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Mindestlohn ist keine Spinnerei der Linken

Archiv Linksfraktion - Rede,

Die Mehrheit der EU-Länder hat einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Mehrheit dieser Länder hat auch eine bessere Arbeitsmarktsituation und einen höheren Beschäftigungsgrad, weil sie eben nicht den Weg gegangen sind, die Löhne nach unten zu nivellieren und damit die Binnenkaufkraft und Unternehmensstrukturen zu zerstören, sondern weil sie einen Mindeststandard eingeführt und damit für Stabilität gesorgt und Wachstum ermöglicht haben. Das ist der Weg, den wir in der Bundesrepublik Deutschland gehen müssen. Harald Wolf, Berliner Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in der Debatte zur Mindestlohnregelung.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir brauchen in Deutschland dringend einen Mindestlohn. Beispiele dafür, dass tarifgebundene Beschäftigungen keine existenzsichernden Einkommen mehr gewährleisten, sind genannt worden. Im Wachschutzgewerbe in Berlin gibt es einen Stundenlohn von 5,30 Euro und bei Friseurinnen und Friseuren in Ostdeutschland einen Stundenlohn von gerade 3 Euro. Das sind Löhne, die nicht akzeptabel sind. Das ist Arbeit, bei der die Vollzeitbeschäftigung arm macht. Eine Existenzsicherung in Würde, Frau Kollegin, wird damit nicht gewährleistet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In den letzten Tagen und Wochen ist viel über die Revision von Hartz IV diskutiert worden. Unter anderem hat Herr Stoiber aus Bayern erklärt, es sei nicht hinnehmbar, dass manche Vollzeitbeschäftigungen nur ein Nettoeinkommen ermöglichen, das unterhalb des Niveaus von Hartz IV liegt. Ich bin da mit Herrn Stoiber einig. Auch ich halte das für einen nicht hinnehmbaren Zustand. Nur, meine Konsequenz ist eine völlig andere. Meine Konsequenz ist nämlich nicht, dass die Transferleistung gesenkt werden muss. Meine Konsequenz ist vielmehr: Die Löhne müssen auf ein existenzsicherndes Niveau angehoben werden. (Beifall bei der LINKEN) Hartz IV ist mehr und mehr - auch das ist in der Debatte bereits gesagt worden - zu einem flächendeckenden Kombilohn geworden. Wenn es richtig ist, dass wir mittlerweile fast 1 Million Aufstocker haben - diese Zahl hat sich aus einer Umfrage ergeben -, das heißt Menschen, die ihr nicht existenzsicherndes Einkommen mit Leistungen aus Hartz IV aufstocken, dann - so muss ich sagen - haben wir an dieser Stelle in der Tat eine Kostenexplosion zu verzeichnen, nämlich eine flächendeckende Subventionierung von nicht existenzsichernden Löhnen. Das muss verändert werden. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb wäre die Einführung eines Mindestlohnes eine wirklich sinnvolle Maßnahme der Kostendeckung und Kostendämpfung. Denn ein Mindestlohn würde bedeuten, dass die Differenz zwischen den nicht existenzsichernden Löhnen und dem existenzsichernden Niveau von den Unternehmen und nicht vom Steuerzahler gezahlt wird. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Nun kommt das Argument - das ist in der Diskussion heute wieder genannt worden -, dass die Einführung eines Mindestlohnes Arbeitsplätze im Bereich der niedrigen Einkommen vernichten würde. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!) In meiner Eigenschaft als Wirtschaftssenator in Berlin rede ich täglich mit Unternehmerinnen und Unternehmern, zum Beispiel mit Unternehmen aus der Gebäudereinigerinnung in Berlin oder dem Vorstand von Securitas, dem größten deutschen Wachschutzunternehmen. Sie alle erklären mir, sie seien für einen gesetzlichen Mindestlohn. (Zuruf von der LINKEN: Aha!) Denn diese Unternehmen wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass sich Ihr Marktradikalismus und Ihre Lehrbuchweisheit über den Markt nicht mit der Realität decken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sind nur die großen Unternehmen!) - Ja. Aber es sind die großen, die nach Tarif zahlen. Es sind die großen, die ausbilden und die qualifizierte Leute einsetzen. - Diese sagen mir: Mit Dumpingpreisen und der Schmutzkonkurrenz, die es in diesen Sektoren teilweise gibt, werden Arbeitsplätze vernichtet, wird tarifgebundene Beschäftigung vom Markt verdrängt und werden Möglichkeiten der Ausbildung und der Qualifizierung vernichtet. Das kann nicht der Weg sein, den wir gehen sollten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Senator, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rohde zulassen? Harald Wolf, Senator (Berlin): Bitte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Jörg Rohde (FDP): Können Sie mir vielleicht erklären, wie Sie zu einem Mindestlohn mit einem Betrag X - es können 8 Euro sein - stehen und welche Strategie Sie entwickeln, um Schwarzarbeit in Deutschland zu bekämpfen? Harald Wolf, Senator (Berlin): Schwarzarbeit in Deutschland bekämpft man nicht durch Dumpinglöhne, was ja die Auffassung der FDP ist. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schwarzarbeit bekämpft man, indem man klare Repressionsmaßnahmen durchführt und (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) dafür sorgt, dass Unternehmer, die Schwarzarbeiter beschäftigen, die Strafen und Ordnungsgelder nicht aus der Portokasse zahlen können, und dass das tatsächlich als sozial schädliches Verhalten gilt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist seit Jahren ohne Erfolg versucht worden! Das können Sie getrost vergessen! Das funktioniert nicht!) Ich habe Beispiele von Unternehmern genannt, die aus wirtschaftlicher Rationalität dafür eintreten, einen Mindestlohn einzuführen. Ich kann noch hinzufügen: Michael Knieper vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hat darauf hingewiesen, dass ohne einen Mindestlohn in der Bauindustrie noch 250 000 weitere Arbeitsplätze vernichtet worden wären (Beifall bei der LINKEN) und dass Mindestlöhne durchaus ein arbeitsmarktstabilisierender Faktor sein können. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist keine Erfolgsstory!) Vorhin ist schon die Einführung des Mindestlohnes in Großbritannien angeführt worden. Dazu kamen auch noch andere Beispiele. Die Mehrheit der EU-Länder hat einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Mehrheit dieser Länder hat auch eine bessere Arbeitsmarktsituation und einen höheren Beschäftigungsgrad, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das liegt aber an der Politik dieser Bundesregierung!) weil sie eben nicht den Weg gegangen sind, die Löhne nach unten zu nivellieren und damit die Binnenkaufkraft und Unternehmensstrukturen zu zerstören, sondern weil sie einen Mindeststandard eingeführt und damit für Stabilität gesorgt und Wachstum ermöglicht haben. Das ist der Weg, den wir in der Bundesrepublik Deutschland gehen müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sollten nicht immer als Einzige in Europa versuchen, den falschen Weg zu gehen, sondern wir sollten uns an positiven Beispielen aus anderen europäischen Ländern orientieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb sage ich: Der gesetzliche Mindestlohn ist keine spinnerte Idee der politischen Linken oder von verantwortungslosen Gewerkschaften, sondern er ist erstens ein Gebot der wirtschaftspolitischen Vernunft und zweitens sozial- und arbeitsmarktpolitisch notwendig. Im Übrigen ist er angesichts der Tatsache, dass von den Niedriglohnbezieherinnen und -beziehern 70 Prozent Frauen sind, auch noch frauen- und gleichstellungspolitisch geboten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN)