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Mut zum Aufbruch ins solare Zeitalter

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

 

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeiten, in denen Investitionen in Solarstrom teuer waren, sind vorbei. Seit 2008 sind die Mittel für die Förderung von Solarstrom halbiert worden, und zwar auf gesetzlicher Grundlage. Aber das genügt Ihnen nicht. Selbst im Jahre 2012 wäre die Förderung nach der derzeit bestehenden gesetzlichen Grundlage noch einmal um 30 Prozent reduziert worden. Aber das reicht Ihnen immer noch nicht, Sie wollen noch drastischer reduzieren. Warum reicht Ihnen das eigentlich nicht? Die Solaranlagen jetzt auszubremsen, so wie Sie das vorhaben, bedeutet nichts anderes, als im Interesse der fossil-nuklearen Energiewirtschaft zu handeln. Das ist gesellschaftspolitischer Irrsinn.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Thomas Bareiß (CDU/CSU): Quatsch! Absoluter Unsinn!)

Für die zusätzliche Kürzung von 10 bis 18 Prozent im Jahr 2012 können Sie keine triftigen Gründe anführen. Das Ziel der Bundesregierung ist meines Erachtens die Blockade der Energiewende,

(Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): So ein Schmarrn!)

wobei es nicht nur um die Kürzung der Förderhöhe, sondern auch um eine radikale Absenkung des Neubaus von Solaranlagen geht. Es steht ausdrücklich im Gesetzentwurf: Der Zubaukorridor soll drastisch heruntergefahren werden.

Geht es nach der Regierung, soll in fünf Jahren nur noch ein Viertel der Solaranlagen im Vergleich zum heutigen Stand gebaut werden. Warum?

(Horst Meierhofer (FDP): Nein, gefördert!)

Ich werde es Ihnen erklären. Die höhere Mathematik der Bundesregierung lautet wie folgt: Um die Energiewende voranzuträumen - Entschuldigung: voranzutreiben -, also auf Strom aus Atom und Kohle zu verzichten, reduzieren Sie das Wachstum der Solarenergie.

(Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Nein, das ist nicht wahr!)

Sie müssen einmal erklären, wie das funktionieren soll. Das verstehe, wer will. Ihr eingebrachter Gesetzentwurf ist nichts anderes als ein Solarausstiegsgesetz, und genau das muss verhindert werden.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Höhere Mathematik: nicht bestanden!)

Die künftigen Kürzungen des Förderumfangs wollen Sie auf dem Verordnungswege regeln. Ich sage Ihnen: Damit entmachtet sich der Bundestag schon wieder selbst. Das ist doch keine Variante! Warum soll nicht der Bundestag darüber beschließen? Aus einem ganz einfachen Grunde wollen Sie das: Sie wollen keine öffentliche Diskussion darüber führen. Sie wollen das schnell auf dem Verordnungswege regeln, aber genau das können wir nicht zulassen. Das ist ein Abbau von Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen beim Abbau der Förderung eine Verkürzung erreichen. Man muss sich einmal vor Augen führen, wie Sie vorgegangen sind: Am 29. Februar tagte Ihr Kabinett ‑ schade, dass wir ein Schaltjahr haben, sonst wäre das vielleicht ausgefallen ‑,

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD ‑ Ulrich Kelber (SPD): Es wäre gut, wenn sie das immer am 29. machen würden!)

heute wollten Sie eigentlich abschließend darüber beraten, und am 9. März sollte es schon in Kraft treten. Nun haben Sie sich auf eine „gewaltige“ Verzögerung eingelassen und die Kürzung auf den 1. April verlegt. Wie schnell soll das denn noch gehen? Wollen Sie Ihre Vorhaben künftig innerhalb von 24 Stunden durchwinken? Das, was Sie diesbezüglich hier anstellen, ist absolut verantwortungslos.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Schauen wir uns doch einmal die Folgen an ‑ Sie sagen, dass Sie das Ganze fördern, dabei vernebeln Sie hier alles ‑: Die Bestellungen werden storniert; Bankkredite sind schon widerrufen worden - alles wegen Ihrer Gesetzesinitiative. Es wird gesagt: Die Bedingungen stimmen ja gar nicht mehr; wir haben uns auf ein anderes Gesetz verlassen. - Das kann man nicht machen. Es muss immer eine gewisse Rechtssicherheit geben.

(Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Davon verstehen Sie ja etwas!)

Man hat einer ganzen Branche ein Gesetz vorgelegt und gesagt: Die Förderung sieht so und so aus, sie ist degressiv, sie nimmt von Jahr zu Jahr ab, aber darauf könnt ihr euch einstellen. - Wenn Sie aber als Gesetzgeber das Ganze innerhalb einer Woche umdrehen, dann bringen Sie damit die ganze Branche durcheinander, und zwar die Unternehmerin und den Unternehmer genauso wie die abhängig Beschäftigten. Genau dagegen richtet sich unsere Kritik.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In den letzten Monaten gab es doch schon genügend Krisenmeldungen ‑ ich möchte daran erinnern ‑: Das Berliner Unternehmen Solon meldete genauso wie das Erlanger Unternehmen Solar Millennium im Dezember Insolvenz an. Im Januar stellte First Solar für seine Produktionsstätten in Frankfurt/Oder einen Antrag auf Kurzarbeit. Schott Solar stellt die Produktion sogenannter Solar Wafer in Jena ein. Es gibt keine Planungssicherheit. Und was machen Sie jetzt? Jetzt schaffen Sie das, worauf sich die Unternehmen noch verlassen konnten, auch noch ab. Was soll denn jetzt passieren? Wie viele Unternehmen wollen Sie denn noch in die Insolvenz schicken? Sie müssen doch den umgekehrten Weg gehen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Ich nehme als Beispiel das sogenannte Solar Valley. Das hat den Menschen in der Region Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt endlich wieder eine Chance gegeben. 3 000 Arbeitsplätze sind in einer Region entstanden, die nach 1990 deindustrialisiert worden ist. Wenn Sie das, was Sie vorhaben, durchziehen, deindustrialisieren Sie die Region erneut. Ich halte das für völlig verantwortungslos. Der Osten verträgt keine zweite Deindustrialisierung, wirklich nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ‑ Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Skandal!)

Ich hoffe auf die Bundesländer. Ich möchte sehen, wie viel Kreuz alle neuen Bundesländer haben. Sie müssten im Bundesrat geschlossen eine Initiative dagegen ergreifen. Da auch Herr Seehofer immer sagt, dass er dagegen ist ‑ ich weiß gar nicht, wie sich die CSU hier dazu verhält; das ist mir auch wurscht ‑, müsste er ebenfalls eine entsprechende Initiative ergreifen. Leider ist es ja kein zustimmungspflichtiges Gesicht - ich meine natürlich: Gesetz -, aber der Bundesrat könnte zumindest Einspruch erheben.

(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

‑ Das, was ich gerade versehentlich gesagt habe, stimmt übrigens auch, aber ich weiß, dass es darum jetzt nicht geht.

Noch einmal: Wenn der Bundesrat Einspruch erhebt, dann müsste dieser mit absoluter Mehrheit hier zurückgewiesen werden; es sei denn, wir erreichen ein besseres Ergebnis - es muss wirklich ein vernünftiges Ergebnis sein - im Vermittlungsausschuss. Doch daran kann ich noch nicht glauben, weil Ihre Zielstellung abenteuerlich ist. Ich weiß nicht, wie man diesbezüglich eine Verständigung erzielen will.

Was brauchen wir also? Wir brauchen eigentlich ein Förderprogramm für die Solarenergiebranche.

(Thomas Bareiß (CDU/CSU): Noch eins?)

Sie müssten den Unternehmen zinsgünstige Kredite zur Verfügung stellen und damit zwei Ziele verfolgen: ein soziales und ein inhaltliches. Das inhaltliche Ziel müsste so lauten: Die Kredite werden verwendet, um Forschung und Entwicklung voranzutreiben, und zwar richtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Die zweite Bedingung, die ich daran knüpfen würde, wäre: keine prekäre Beschäftigung.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt Unternehmen, die bis zu 20 Prozent Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter beschäftigen. Das wollen wir nicht. Wenn Sie diese Ziele damit verbinden würden, würden Sie der Industrie wirklich helfen und dabei auch noch die soziale Komponente berücksichtigen.

Nehmen wir noch einmal das Jahr 2011: Acht Atomkraftwerke sind abgeschaltet worden. Sie haben gesagt: Das führt zu einer Stromkatastrophe. Wir sind aber Nettostromexporteur geblieben. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

Natürlich gab es gewisse Probleme mit der Stabilität von Stromnetzen, aber das lag daran, dass Stromhändler die Börse wieder einmal zum Kasino gemacht haben und dort gespielt und gezockt haben. Gerade wegen der Sicherheit der Stromversorgung finde ich das alles abenteuerlich. Ich muss Ihnen das noch einmal sagen: Wir müssen das Kasino an der Börse schließen. In einem wirklichen Spielkasino gibt es strenge Regeln: Abhängige dürfen da gar nicht hin; am Eingang muss man seinen Pass vorlegen. Aber an der Börse kann jeder machen, was er will.

(Beifall bei der LINKEN)

Uns wurde erzählt, dass die großen Unternehmen alle kurz vor der Pleite stünden und, wenn man ihnen nicht ungeheuer helfen würde, lauter Katastrophen passieren würden. RWE hat am Dienstag, am 6. März 2012, bekannt gegeben, dass sie ein wahnsinnig schlechtes Jahr hatten. Sie hatten nur einen Gewinn von 1,8 Milliarden Euro. Mir kommen da nicht die Tränen, muss ich ehrlich sagen. Von solchen Gewinnen können andere Branchen nur träumen.

Was machen Sie? Ich habe mir das einmal angeschaut; das ist sehr spannend. Sie fördern jetzt kapitalintensive Anlagetypen wie Offshorewindparks in der Nordsee - künftig auch in der Ostsee - und Biogasanlagen. Ich habe nichts dagegen, das Problem ist nur: Warum fördern Sie dies und nicht mehr die Solarenergie? Es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken. Kennen Sie den Grund? Die vier Konzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW investieren in Offshorewindparks und Biogasanlagen und nicht in die Solarenergie.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Das muss man sich einmal vorstellen. Sie verschieben die Förderung hin zu den vier großen Konzernen und sagen den kleinen und mittelständischen Unternehmen im Bereich der Solarenergie: Für euch ist Schluss. - Das macht die FDP mit!

(Horst Meierhofer (FDP): Das ist Pippi Langstrumpf, was Sie erzählen!)

Mein Gott, Sie haben sich doch einmal als Mittelstandspartei gegründet, und jetzt machen Sie den Mittelstand tot. Nun müssen wir als Linke uns auch noch um den Mittelstand kümmern, weil Sie es nicht tun. Das ist wirklich abenteuerlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP - Gisela Piltz (FDP): Gestern im Kindergarten haben Sie mir besser gefallen! Das muss ich sagen!)

- Sie haben völlig recht. Natürlich gefalle ich Ihnen in einem Kindergarten besser. Das liegt daran, dass ich mit Kindern gut umgehen kann. Gestern im Kindergarten habe ich eines festgestellt: Kinder unterscheiden sich von vielen hier im Saal. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Kinder sind ehrlich, Kinder sind aufrichtig, Kinder sind sehr konzentriert, und außerdem sind sie niedlich. Das kann man von vielen hier wirklich nicht behaupten.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Wir sollten übrigens gemeinsam dafür kämpfen, dass die Erzieherinnen endlich anständig bezahlt werden. Sie leisten eine wichtige Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zurück zum Thema. Es gibt noch einen interessanten Punkt. Sie hatten, als Sie die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert haben, hinsichtlich der erneuerbaren Energien ein Ziel ausgegeben: Im Jahre 2020 sollen 35 Prozent der Stromversorgung durch erneuerbare Energien erfolgen. Jetzt haben Sie gesagt: Schluss mit Atomkraftwerken. Interessanterweise haben Sie aber Ihre Zielmarke hinsichtlich der erneuerbaren Energien nicht erhöht. Sie haben nicht gesagt: Dann brauchen wir nicht mehr 35 Prozent, sondern 45 oder vielleicht 50 Prozent. - Sie sind bei 35 Prozent geblieben, schalten aber Atomkraftwerke ab. Wer soll die Lücke schließen? Das ist ganz klar: die fossilen Kraftwerke. Sie setzen wieder auf Kohle.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie in Brandenburg!)

Sie haben es nicht begriffen. Wir sind nicht mehr im 20. Jahrhundert und schon gar nicht im 19. Jahrhundert, wir sind im 21. Jahrhundert. Deshalb brauchen wir dringend die Wende hin zu erneuerbaren Energien. Dies ist im Interesse aller.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gregor, sag das mal deinen Kumpels in Brandenburg!)

- Ja, das mache ich; das können wir beide zusammen machen.

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir regieren da nicht!)

Ich sage Ihnen: Mich stört, dass das Ganze wie aus einem Kinderbilderbuch von Karl Marx ist. Es gibt vier große Konzerne und Hunderte mittelständische Unternehmen. Was machen Union und FDP? Sie unterstützen die vier großen Konzerne immer mehr und lassen die mittelständischen Unternehmen über die Wupper gehen. Das ist ein Skandal. Tausende Beschäftigte sind davon betroffen. Deshalb werden wir solidarisch mit den Kolleginnen und Kollegen der Solarbranche dafür kämpfen, dass das, was Sie hier vorhaben, verhindert wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz (Spandau) (SPD))