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Mehr Studienplätze statt mehr Bologna!

Archiv Linksfraktion - Rede von Nicole Gohlke,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!


„Wir verpflichten uns, das höchstmögliche Niveau der
Hochschulfinanzierung sicherzustellen“ – diese Formulierung
wird Ministerin Schavan
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Von der Linken
kann sie nicht kommen!)
wahrscheinlich morgen in Bukarest beim Treffen der
Bildungsminister der 47 Bologna-Länder unterschreiben.
Ehrlich gesagt: Eigentlich dürfte Deutschland gar
nicht unterschreiben, weil jeder weiß, dass das eben
nicht sichergestellt ist.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann machen
Sie doch mal einen Fünfjahresplan!)
Aber wahrscheinlich wird Frau Schavan unterschreiben,
in die Kamera lächeln und sich dann darauf verlassen,
dass Papier geduldig ist.
Von dem Glanz der internationalen Gipfel kommt in
den Hochschulen selbst nur wenig an. Kaum eines der
großen Ziele der Bologna-Reform ist erreicht. Stattdessen
sind an den Hochschulen viele neue Probleme entstanden.
Die Finanzierung der Hochschulen bleibt nicht
nur weit unter dem höchstmöglichen Niveau zurück,
sondern auch weit hinter dem unbedingt nötigen Niveau.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist
[CDU/CSU]: Wie man dazu klatschen kann,
ist mir ein Rätsel! Vor allen Dingen, wenn die
Länder zuständig sind!)
Eine Öffnung der Hochschulen ist eine Voraussetzung
für gesellschaftlichen Fortschritt. Auch das soll in der
Erklärung der Bukarester-Konferenz stehen. Man kann
das nur unterschreiben, aber wie muss ein solcher Satz in
den Ohren Tausender abgewiesener Studienbewerberinnen
und -bewerber klingen,
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Da gibt es
gar keine! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]:
Vielleicht die mit schlechten Noten!)
die in diesen Tagen vor den verschlossenen Türen der
Hochschulen stehen – es sind immerhin 100 000 –,
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hören Sie
doch auf, so etwas zu erzählen! Das ist doch
Käse!)
während drinnen das Sommersemester beginnt.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das stimmt
doch gar nicht! Fördern Sie die schlechten Studenten
mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung!)
Bis 2015 fehlen bundesweit mindestens 350 000 Studienplätze,
eher 500 000 Studienplätze,
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Oder 1 Million!
Oder 2 Millionen! Wie viele hätten Sie
gerne?)
und der Hochschulpakt reicht bei weitem nicht aus, um
diese Lücke zu schließen.
(Monika Grütters [CDU/CSU]: Master für alle
Menschen! Reichtum für alle! – Dr. Thomas
Feist [CDU/CSU]: Am besten promovieren
wir noch alle! Leistung für alle!)
Nun hat die Ministerin in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz
eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die bis
nächstes Jahr prüfen soll, ob man vielleicht eine Aufstockung
braucht. Was gibt es da zu prüfen? Jeder weiß,
dass Studienplätze fehlen. Die Studienplätze fehlen im
Übrigen auch nicht erst nächstes Jahr, sondern jetzt.
Wenn Sie es ernst meinen mit der Aufstockung, dann
machen Sie es jetzt zu diesem Wintersemester; denn
dann brauchen es die jungen Menschen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai
Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wenn Sie die Hochschulen öffnen wollen, so wie es
in der Erklärung der Bukarest-Konferenz stehen soll,
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Die sind schon
offen! Sie müssen nur die Tür öffnen!)
also auch für diejenigen, die keine reichen Eltern haben,
dann müssen Sie das BAföG erhöhen.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das BAföG
haben wir erhöht, Frau Gohlke!)
Frau Grütters, ich finde es schon bezeichnend, wenn Sie
es absurd finden, dieses Thema hier überhaupt anzusprechen.
(Monika Grütters [CDU/CSU]: Anträge in vier
Minuten zu begründen, geht ja auch nicht!)
Seit Januar liegt der 19. BAföG-Bericht vor. Er macht
deutlich: Allein um das aktuelle Niveau der Förderung
an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen,
müsste das BAföG um 5 Prozent steigen.
Das Deutsche Studentenwerk hat Sie in der vergangenen
Woche dazu aufgefordert, dies unbedingt zum kommenden
Wintersemester zu tun.
Um eine bedarfsdeckende Finanzierung der Studierenden
zu erreichen, ist eigentlich sogar eine Erhöhung
von mindestens 10 Prozent notwendig.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: 25, 30,
50 Prozent!)
Aufseiten der Bundesregierung sind aber überhaupt
keine Aktivitäten erkennbar. Wir fordern Sie auf: Legen
Sie schnellstmöglich einen Gesetzentwurf zur Erhöhung
des BAföG vor.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehen Sie
doch mal, wie es auf der Einnahmeseite aussieht!)
Bologna sollte international die Mobilität fördern: Ein
Semester in Bamberg, eins in Barcelona, der Abschluss
in London, und dann der Master in Paris. Das war eines
der großen Versprechen; aber davon sind wir weit entfernt.
Das Wissenschaftszentrum Berlin hat diesen
Montag eine Studie vorgelegt.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die neuen
Bundesländer kommen bei Ihnen gar nicht
vor! Unglaublich!)
– Nehmen Sie es doch einfach zur Kenntnis, wenn Experten
Studien vorlegen. – Diese Studie zeigt: Seit zwölf
Jahren stagnieren die Zahlen zu studienbezogenen Auslandsaufenthalten.
Ins Ausland gehen die Studierenden
nur dann, wenn ihnen Academia quasi bereits in die
Wiege gelegt wurde. Von den Akademikerkindern unter
den Studierenden geht jedes sechste ins Ausland, von
den Studierenden, die keine Akademiker als Eltern haben,
nur jeder zehnte.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Genau! Nur
Arbeiterkinder! Ich würde die Akademikerkinder
vom Studium ausschließen!)
Für junge Menschen, die als Erste in ihrer Familie den
Schritt an die Hochschule wagen, ist der Auslandsaufenthalt
heute sogar noch unerreichbarer als vor der Bologna-
Reform. Am Sonntag erklärte Frau Schavan nichtsdestotrotz
im Deutschlandradio:
Alles in allem ist es ein erfolgreicher Prozess.
Für die allermeisten Studierenden aber sieht die Realität
ganz anders aus.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie könnten
vielleicht auch ein paar lobende Worte für Frau
Honecker finden!)
Das Studium ist stressiger geworden, aber nicht besser.
Es gibt mehr Prüfungen, aber weniger Freiräume für
selbstbestimmtes Lernen. Die internationale Mobilität
stagniert, die innerdeutsche hat sogar abgenommen. Es
fehlen Studienplätze für den Bachelor wie für den Master,
und wer mit dem Bachelor die Hochschule verlassen
muss, hat deutlich schlechtere Chancen auf einen guten
Job.
Reißen Sie endlich das Ruder herum für eine Hochschulreform,
die den Namen verdient. Wir haben in unserem
Antrag die Eckpunkte hierfür formuliert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)