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Mehr Haushaltsnotstand geht nicht

Archiv Linksfraktion - Rede von Gesine Lötzsch,

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie, Frau Bundeskanzlerin Merkel, haben am Mittwoch in Ihrer Rede kein Wort darüber verloren, wie Sie den Haushalt langfristig sanieren wollen. Wir reden hier über 80 Milliarden Euro Neuverschuldung. Hinzu kommen über 27 Milliarden Euro Kapitalhilfen und fast 17 Milliarden Euro für den Tilgungsfonds. Das macht in der Summe über 124 Milliarden Euro. Frau Merkel, mehr Haushaltsnotstand geht wirklich nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Merkel, Sie haben eine Rede gehalten, die ich ‑ um einen Begriff der Börsensprache aufzugreifen ‑ als einen typischen Leerverkauf bezeichne.

(Otto Fricke (FDP): Da kennst du dich ja mit aus!)

Sie haben eine große Steuerreform versprochen, ohne dafür einen einzigen Euro in der Tasche zu haben. Was Sie wirklich haben, sind über 1 Billion Euro Schulden. Damit sich die Zuschauer das vorstellen können: 1 Billion ist eine Zahl mit zwölf Nullen. Sie, Frau Merkel, gehen riskante Wetten ein und hoffen, dass die Einnahmeverluste durch Wunder ausgeglichen werden. Aber solche Wunder gibt es in der Politik nicht. Machen Sie endlich eine vernünftige, nachhaltige Politik, und sichern Sie die Einnahmeseite des Haushaltes!

(Beifall bei der LINKEN)

Statt die Einnahmen zu sichern, diskutieren Sie über eine wirklich irrwitzige Idee. Sie wollen noch vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen quasi als Geschenk für die Wählerinnen und Wähler ‑ eigentlich als Geschenk für Herrn Rüttgers, den Sie vor dem Untergang retten wollen ‑ Steuersenkungen mit einem Volumen von 10 Milliarden Euro beschließen. Sie haben das halbherzig dementiert. Aber ich glaube, wenn wir am kommenden Sonntagabend den Fernseher einschalten, dann werden wir sehen, dass Sie Ihre Meinung geändert haben. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Für mich wäre es wirklich ein Missbrauch der Demokratie, wenn die Vorsitzenden der Koalitionsparteien am Sonntag eine Blitzsteuerreform, wie sie es offensichtlich geplant haben, beschließen würden. Es darf nicht sein, dass wir hier im Parlament eine ganze Woche um einen vernünftigen Haushalt ringen und dann am Wochenende eine Steuerreform von drei Parteivorsitzenden beschlossen wird. So sieht seriöse, demokratische Politik nicht aus, Frau Merkel.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will Ihnen erklären, welche Gemeinsamkeiten zwischen der Arbeit der Bundesregierung und dem Kölner U-Bahn-Bau bestehen. Beide haben die Stützpfeiler verkauft und wundern sich nun, dass alles zusammenbricht. Der Bundeshaushalt, über den wir reden, hat nur noch zwei Stützpfeiler: die Lohnsteuer und die Mehrwertsteuer. Den Stützpfeiler Gewinnsteuer haben die Regierungen der letzten 20 Jahre für ein paar Spenden an ihre Klientel verkauft.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Anteil der Einnahmen aus der Gewinnsteuer am gesamten Steueraufkommen betrug 1960, also vor 50 Jahren, 35 Prozent. Heute beträgt er nur noch 20 Prozent. Das heißt, um es zu übersetzen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen nahezu die gesamte Steuerlast allein tragen. Das ist verantwortungslos, und das ist keine soziale Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich füge hinzu: Der Pfeiler Lohnsteuer gerät durch den wachsenden Niedriglohnsektor weiter unter Druck. Wer prekäre Arbeitsverhältnisse zum Standard machen will, der darf sich nicht wundern, wenn Steuern und Sozialabgaben spärlicher fließen. Darum brauchen wir endlich den gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn und vernünftige Arbeitsverhältnisse.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit hätten wir nebenbei endlich auch europäischen Standard erreicht, wo sich die Regierung doch gerne als Lehrmeister Europas aufspielt. Wenn wir uns an europäischen Standards orientieren würden, dann müssten wir diese Maßnahme endlich im Bundestag beschließen.

Wir als Linke wollen nicht, dass der Bundeshaushalt das gleiche Schicksal wie das Kölner Stadtarchiv erleidet. Darum fordern wir, dass wieder starke Pfeiler in unser Steuersystem eingezogen werden. Das ist nämlich die Voraussetzung für einen funktionierenden Sozialstaat. Wir, die Linke, sind die einzige Partei, die wirklich eine deutliche Umverteilung von oben nach unten will. Ich sage Ihnen, meine Herren und Damen von der FDP, auch: Armut kann man nur bekämpfen, wenn man Reichtum begrenzt. Das ist unsere Position. Ihre ist es nicht, das weiß ich.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundeskanzlerin und auch andere haben immer wieder darauf hingewiesen, dass wir immer mehr Geld für Soziales ausgeben müssen. Das wird als Ausweis einer besonders guten Sozialpolitik angeführt. Das stimmt nicht. Das ist kein Ausweis einer guten Sozialpolitik, sondern Ausweis einer ganz schlechten Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn diese Regierung prekäre Arbeitsverhältnisse und Minijobs zur Dauereinrichtung machen will, dann wird sich diese Situation immer mehr verschärfen. Wir brauchen, um unseren Haushalt zu stützen, um die Sozialkassen zu stärken und um den Menschen die Möglichkeit zu geben, in Würde zu arbeiten, endlich gute Arbeit zu guten Löhnen, aber keine prekären Verhältnisse.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundeskanzlerin hat die Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelobt und die Gier der Manager getadelt. Schauen wir uns einmal an, ob die Manager diesen Tadel beherzigen. Er hat sie überhaupt nicht beeindruckt. Es ist doch geradezu unanständig, dass Herr Ackermann, der diese Krise durch sein Verhalten mit verursacht hat und der durch hochriskante Spekulationen sein Geld verdient, jetzt schon wieder ein Gehalt von fast 10 Millionen Euro im Jahr bekommt. Da können Sie sehen, Frau Merkel, wie Ihre Tadel wirken. Augenscheinlich sind die gar nicht ernst gemeint. Was tun Sie wirklich, um die Gier zu begrenzen? Wir brauchen endlich Gesetze zur Finanzmarktregulierung.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der Internationale Währungsfonds, IWF, soll noch in diesem Jahr einen Vorschlag zur Beteiligung der Banken an den Krisenkosten vorlegen. Warum eigentlich nur eine Beteiligung? Warum, frage ich Sie, gilt nicht die alte Regel, dass derjenige, der einen Schaden verursacht, auch dafür aufkommen muss? Wir als Linke werden uns nicht damit abfinden, dass die Banken nur einen symbolischen Beitrag zahlen sollen. Wir haben klare Forderungen an die Banken. An dieser Stelle zeigt sich, dass unsere Forderung richtig war, den Rettungsschirm für die Banken mit klaren Bedingungen zu verbinden. Sie haben das abgelehnt. Jetzt haben Sie keinerlei Druckmittel gegen die Banken in der Hand. Das ist nicht hinnehmbar. Sie lassen sich weiter von den Banken erpressen. Diese Politik muss endlich beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn ich die Kanzlerin am Mittwoch richtig verstanden habe ‑ davon gehe ich aus ‑, dann will sie den Bankenschirm zu einer Dauereinrichtung machen. Das heißt im Klartext: Die Banken können jetzt die Gewissheit haben, dass der Staat sie immer auffangen wird, auch wenn sie in den Kasinos der Welt weiter zocken und die Banker dicke Boni einstreichen.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Eben nicht!)

Ich kann wiederholen, was ich schon am Dienstag gesagt habe: Dieser Haushalt ist gut für Spekulanten, aber schlecht für Menschen, die einer ehrlichen Arbeit nachgehen, und ganz schlecht für Arbeitslose. Kehren Sie endlich um! Gestalten Sie eine soziale, gerechte und nachhaltige Politik! Die ist an diesem Haushalt nicht ablesbar. Darum werden wir ihn ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

‚© Renate Kalloch / PIXELIO