Rede zur 2./3. Lesung des Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetzes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entschuldigungsrede von Herrn Dautzenberg haben wir gerade mit Interesse zur Kenntnis genommen. Sie war wenig offensiv; das wird seine Gründe gehabt haben.Trotzdem stecken wir in einer der schwersten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrisen seit 80 Jahren. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle - dazu hat die FDP natürlich kein Wort gesagt - hat uns erklärt, dass die Wirtschaftskraft wahrscheinlich um 4,8 Prozent sinken wird. Ferner wurde prognostiziert, dass wir bis Ende 2010 mit 4,5 Millionen Arbeitslosen rechnen müssen. Dagegen müssen wir etwas tun und nicht ein so ideologisches Geschwätz bieten, wie wir es uns gerade haben anhören mussten.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die Bundesregierung hat zunächst sehr schnell reagiert und innerhalb einer Woche einen Rettungsschirm von 480 Milliarden Euro für die maroden Banken aufgelegt. Übrigens hat die FDP zugestimmt - das dürfen Sie nicht vergessen -,
(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das haben wir gerade gesagt!)
obwohl das Ding überhaupt nicht funktioniert.
Dann sind Sie drei Wege gegangen, die ich alle für indiskutabel halte. Sie haben - ich sage das noch einmal ganz kurz - der IKB 8,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Sie haben die IKB verkauft und nicht geregelt, dass auch nur ein einziger Euro aus den zukünftigen Gewinnen dieses Unternehmens zurückgezahlt werden muss. Ich halte das für einen schweren Fall von Untreue.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Sie haben der Commerzbank ihren sechsfachen Wert an Geldern zur Verfügung gestellt. Den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gehört nur ein Viertel. Das ist indiskutabel. Die Gewinne gehen zu drei Vierteln an die Privaten, die Schulden aber übernehmen allein die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Genau das geht nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Welche Gewinne denn? Es gibt ein Ausschüttungsverbot!)
- Warten Sie ab. Die werden schon kommen. Dann werden wir uns darüber unterhalten. Wir können in der nächsten Legislaturperiode gern einen Untersuchungsausschuss einleiten, um einmal all diese Fragen abzuklären.
(Zuruf von der CDU/CSU: Für einen Juristen sollte sich hier der Blick ins Gesetzbuch lohnen!)
Dann müssen Sie aber dafür stimmen. Mal sehen, ob das klappt.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Was machen Sie jetzt bei der Hypo Real Estate? Sie haben ihr schon 87 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. 10 Milliarden Euro kommen noch hinzu. Nun kommt dieses Gesetz. In einem Punkt hat die FDP Recht: Nennen Sie es ehrlicherweise doch einfach Enteignungsgesetz. Warum drücken Sie sich denn aus ideologischen Gründen davor? Wenn es so etwas ist, dann sollte man es auch so benennen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) und des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Jetzt muss ich fast klatschen!)
Das Problem ist aber, dass Frau Merkel, Herr Steinmeier und Herr Steinbrück ganz schnell sind, wenn es darum geht, Geld für die Banken auszugeben. Da haben sie überhaupt keine Schwierigkeiten. Wenn es aber um die Frage geht, wie gesichert werden kann, dass die Gelder an den Steuerzahler zurückfließen, vernachlässigen sie alle Dinge, die man eigentlich tun muss. Deshalb nenne ich auch dies Untreue.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ihr Enteignungsgesetz. Das beinhaltet drei Fehler. Der erste Fehler besteht darin, dass es Ende Juni ausläuft. Das ist völliger Quatsch. Das ist ein viel zu kurzer Zeitraum. So kann das überhaupt nicht funktionieren. Der zweite Fehler besteht darin, dass es auf die HRE zugeschnitten ist. Was machen Sie denn, wenn die Commerzbank kurz vor der Pleite steht? Machen wir dann ein neues Gesetz? Sie hätten das generell regeln können.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist kein Einzelfallgesetz!)
Der dritte Fehler ist die Reprivatisierung. Sie haben geregelt, dass die HRE zu reprivatisieren ist, sobald sie nachhaltig stabilisiert ist. Das ist eine ganz schwammige Formulierung. Wir haben beantragt, folgende Formulierung aufzunehmen: „... wenn durch die Reprivatisierung gesichert ist, dass sämtliche Steuermittel einschließlich Zinsen wieder zurückfließen.“ Genau an dieser Stelle aber verweigern Sie sich. Deshalb sage ich Ihnen, dass das Ganze auf einen neuen Fall von Untreue hinausläuft.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Brüderle, auch wir lehnen den Gesetzentwurf ab, aber aus Gründen, die in völligem Gegensatz zu denen stehen, die Sie hier benannt haben.
(Beifall bei der FDP - Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Darauf legen wir auch Wert!)
Was Sie unter Freiheit und Eigentum verstehen, das müssen Sie mir einmal erklären. Wenn ein Bäcker pleite ist, verliert er seine ganze Bäckerei. Darum kümmern Sie sich keine Sekunde lang. Bei Herrn Flowers aber kämpfen Sie um sein Eigentum, obwohl er uns die „pleiteste Bank der Geschichte“ hinterlässt. Das ist nicht mehr nachzuvollziehen. Was haben Sie denn für einen Freiheitsbegriff?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Im Übrigen empfehle ich Ihnen, Art. 14 und 15 des Grundgesetzes zu lesen.
(Dr. h. c. Gerd Andres (SPD): Den interessieren nur Oasen, sonst nichts!)
- Ich weiß. Die Oasen wollen Sie ebenfalls schützen. Die Oasen gehören zu den Einrichtungen der Erde, die jedes Steuerrecht konterkarieren. Das ist das Problem. Deshalb müssen wir die Oasen endlich austrocknen.
(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU)
Sie sagen, das Ganze sei ein sozialistischer Sündenfall und lasse irgendwie die DDR wiederauferstehen. Wenn das Ihre Einstellung ist, meine wenigen Damen und vielen Herren bei der FDP, dann ist die CDU nach Ihrer Auffassung inzwischen sozialistisch geprägt. Jetzt müssen Sie den Wählerinnen und Wählern erklären, weshalb Sie mit so einer sozialistischen Union koalieren wollen. Das ist nicht mehr nachvollziehbar.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Schwere Frage, Herr Gysi!)
- Eben.
Sie haben ein Staatsverständnis, das nicht hinzunehmen ist. Sie sitzen hier im höchsten Staatsorgan der Bundesrepublik Deutschland, im Bundestag, und Sie können den Staat gar nicht leiden. Der Staat soll zwar alle Schulden tragen, aber er soll niemals etwas einnehmen. Das ist eine derart idiotische Einstellung zum Staat, wie ich sie wirklich selten erlebt habe.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Um aus der Krise herauszukommen, gibt es theoretisch vier Wege - darüber müssten wir uns einigen; vielleicht sollten wir uns darüber einmal vertieft unterhalten -:
(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wir sind nicht Staatsvertreter, sondern Volksvertreter!)
- Herr Westerwelle, hören Sie einmal zu! Jetzt können Sie etwas lernen.
Erstens: die Entwertung des Geldes, so wie das Ende der 20er-Jahre gemacht worden ist, also eine große Inflation etc. Wenn das Geld entwertet wird, werden natürlich auch die Schulden entwertet. Das hat aber katastrophale Folgen für die Bürgerinnen und Bürger. Ich glaube, dass Sie das alle nicht wollen, und wir wollen das auch nicht. Im Übrigen gibt es im Augenblick eher Anzeichen für eine Deflation.
Zweitens: die Sozialisierung der Verluste; das schwebt wahrscheinlich der FDP vor. Das heißt, man sorgt dafür, dass die Schulden auf zwei Wegen zurückgezahlt werden: indem man Sozialleistungen abbaut und indem man Steuern dramatisch erhöht. Dazu reicht Ihre Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent aber nicht aus. Dazu müssen Sie ganz andere Wege gehen. Union und SPD werden dazu vor der Wahl Nein sagen. Ich traue Ihnen aber nicht. Ich glaube, dass nach der Wahl genau dieser Weg beschritten werden wird. Wir lehnen diesen Weg aber vollständig ab. Das will ich an dieser Stelle ganz klar erklären.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens - dieser Weg wäre spannend; er wäre für die FDP aber überhaupt nichts: eine Entschuldung, und zwar auf eine ganz andere Art und Weise, nämlich durch eine partielle Enteignung der Großgläubiger. Ich will es Ihnen erklären: Man legte fest, dass Forderungen der Banken bis zu 1 Million Euro befriedigt werden. Forderungen, die darüber hinausgehen, würden nur noch zu einem Teil befriedigt, beispielsweise zu 10 Prozent oder zu 20 Prozent, je nachdem, wie man es verkraften kann. Das wäre ein sehr revolutionärer Weg, den wir aber nicht vorschlagen. Ich will Ihnen auch erklären, warum wir ihn nicht vorschlagen.
(Heiterkeit bei der FDP)
- Ich muss Ihnen die Enttäuschung gleich servieren. - Wissen Sie, warum wir diesen Weg nicht vorschlagen? Wir schlagen diesen Weg nicht vor, weil wir die Struktur der Großgläubiger nicht kennen. Wenn es sich beispielsweise um Pensionsfonds handelt, können wir die entsprechenden Gläubiger nicht enteignen, weil dies bedeuten würde, den Leuten die Renten zu nehmen. Das kommt gar nicht infrage.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn die Großgläubiger Banken sind, wenn sich also Banken untereinander etwas schulden, dann ist das ein Nullsummenspiel; dann bringt das gar nichts. Leider werden uns aber die Auskünfte über die Großgläubiger verweigert. Ich würde das gern wissen; dann könnte man über diese Frage mehr nachdenken.
Ergo bleibt nur der vierte Weg. Der vierte Weg bestünde darin, dass man erst einmal die Großbanken verstaatlicht, nachdem man die Finanzwirtschaft reguliert hat. Man verstaatlicht die Großbanken deshalb, weil die Bundesrepublik Deutschland im Unterschied zur HRE so schnell nicht in Insolvenz geht. Da sie nicht in Insolvenz geht, bekommt der Staat viel billiger und schneller Kredite als die privaten Banken. Wenn er billiger und schneller Kredite bekommt, kann er auch billiger und schneller Kredite an die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger geben. Das ist der Vorteil des Staatseigentums bei Banken. Ich komme noch dazu, weshalb ich bei der Industrie wiederum gänzlich dagegen bin.
(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das machen Sie besser mit der Regierungskoalition, nicht mit uns!)
- Richtig, Herr Westerwelle. Wir haben auch gar nicht vor, das mit Ihnen zu machen. Wir haben aber vor, Sie dabei in jeder Hinsicht zu erdulden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wie könnten wir das Ganze finanzieren? Wenn wir es gerecht machen wollen, dann brauchen wir in Deutschland wie nach 1945 wieder einen Lastenausgleich. Wir müssten sagen: Die Vermögenden müssen 5 Prozent des Wertes Ihres Besitzes, der 1 Million Euro übersteigt, abführen. Das wäre ein Lastenausgleich.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Dann müsste die Linkspartei aber viel zahlen!)
Ich sage Ihnen: Es gibt nicht wenige Vermögende - Herr Kauder, Sie kennen sie nicht -, die das sogar ganz gerne bezahlen würden. Die, die das nicht gerne machen würden, müssten das dann eben akzeptieren, ohne es gerne zu machen. Das ist uns dann auch egal. Trotzdem wäre das eine Lösung.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Lastenausgleich würde zwar nur einmalig geleistet, aber das wäre zumindest eine Geste. Es wäre ein positives politisches Symbol, wenn Sie zu dem Bäckermeister und der Verkäuferin bei Lidl nicht sagen würden, dass Sie das schon irgendwie von ihnen bekommen, sondern wenn Sie den Vermögenden sagen würden: Leistet hier einen Lastenausgleich; ihr habt daran schließlich Millionen und Abermillionen verdient. Das ist doch das Problem.
Dauerhaft brauchten wir eine Vermögensteuer, eine Börsenumsatzsteuer, eine Steuer auf Kaufpreiserlöse und einen neuen Spitzensteuersatz. Wir wollen aber nicht nur Steuererhöhungen. Wir sind keine Steuererhöhungspartei. Wir wollen auch Steuern senken, zum Beispiel für die Geringverdienenden, für die durchschnittlich Verdienenden, die heute den Steuerbauch bezahlen, und auch für das Handwerk. Wir haben hier sehr verschiedene Vorstellungen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gysi, nennen Sie bitte nur noch die Stichworte, die Sie dann in einer späteren Rede im Einzelnen ausformulieren können.
(Heiterkeit - Joachim Poß (SPD): Er nennt immer dieselben Stichworte!)
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident, ich bin Ihnen sehr dankbar. Es ist immer dasselbe: Wenn man hier nicht nur redet, sondern auch etwas sagt, dann vergeht die Zeit zu schnell.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN - Dr. h. c. Gerd Andres (SPD): Da hat er recht!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das ist wahr.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss: Wir sind für etwas, was Sie gar nicht kennen, nämlich für Steuergerechtigkeit.
(Zuruf von der SPD: Stichworte!)
- Die Stichworte lasse ich jetzt weg.
Ich möchte aber noch etwas zur SPD sagen: Sie stellen jetzt tolle Forderungen. Sie wollen eine Börsenumsatzsteuer, eine Begrenzung der Managergehälter, eine Austrocknung der Steueroasen, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und vieles andere. Immer wenn das hier zur Abstimmung stand, haben Sie dagegen gestimmt. Außerdem erklären Sie, dass Sie mit der FDP koalieren wollen. Das heißt, Sie sagen schon jetzt, dass nichts davon Realität werden wird.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Florian Toncar (FDP))