etwas gründlicher nachzudenken. Das gleiche neoliberale Rezept, das Griechenland weiter in die Krise treibt, wurde jetzt Spanien und Portugal verschrieben. In Portugal wird das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre sowie die Mehrwert- und Einkommensteuer erhöht. Spanien wird seine Ausgaben bis zum Jahre 2011 um 15 Milliarden Euro kürzen. Dafür werden in diesem Jahr die Gehälter im öffentlichen Dienst um 5 Prozent gekürzt und im nächsten Jahr eingefroren. Die Renten werden nicht erhöht. Die Entwicklungshilfe wird abgesenkt und der sogenannte Babyscheck von 2 500 Euro pro Neugeborenen ersatzlos gestrichen. Die öffentlichen Investitionen werden heruntergefahren. Allerdings erklärt niemand den Spaniern und den Portugiesen, wie sie auf diese Weise aus der Krise kommen sollen. Angeblich würden diese Kürzungen die Märkte beruhigen und Vertrauen bei Anlegern schaffen. Doch wie soll das soll mir einmal jemand erklären durch diese Maßnahmen wieder Wachstum entstehen? (Beifall bei der LINKEN)
Die Linke hat bereits vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen darauf hingewiesen, dass die Kanzlerin in Griechenland nur ihr neoliberales Waffenarsenal testen wollte, um es dann in Deutschland einzusetzen. Bei Ihnen, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, war damals die Empörung groß. Doch kaum waren die Stimmen in Nordrhein-Westfalen ausgezählt, startete Ministerpräsident Koch der gehört ja wohl der CDU an den ersten Angriff auf Kinder, Jugendliche und Familien. Sein Schlachtruf lautete der Kollege Steinmeier ist auch schon darauf eingegangen : „Wir leben über unsere Verhältnisse!“ Diesen Schlachtruf hören wir nun schon seit 20 Jahren, und ich frage mich: Wer ist eigentlich „wir“? Wer lebt hier über seine Verhältnisse? Das sind doch nicht die Arbeitnehmer, Rentner, Familien und Arbeitslosen. Diese Menschen, an denen die Bundesregierung überhaupt kein Interesse hat, leben nicht über ihre Verhältnisse. Es sind die Spekulanten, die Banker und auch diese Bundesregierung, die über ihre Verhältnisse leben. (Beifall bei der LINKEN) Herr Koch schlägt vor das wird ja von der Bundesregierung wohlwollend geprüft , weniger Geld für Krippen und Kindergärten auszugeben. Das ist ein Frontalangriff auf die Generation, die einmal die hohe Beamtenrente von Herrn Koch erarbeiten soll. Das ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch absolut ökonomischer Unsinn! (Beifall bei der LINKEN)
Wir sollten hier nicht nur über die Regulierung des Finanzmarkts und über die Euro-Stabilisierung reden, sondern uns vor allen Dingen auch die Frage stellen, wie hochverschuldete Länder aus der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder herausgeführt werden können. Wir brauchen, um Staatsbankrotte zu verhindern, jetzt keine drakonischen Kürzungspläne, sondern wir brauchen, wie es die Linke schon seit Jahren fordert, endlich ein europäisches Konjunkturprogramm, in dem sich jeder Staat verpflichtet, mindestens 2 Prozent des Bruttosozialproduktes pro Jahr aufzuwenden, um den wirtschaftlichen Niedergang zu bremsen. Für dieses europäische Konjunkturprogramm sollten Sie sich in Brüssel einsetzen und nicht für weitere drakonische Kürzungsmaßnahmen, Frau Merkel. (Beifall bei der LINKEN)
Ich gehe hier deshalb stark auf die ökonomische Bewältigung der Krise ein, weil wir uns im Augenblick das ist richtig um die Regulierung der Finanzmärkte kümmern. Wir müssen aber darüber hinaus auch darüber reden, wie wir die gigantischen Staatsschulden endlich loswerden und wie wir gleichzeitig die europäische Wirtschaft stärken können. Das ist unsere Aufgabe. Die Finanztransaktionsteuer wird ja nun augenscheinlich von allen unterstützt. Ich hoffe nur, dass sie auch endlich umgesetzt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Setzten wir sie um, dann hätten wir allein für Deutschland 12 Milliarden Euro mehr pro Jahr in der Kasse; das ist mehr, als der Bund für Bildung und Forschung im Jahr 2010 ausgeben wird. Ich frage Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion: Warum ist Herr Koch eigentlich nicht auf die Idee gekommen, statt bei der Bildung zu sparen, die Finanztransaktionsteuer von der Kanzlerin zu fordern? Vielleicht sollten Sie einmal mit ihm darüber diskutieren. (Beifall bei der LINKEN)
Die reale Gefahr besteht darin, dass für die Rettung des Euro jetzt alles aufgegeben werden soll, was Europa nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht hat. Wer jetzt mit drakonischen Kürzungsplänen den Arbeitnehmern, Familien und Rentnern die Luft zum Atmen nimmt, setzt nicht nur die konjunkturelle Erholung aufs Spiel, sondern auch den sozialen Frieden in Europa. Wir als proeuropäische Partei sagen: Wir wollen ein friedliches, gerechtes und soziales Europa. Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)