Debatte zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung
von Volksinitiative, Volksbegehren und
Volksentscheid in das Grundgesetz
1. Ich habe mich sehr gewundert, als der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering kürzlich eine gesamtdeutsche Verfassung anstatt des Grundgesetzes gefordert hat. Seine zitierte Begründung: Der Osten leide darunter, dass 1989/90 keine wirkliche Vereinigung organisiert wurde.Über die historische Alternative - Vereinigung oder Beitritt - will ich jetzt gar nicht reden. Komisch finde ich allerdings, dass der Kollege Müntefering so plötzlich, fast 20 Jahre später, von einem Oster-Leuchten ereilt wurde. Und das ausgerechnet in Wahlkampfzeiten.
2. Zur Verfassungsfrage: Vielfach vergessen und gern verschwiegen wird, dass damals der viel gelobte Runde Tisch der DDR einen Entwurf für eine neue Verfassung der DDR vorgelegt hatte. Quasi als Mitgift für eine Vereinigung der DDR und der BRD. In ihr standen sonderbare Dinge.
Beispiel 1: „Ohne ausdrückliche Zustimmung (…) dürfen persönliche Daten nicht erhoben, gespeichert, verwendet, verarbeitet oder weitergegeben werden.“ Ich finde, das wäre hoch aktuell.
Beispiel 2: „Die Staatsflagge der (…) Republik trägt die Farben schwarz-rot-gold. Das Wappen des Staates ist die Darstellung des Mottos ‚Schwerter zu Pflugscharen’.“ Auch das wäre aktuell aller Ehren wert.
Der Entwurf wurde allerdings in der Volkskammer der DDR nicht einmal mehr behandelt. Die Ost-CDU wollte es nicht, weil die West-CDU es nicht wollte. Und weil die West-SPD es auch nicht wollte, wollte es die Ost-SPD ebenso wenig. Auch das gehört zum Rückblick.
3. Nach der Vereinigung gab es übrigens ein „Kuratorium für einen demokratischen verfassten Bund deutscher Länder.“ Wieder ging es um eine moderne Verfassung, die das neue Deutschland zusammen führen sollte. Und wieder sollte dies durch Volksabstimmung geschehen.
Die Mehrheit im Kuratorium waren übrigens Juristen, Völker- und Bürgerrechtler aus den alten Bundesländern. Aber auch diese Initiative scheiterte. Nun können sie raten, an wem? Richtig: An der CDU/CSU und erneut an der SPD. Auch das sollte ein SPD-Vorsitzender wissen.
4. Aber auch bei Detail-Verbesserungen am Grundgesetz war mit der SPD bisher nichts zu machen. Über eine mögliche EU-Verfassung wurde 2004 rundherum vom Volke abgestimmt. In Deutschland durfte man das nicht, nur in einem Gallischen Dorf in der Eifel. Übrigens zustimmend.
Auf Bundesebene indes führte kein Weg zu mehr Demokratie. Dabei regierten damals die SPD und die Grünen. Doch Joseph Fischer befahl, er lasse sich sein EU-Werk nicht zerreden. Und Ex-Kanzler Schröder log, das Grundgesetz verbiete Volksabstimmungen. Beides war absurd.
Der Kollege Müntefering war seinerzeit übrigens Fraktionsvorsitzender der SPD. Ich kann mich an keine Widerworte von ihm erinnern. Dabei steht im Grundgesetz, Artikel 20: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird (…) in Wahlen und Abstimmungen (…) ausgeübt.“.
5. Und genau darum geht es heute. Es liegen drei Anträge vor, von der FDP, von der Fraktion DIE LINKE und von Bündnis 90/DIE Grünen. Alle drei begehren grundsätzlich, dass Volksabstimmungen auf Bundesebene endlich zugelassen werden. Sie unterscheiden sich in den Modalitäten.
Aber alle drei führen zum Lackmus-Test für die SPD. Sie werden bei der Abstimmung gleich Zeugnis ablegen, wie ernst sie es mit ihrem Slogan aus Willi-Brandt-Zeiten noch meinen: „Mehr Demokratie wagen!“ Und wie glaubwürdig ihr Partei-Vorsitzender Müntefering tatsächlich ist.
Stimmen sie mit Nein, dann lassen sie auch Ulk-Debatten über eine neue gesamtdeutsche Verfassung. Stimmen sie mit Ja, so könnten sie sich emanzipieren. Denn die Unions-Blockade gegen direkte Demokratie hält nur so lange, wie die SPD mitblockiert. Also sprengen sie Fesseln!
6. Ganz ernsthaft gebe ich allen Fraktionen noch zu bedenken. Nachweislich haben wir gemeinsam ein gesellschaftliches Problem. Stufe eins: Parteien-Verdruss. Stufe zwei: Politik-Verdruss. Stufe drei: Demokratie-Verdruss. Viele Analysen belegen: Alarm-Stufe drei ist längst erreicht.
Und genau das ist ein riesengroßes Einfallstor für Rechtsextremisten.
Gegen Demokratie-Verdruss aber hilft nur mehr Demokratie, mehr direkte Demokratie, also auch Volksabstimmungen auf Bundesebene. Noch immer ist Deutschland in Fragen direkter Demokratie ein EU-Entwicklungsland. Auch das sollte niemand länger gutheißen.