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Nichts zu hören von Risikoforschung

Archiv Linksfraktion - Rede von Ralph Lenkert,

Rede im Bundestag am 31.01.2014 zu TOP 1. „Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin“

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Forschung muss marktnah sein. Forschung muss der Exportindustrie nutzen. ‑ Das ist der Bundesregierung, das war auch heute zu hören, extrem wichtig. Aber von der Erforschung von Risiken ‑ von Technologiefolgen sowie den Risiken unseres Wirtschaftens ‑ hört man nichts.

Was passiert, wenn man Risikoforschung unterlässt, möchte ich Ihnen an einem kleinen Beispiel einmal näher erläutern. Seit den 80er-Jahren wurden Pkw-Klimaanlagen verbreitet eingesetzt.

Damals setzte man auf FCKW, weil es nicht brennt. Dann begann sich die Ozonschicht aufzulösen. Man fing an zu suchen und entdeckte FCKW als Ursache.

Vizepräsident Peter Hintze:

Herr Kollege, Ihr Redebeitrag hat schon einen Nachfragewunsch ausgelöst. Wollen Sie eine Nachfrage des Kollegen Feist zulassen?

Ralph Lenkert (DIE LINKE):

Ja.

Vizepräsident Peter Hintze:

Bitte, Herr Feist.

Dr. Thomas Feist (CDU/CSU):

Sehr geehrter Kollege, Sie haben gesagt, Forschung und Innovation sei uns wichtig, Export natürlich auch ‑ das ist klar ‑; aber für Technikfolgenabschätzung gäben wir nichts aus.

Ralph Lenkert (DIE LINKE):

Nicht so viel.

Dr. Thomas Feist (CDU/CSU):

Was ist Ihrer Meinung nach der Betrag, den wir jährlich für Technikfolgenabschätzung ausgeben?

Ralph Lenkert (DIE LINKE):

Ich sagte nicht, Sie gäben nichts aus. Ich sagte ‑ wenn Sie genau zugehört hätten, wüssten Sie es ‑: Davon hört man bei Ihnen nichts.

Ich verweise auf die EU-Kommission, der auch Mitglieder Ihrer Partei angehören: Das EU-Forschungsrahmenprogramm stellt 70 Milliarden Euro für Innovation und Forschung und 460 Millionen Euro für ‑ ‑

(Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): 2 Millionen Euro im Jahr stehen im Haushalt!)

‑ „2 Millionen Euro“ ‑ Wahnsinn! Wissen Sie, wie viel Sie für Kernenergieforschung ausgegeben haben? 168 Milliarden Euro, allerdings ohne die Folgen zu berücksichtigen.

Ich fahre fort.

Dann begann sich die Ozonschicht aufzulösen, und Sie haben FCKW als Ursache identifiziert. Ihre industrienahen Forscher entwickelten dann R134a als Kältemittel ‑ Problem gelöst. Das dachte man, bis im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung Ihre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler endlich erkannten: Dieses Mittel wirkt klimaerwärmend; es muss weg. Die EU-Kommission sorgte für ein Verbot ab 2017.

Jetzt stellt die industrienahe Forschung ein neues Wundermittel bereit: R1234yf. Nebenwirkung: hohe Brennbarkeit. 1980 wäre so etwas noch verboten gewesen. Ein Zerfallsprodukt dieses Mittels ist Trifluoressigsäure. Sie schädigt Wasserorganismen und baut sich nicht ab. Völlig ausgeblendet wurde: Beim Verbrennen dieses Mittels entsteht Fluorwasserstoff und daraus Flusssäure. Spätestens jetzt sollten Sie begreifen, dass die Risikoforschung unverzichtbar ist und die Mittel dafür maximal aufgestockt werden müssen.

Hinzu kommen bei Kältemitteln dieser Art Gefahren durch Weichmacher, Nebenwirkungen von Nanopartikeln. Die Risiken dieser Mittel wurden stets erst nach dem Auftreten von Schäden erkannt. Bisher hat auch diese Regierung nicht gelernt, dass man Forschung zu Umweltfragen, zu ethischen Gesichtspunkten und zum Schutze der Menschen massiv verstärken muss. Die Linke fordert hier deutlich mehr Mittel.

Es ist ein Armutszeugnis, dass erst die Deutsche Umwelthilfe mit Versuchen an Pkws nachwies, dass R1234yf, in Pkws eingefüllt, zur tödlichen Konzentration von Flusssäure führen kann. Kein Institut, keine Universität, keine Bundesbehörde untersuchte dies - trotz deutlicher Hinweise. Frau Ministerin Wanka, meist müssen Menschen und Umwelt die Folgen von unterlassenen Risikountersuchungen tragen. Deshalb müssten Sie handeln.

Übrigens: Die Automobilindustrie muss mehrere Milliarden Euro einsetzen, um das von R1234yf verursachte Dilemma zu beseitigen. Allerdings hält sich mein Mitleid da in Grenzen.

Wenn Sie zukünftig Schaden von Menschen, Umwelt und auch von Ihrer geliebten Industrie abhalten wollen, dann erhöhen Sie die Mittel für die Risikoforschung! Die Linke wird dies unterstützen.