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Merkels Wahlversprechen sind nur für die Mülltonne gedacht

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Aktuelle Stunde zu den Wahlversprechen der Bundeskanzlerin

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Wenn ich es richtig verstanden habe, fordert die Kanzlerin vor den Wahlen Folgendes: eine Mietpreisbremse, die Anerkennung der Kindererziehungszeiten bei der Rente auch für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, höhere steuerliche Kinderfreibeträge, die vor allem den Besserverdienenden deutlich mehr zugute kämen als den anderen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt sagt er gleich, die Bundeskanzlerin hat das Programm der Linken übernommen!)

Als Ausgleich für Haushalte mit geringerem Einkommen fordert sie die Erhöhung des Kindergeldes von 184 auf 219 Euro pro Kind, und sie will mehr Geld für den Straßenbau.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist unser Programm!)

   Ich habe da eine Frage: Wer hat eigentlich in den letzten acht Jahren regiert? War das nicht die Bundeskanzlerin?

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Gott sei Dank!)

Warum hat sie denn bisher nichts davon umgesetzt?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will zu ihren Gunsten annehmen, dass es ihre selbstkritischste Rede war. Sie hat geschildert, was sie eigentlich hätte machen müssen, aber nicht gemacht hat.

(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Wir schauen nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft!)

Nun stellt sich die nächste Frage, ob diese Selbstkritik zu einer Besserung führt oder ob man nicht damit rechnen kann, dass es umgesetzt wird.

Herr Steinbrück, Sie werfen der Kanzlerin vor, dass sie vieles bei der SPD abgeschrieben hat. Als SPD wäre ich sehr zurückhaltend, wenn ich sehe, was Sie alles bei uns abgeschrieben haben - wenn ich darauf einmal hinweisen darf.

(Beifall bei der LINKEN - Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber wer hat schon etwas dagegen, dass wir so erfolgreich sind, dass die anderen bei uns abschreiben? Das müssen wir uns nicht gegenseitig vorwerfen.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Immer diese Urheberrechtsfrage!)

Ich muss Ihnen auch sagen: Wirklich ernst ist es uns mit der Mietpreisbremse. Wir haben sie schon im Januar vorgeschlagen. Neuvermietung ist kein Grund für eine Mietsteigerung. Der Wert der Wohnung ist doch gar nicht erhöht worden. Wieso sagt man, dass ein Mieterwechsel eine Mietsteigerung von 10, 20 oder 30 Prozent rechtfertigt? Das ist unerträglich, und wir müssen es endlich beenden, und zwar mit einem Gesetz.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe gesagt, Herr Steinbrück, dass es noch eine Frage gibt. Sie regiert seit acht Jahren. Vier Jahre davon waren Sie dabei. In dieser Zeit ist davon auch nichts umgesetzt worden. Das will ich nur am Rande kritisch bemerken. Auch das kann man ändern.

(Peer Steinbrück (SPD): Es hat sich vielleicht einiges verändert, lieber Herr Gysi!)

Ich frage mich beim Mietrecht   Herr Steinmeier, das haben Sie völlig zu Recht kritisiert  : Warum haben wir nicht die Mehrheit aus SPD, Grünen und Linken im Bundesrat genutzt, um das zu stoppen oder wenigstens in den Vermittlungsausschuss zu schicken?

(Florian Pronold (SPD): Weil damals Niedersachsen noch nicht von Rot regiert war!)

Das haben Sie nicht gemacht. Dabei ist eine Regelung   das sage ich Ihnen   rechtsstaatlich abenteuerlich, nämlich die zur Zwangsräumung per einstweiliger Verfügung. Danach können Sie die Wohnung des Betroffenen per einstweiliger Verfügung räumen lassen und bringen den Betroffenen dadurch in Obdachlosigkeit. Kommt dann sechs Monate später in der Hauptsache eine gegenteilige Entscheidung, dann nützt ihm das gar nichts mehr. Das sind abenteuerliche Vorschläge. Ich nehme an, irgendwann wird das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden müssen.

Die Vorschläge der Kanzlerin kranken im Kern an drei Problemen: Die Union will erstens die Steuerungerechtigkeit aufrechterhalten. Sie schließen Steuererhöhungen für Reiche, für Vermögende, für Besserverdienende aus. Ich stelle daher die Frage: Woher soll das Geld für diese sozialen Versprechen kommen?

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das sagen wir Ihnen gleich!)

Das Zweite ist die soziale Schieflage. Ich habe schon gesagt: Kinder von Menschen mit höheren Einkommen werden bevorzugt. Das Dritte ist: Die FDP hat gesagt, mit ihr können diese Vorschläge nicht umgesetzt werden. Die Kanzlerin sagt aber, dass sie weiterhin mit ihnen koalieren will. Es ist ein übler Trick, dass man immer jemanden an der Seite hat, der Nein sagt, um dann zu sagen: Ich habe das Edle gewünscht, aber die FDP hat mich daran gehindert. Das sollten Sie sich als FDP nicht bieten lassen. Sagen Sie doch einmal, Sie seien auch dafür. Das wird spannend. Dann können wir das ja noch im Juni beschließen.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Kanzlerin folgt diesbezüglich Franz Müntefering und sagt, dass es falsch ist, Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen. Ich aber sage Ihnen: Das ist der Kern des Problems. Diese falschen Wahlversprechen, die nicht erfüllt werden, erzeugen Politik- und Demokratieverdrossenheit.

(Otto Fricke (FDP): Deswegen ist der Sozialismus untergegangen!)

Dass sie nicht erfüllt werden, Herr Kauder und Herr Schäuble, haben Sie im Fernsehen bewiesen. Sie beide haben erklärt, dass das Ganze unter einem Finanzierungsvorbehalt steht. Gleichzeitig erklären Sie: Steuererhöhungen wird es nicht geben. Damit sagen Sie: Das Ganze fällt aus.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das erkläre ich Ihnen noch!)

Selbst wenn es im Koalitionsvertrag stünde, was Sie mit der FDP nicht schaffen, müssen Sie es nicht machen. Das kennen wir von der Rentenangleichung Ost und West. Diese steht in der Koalitionsvereinbarung, aber Sie haben sie nicht umgesetzt.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): So ist es!)

Es tut mir leid: Die Vorschläge der Bundeskanzlerin sind offenkundig nur für die Mülltonne gedacht, zumindest dann, wenn die Regierung aus Union und FDP fortgesetzt wird, was ich der Bevölkerung allerdings beim besten Willen nicht wünschen kann.
Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)