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Massive Benachteiligungen bei "Mütterrente" beseitigen

Archiv Linksfraktion - Rede von Matthias W. Birkwald,

Redemanuskript - Es gilt das gesprochene Wort!

Rede von Matthias W. Birkwald MdB DIE LINKE anlässlich

der 1. Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE. Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdigen – Mütterrente anerkennen Drucksache 18/6043

und

der zweiten und dritten Beratung des von der Fraktion DIE LINKE. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes, Drucksache 18/4107

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Besucherin­nen und Besucher auf den Tribünen!

Das Rentenpaket ist jetzt mehr als ein Jahr alt. Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, haben profitiert. Chronisch Kranke, die eine Erwerbsminderungsrente beantragen müssen, und Beschäftigte, die 45 Jahre lang geschuftet haben und dieses Jahr mit 63 Jahren in Rente gehen kön­nen, profitieren ebenfalls vom Rentenpaket.

(Dr. Martin Rosemann (SPD): Ist doch gut!)

- Da könnt ihr auch klatschen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD)

Aber jetzt werden wir über zwei Gruppen von Müttern sprechen, die durch das Rentenpaket massiv benachteiligt werden. Ingrid Berger hat neben ihren zwei leibli­chen Kindern drei Kinder aus Indien und Vietnam adoptiert. Für diese drei Kinder erhält sie keinen Cent sogenannter Mütterrente, weil die Bergers ihre Kinder erst nach deren erstem Geburtstag adoptiert haben. Hätten die Bergers ihre Kinder nach dem Juli 2014 adoptiert, dann würden sie die Kindererziehungszeiten anteilig ange­rechnet bekommen und erhielten mehr Mütterrente. So gehen sie leer aus. Das ist ein Schlag ins Gesicht dieser Adoptiveltern, und davon gibt es viele.

Der Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien spricht von sage und schreibe 40 000 betroffenen Familien. Sozial gerecht ist das nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND­NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darum fordere ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, nachdrücklich auf: Lassen Sie die 40 000 Adoptiveltern nicht im Regen stehen! Le­gen Sie bald eine gerechte und angemessene Lösung für die Mütterrente der Adopti­veltern auf den Tisch!

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, nicht nur die Adoptivmütter werden benachteiligt. Nein, viele Mütter müssen einen Monat länger arbeiten als alle anderen, damit sie die Rente ab 63 bzw. 65 ohne Abschläge bekommen. Auch sie werden bestraft. Warum? Ein Monat Mutterschutz vor der Geburt wird den Müttern nicht auf die 45 Jahre ‑ oder die 540 Monate ‑ Wartezeit angerechnet, die sie brauchen, um mit 63 bzw. künftig mit 65 abschlagsfrei in Rente gehen zu dürfen. Das ist ein Monat, in dem Müttern das Arbeiten von Gesetzes wegen verboten ist ‑ zu Recht.

Sie beziehen dafür Mutterschaftsgeld, aber die Krankenkassen zahlen keinen Cent Beitrag für sie in die Rentenversicherung ein. Und zack: Der Monat taucht auf dem Rentenkonto nicht als Wartezeit auf. Herr Kollege Dr. Zimmer, Sie sagen be­stimmt gleich, dass es diesen Fall in Wirklichkeit gar nicht gebe. Wir Linken sagen: Das ist falsch. Denn bei keiner Mutter, deren Kind im ersten Drittel eines Monats ge­boren wurde und die nicht bereits zehn Jahre zuvor schon ein Kind geboren hatte, zählt der Mutterschutzmonat vor der Geburt zur Wartezeit der Rente ab 63. Bei kei­ner einzigen! Das, meine Damen und Herren, ist frauendiskriminierend, verfas­sungswidrig und völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND­NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Dr. Zimmer, wenn es die Rente ab 63 schon früher gegeben hät­te, wäre auch bei Ihrer Mutter der Mutterschutzmonat nicht für die Rente angerechnet worden. Warum? Sie sind an einem 3. Mai geboren.

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Gut recherchiert!)

Der Mutterschutz begann am 23. März. Davor hat Ihre Mutter weder gearbeitet noch geboren. Darum zählt der komplette Monat dazwischen nicht als Wartezeit für die Rente für besonders langjährige Versicherte. Wegen Ihres Gesetzes! Sie und die SPD sind dafür verantwortlich.

(Dr. Martin Rosemann (SPD): Vielleicht ist er zu spät gekom­men!)

Ja, Sie haben recht: Wegen dieses einen Monats wird keiner Mutter die vor­gezogene Altersrente komplett verwehrt. Darum aber geht es den Betroffenen gar nicht, die sich in Briefen, E‑Mails und Petitionen an uns Abgeordnete gewandt ha­ben: Frau Sendelbeck aus Nürnberg, Frau Blankenhagen aus dem schönen Harz und Frau Augustin-Grau aus dem noch schöneren Köln. Ihnen geht es nur darum, dass sie nicht durch den Umstand, dass sie Kinder geboren haben, benachteiligt werden und dass sie nicht einen Monat länger auf die Rente ab 63 warten müssen als Männer. Das ist doch nur gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, CSU und SPD, diesen Müttern antworten, dass es ihr Problem gar nicht gebe? Sagen Sie ihnen, dass sie mit ihrem Gerechtigkeitsempfinden völlig danebenliegen? Bitte schön: Das Ehepaar Blankenhagen und das Ehepaar Grau sitzen dort oben auf der Tribüne. Ich heiße Sie herzlich willkommen!

(Beifall bei der LINKEN)

Die vier sind schon ganz gespannt, was Sie ihnen zu sagen haben. Herr Blankenhagen hat sich die Mühe gemacht und die erste Debatte hier im Bundestag genau analysiert. Er hat einige der damals von Ihnen vorgetragenen Argumente zu­rechtgerückt. Ist das nicht eine geradezu vorbildliche Bürgerbeteiligung?

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, lesen Sie doch mal, was die Betroffenen so aufregt! Antworten Sie nicht uns Linken, sondern antworten Sie den Betroffenen!

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sind nämlich dafür heute extra nach Berlin gereist.

Frau Kollegin Schmidt, vielleicht werden Sie als Sozialdemokratin gleich Ihr Argument wiederholen, dass Frauen noch ganz andere Probleme bei der Rente hät­ten. Stimmt. Aber warum finden wir dann nicht gemeinsam eine Lösung für dieses eine konkrete Problem, das offenkundig das Gerechtigkeitsempfinden von Müttern besonders stört? Das ist kein Wunder; denn auf die 45 Jahre werden folgende Zeiten angerechnet: Pflichtbeiträge aus Beschäftigung und Minijobs, Pflichtbeiträge aus selbstständiger Tätigkeit, freiwillige Beiträge unter bestimmten Bedingungen, Wehr- oder Zivildienstzeiten, Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege von Angehörigen, Zeiten der Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes, Leistungen bei beruflicher Weiterbildung, Arbeitslosengeld, Teilarbeitslosengeld, Krankengeld, Ver­letztengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld, Winterausfallgeld, Insolvenzgeld, Konkursausfallgeld und Ersatzzeiten zum Beispiel für politische Haft in der DDR. Aber ausgerechnet die vier Wochen Mutterschutz gehören nicht dazu. Ich fordere Sie auf: Rechnen Sie den Mutterschutz als Wartezeit an!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Martin Rosemann (SPD): Das ist aber nicht neu, Herr Birk­wald!)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Achten Sie auf Ihre Redezeit!

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Der DGB-Frauenausschuss hat den SPD-Abgeordneten dazu einen Brief ge­schrieben und genau das gefordert. Antworten Sie den DGB-Frauen! Hören Sie auf sie! Unterstützen Sie den Gesetzentwurf der Linken, oder legen Sie einen eigenen vor! Dann gäbe es eine Gerechtigkeitslücke weniger in der Rente. Alle betroffenen Mütter würden es Ihnen danken.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Anschließende Kurzintervention von Matthias W. Birkwald MdB im Anschluss an die Rede des Abgeordneten Prof. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU)

(für Video klick hier)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzintervention zulassen. ‑ Herr Kollege Dr. Zimmer, zunächst zu Ihrem letzten Vorwurf, es handele sich um einen großen bürokratischen Aufwand: Ich habe unseren Gesetzentwurf natürlich dabei. Es han­delt sich bei der Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch um fünf Zeilen. Fünf Zeilen! Das ist also eine ganz kleine Geschichte.

 

(Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verwaltungsvoll­zug ist aber was anderes als Gesetzestext!)

 

Zweitens ist es völlig egal, wie viele Betroffene es gibt. Selbst wenn es so we­nige wären, wie Sie behaupten, wäre das überhaupt kein Grund, die Gleichberechti­gung von Mann und Frau außer Kraft zu setzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws (BÜND­NIS 90/DIE GRÜNEN))

Soweit mir bekannt ist, können bisher nur Frauen die Kinder kriegen. Deswegen müssen viele Frauen vier Wochen länger arbeiten, wenn sie die Voraussetzungen für die Rente ab 63/65 erfüllen wollen. Das sind nicht so wenige; das Gesetz gilt ja erst seit dem 1. Juli vergangenen Jahres.

Sie können ja einmal in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Test machen. Lassen Sie da doch bitte einmal alle Frauen aufstehen, deren Kinder zwischen dem Ersten und dem Zehnten eines Monats geboren wurden. Sie werden feststellen, dass das ungefähr ein Drittel aller Mütter sind, die sich im Raum befinden. Sie werden wei­ter feststellen, dass dieses Problem in Zukunft aufwachsen wird; denn bis dato haben viele der Betroffenen überhaupt nicht gemerkt, dass ihnen dieser eine Monat fehlt, weil er bei den Renteninformationen oder auch bei den Rentenauskünften nicht auf­taucht. Erst dann, wenn es in die Nähe des 63. Geburtstags geht, wird überlegt: Ha­be ich die erforderlichen Monate zusammen? ‑ Wenn die Versicherten daraufhin die Renteninformationen durchsehen, fällt ihnen ‑ und auch der Rentenversicherung ‑ auf, dass der Monat fehlt.

Ich habe eben gesagt, dass ich den Betroffenen eine Stimme verleihen will. Deswegen lese ich das einmal kurz vor: Eine Grundschullehrerin aus den neuen Bundesländern hatte nach ihrem dreijährigen Studium an einem Institut für Lehrerbil­dung am 1. August 1969 ihre Arbeit im Schuldienst begonnen

(Dr. Martin Rosemann (SPD): Das haben Sie schon vorgele­sen!)

- nein, das habe ich noch nicht vorgelesen, Herr Dr. Rosemann ‑ und aufgrund durchgängiger Beschäftigung am 31. Juli 2014 mit 64,5 Jahren die 45 Beitragsjahre voll. Infolge der Tatsache, dass ihre erste Schwangerschaftsfreistellung am 28. Februar 1971 begann und die Geburt am 11. April 1971 erfolgte, ist ihr der Monat März 1971 nicht als Wartezeit für die Rente 63/65 angerechnet wurden. Sie ist des­halb statt am 1. August 2014 erst am 1. September 2014 in den wohlverdienten Ru­hestand nach den Bedingungen der Rente ab 63/65 gegangen.

Genau darum geht es. Sie sagen: Frauen sind Beschäftigte und Rentnerinnen zweiter Klasse. Sie dürfen für ein und dieselbe Rente vier Wochen länger arbeiten. - Das ist ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

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Antwort des Abgeordneten Prof. Dr. Matthias Zimmer auf die Kurzintervention von Matthias W. Birkwald MdB:

Vizepräsident Johannes Singhammer:

Herr Kollege Birkwald, für eine Kurzintervention haben Sie nur ein begrenztes Zeit­fenster, und dieses ist ausgeschöpft.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich bin schon fertig!)

Dann darf ich den Kollegen Dr. Zimmer fragen, ob er darauf erwidern möchte.

Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU):

Herr Präsident, das lasse ich mir natürlich nicht entgehen, weil es mir die Gelegen­heit gibt, im Sinne der Stofffestigung durch Wiederholung die wesentlichen Aussagen noch einmal vorzutragen.

Ich glaube, der eigentliche Punkt, lieber Kollege Birkwald, ist folgender: Die ab­schlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren – an der Stelle sind wir uns vielleicht

einig - bevorzugt Männer, weil die Erwerbsbiografien von Frauen auf eine völlig an­dere Art und Weise gebrochen sind und deshalb vermutlich erheblich weniger

Frauen davon Gebrauch machen können.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was folgt aus der Analyse?)

Auf der anderen Seite, lieber Kollege Birkwald, haben Sie diese Beispiele. Ich habe beim Ministerium und bei der Rentenversicherung nachgefragt und eine sehr eindeu­tige Auskunft erhalten. Die Auskunft war: Es ist ein theoretisches Problem. Bislang ist bei allen Fällen, die vorgebracht worden sind, der Renteneintritt nach 45 Beitragsjah­ren an anderen Faktoren gescheitert. – Das hatte mit dem von Ihnen be­schriebenen Problem überhaupt nichts zu tun. Deshalb meine dringende Bitte: Legen Sie diese Fälle dem Ministerium vor! Der SPD-Fraktion haben Sie sie offensichtlich vorgelegt – der CDU/CSU-Fraktion leider nicht, sodass wir bisher nicht die Möglich­keit hatten, das zu prüfen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Frau Schmidt hat das nur verstanden!)

Bislang verlasse ich mich darauf, dass die Aussage des Ministeriums steht: Wir wis­sen von keinem solchen Fall. Wenn entsprechende Fälle vorgebracht wurden, ließen sie sich alle mit anderen Faktoren erklären. – Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu neh­men. Das würde uns viele Debatten hier ersparen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist überhaupt nicht der Punkt!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

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