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Nanotechnologie

Archiv Linksfraktion - Rede von Petra Sitte,

Zum Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen: Nanotechnologie-Bericht vorlegen (Bundestagsdrucksache 16/4757)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

Nanotechnologie hat das Potential für Innovationsschübe in vielen Branchen. Zwischenzeitlich jedoch gehen Experten nicht mehr von einem technologischen Paradigmenwechsel über alle Industrien und Anwendungsfelder hinweg aus. Dennoch werden ständig neue Anwendungsbereiche bzw. -möglichkeiten bekannt.

Schon heute befinden sich weltweit mehr als 300 Produkte der Nanotechnologie im Handel. Bedeutung wird der Nanotechnologie vor allem bei Optimierung und Ergänzung von vorhandenen Produkten und Verfahren zugemessen.

Für DIE LINKE sind jedoch nicht allein wirtschaftliche Wirkungen interessant, sondern auch Chancen für Umwelt, Medizin und Gesundheitsschutz, um nur einige zu nennen. Die Verkleinerung von Material auf Nanopartikelgröße bringt ganz erstaunliche Effekte. Wir reden hier über Größenbereiche zwischen 1 und 100 Nanometer. Und ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters! Zur Veranschaulichung: Es handelt sich um die Größenverhältnisse eines Fußballs zur Erde! Die Materialien als Nanopartikel verhalten sich anders und unterscheiden sich damit von den Eigenschaften, die sie als Festkörper in größeren Dimensionen besitzen. Sie reagieren stärker oder sogar gegenteilig und sind ausgesprochen mobil. Das macht sie in gewisser Weise auch unberechenbar. Aus diesem Grund haben auch von Anfang an - und das ist neu - Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf mögliche Gefährdungen hingewiesen.

Es wird der Aufbau einer internationalen Risikoforschung von den Entwicklern der Nanotechnologie selbst gefordert. Nanopartikel werden von ihnen als eine neue Klasse von Feinstäuben beschrieben. Diese können beispielsweise über die Lunge tief in den menschlichen Organismus eindringen. Daher müssen die speziellen Eigenschaften eines jeden Nanowerkstoffs untersucht werden. Was passiert, wenn Nanopartikel sich lösen? Wohin verschwinden sie?

Neu ist nicht nur, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ganz frühen Entwicklungsphasen bereits auf die Notwendigkeit von Risikoforschung hingewiesen haben. Neu ist auch, dass Begleitforschung nicht mehr reicht. Stattdessen muss Vorraussetzungs- bzw. Vorlaufforschung betrieben werden. Diese hat Anwendungsbedingungen zu untersuchen und zu beschreiben. Die Ergebnisse müssen schließlich in entsprechenden Regelwerken bzw. Anwendungsvorschriften festgelegt werden. Das alles wäre vor der Markteinführung entsprechender Produkte zu leisten. So wie es auch in anderen europäischen Ländern üblich ist. Aspekte des Gesundheits-, Lebensmittel-, Arbeitsschutzes, der Arzneimittelzulassung aber auch der Wirkungen auf Kommunikations- und Informationstechnologien greift der Antrag von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN auf. Das ist richtig und wird von uns unterstützt.

Ich will aber auch deutlich sagen, dass die Debatte selbst nicht neu ist! Man hätte schon vor Jahren von Seiten der Vorgängerregierung konsequenter handeln können und müssen. In einem Antrag von SPD und Grünen vom Mai 2004 war zu lesen, dass es notwendig sei, ich zitiere „…die derzeitige frühe Phase der Nanotechnologie-Entwicklung als Zeit der Weichenstellung in Richtung möglichst nachhaltiger Entwicklungspfade zu nutzen und die Forschung zu den gesellschaftlichen und ethischen Aspekten der Entwicklung und verbreiteten Anwendung der Nanotechnologie zu intensivieren. Hierzu gehören vor allem Fragen des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre. … Für die ökologische, ethische, soziale, friedenspolitische und verbraucher- und gesundheitsschutzorientierte Begleitforschung sollten 5 Prozent der zur Verfügung stehenden Forschungsmittel für Nanotechnologie im Bundeshaushalt eingesetzt werden. Wir erwarten, dass die Bundesregierung auch auf EU-Ebene bei der Entwicklung des 7. Forschungsrahmenprogramms auf eine ähnlich starke Beachtung der Begleitforschung drängt.“ Eine gute Absicht. Wie aber sieht die Realität aus?

Laut Auskunft der Bundesregierung sind 2006 für die Bearbeitung von Chancen und Risiken beispielsweise für NanoCare, INOS und ITA-Studien 1,582 Millionen Euro vorgesehen. Dem steht eine Gesamtfördersumme für Nanotechnologie in Höhe ca. 640 Millionen für den Zeitraum 2006 bis 2009 gegenüber - also rund 160 Millionen Euro pro Jahr. Die anvisierte Fünf-Prozent-Marke liegt demnach bei 8 Millionen Euro pro Jahr. Ein Defizit von nahezu 6,5 Millionen Euro! Neben dieser Fehlstelle, Frau Schavan, ist auch kein kontinuierlicher Planungsprozess mit Blick auf Begleitforschung und Bürgerbeteiligung zu erkennen. Im Sommer 2006 wurde auf Bundesebene eine Forschungsstrategie „Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanopartikeln“ entworfen. Diese wurde endlich im November vorgestellt und mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verbänden diskutiert. Trotz Ergänzungsbedarf wurde dieser Entwurf breit unterstützt. Allerdings kritisierten Beteiligte, die mangelnde Verbindlichkeit des Papiers bezüglich weiterer Schritte und behördlicher Zuständigkeiten bei Umsetzung der Strategie. Seit dieser Diskussion ist kein weiterer Handlungsfortschritt erkennbar.

Wohl gibt es eine neue NanoKommission, die im März auch ein erstes Treffen gehabt haben soll. Wer neben Herrn Catenhusen Mitglied ist, worin Aufgabe und erste Ergebnisse bestehen, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Auch über den so genannten NanoDialog beim Umweltminister lässt sich nichts lesen oder hören. Da soll zudem ein Rechtsgutachten beim Bundesministerium für Umwelt abgeschlossen worden sein. Aber auch dessen Ergebnisse bekommt „die Welt nicht zu Gesicht“! Überall lassen sich nur Hinweise auf noch zu aktualisierende Websites und Konzepte finden. Und letztlich geben auch die Seiten des BMBF nichts zur Risikoforschung preis. Frau Ministerin, ich kann nur sagen, Ihren angekündigten Initiativen in Sachen Risikoforschung geht es ein bissel wie den Nanopartikeln selbst: Man kann sie nicht erkennen!