Dietmar Bartsch in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages am 23. Februar 2011 zur Doktorarbeit des Verteidigungsministers
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute eine Aktuelle Stunde, die diesen Namen wirklich verdient. Es gibt fast stündlich neue Erkenntnisse. Das, was Herr Guttenberg in der Fragestunde an Erklärungen und Ausflüchten geboten hat, bestätigt noch einmal, dass das hier weiter besprochen werden muss. Es ist ja offensichtlich so, dass der Wissenschaftliche Dienst noch viel mehr geleistet hat.
Ich will daran erinnern, es ist noch keine Woche her, da haben Sie gesagt: „Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus.“ „Dem Ergebnis“ der Prüfung der Uni Bayreuth „sehe ich mit großer Gelassenheit entgegen.“
(Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD)
Zwei Tage später sagen Sie, „vorübergehend“ legen Sie den Titel ab, und weitere drei Tage später wollen Sie den Titel zurückgeben. Ich sage Ihnen, Herr Guttenberg, Sie haben wirklich ein Problem. Sie glauben, das können Sie mit Aussitzen und Arroganz erledigen. Nein, das ist nicht möglich. Sie haben eine Rechtsauffassung nach Gutsherrenart.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Als wenn ein ertappter Uhrendieb das Problem lösen könnte, indem er die Uhr zurückgibt. Das ist ja wohl nicht möglich. Jeder Ladendieb, der ertappt wird, muss sein Diebesgut selbstverständlich zurückgeben. Selbstverständlich muss er mit einer Strafe rechnen, und hier und da gibt es auch ein Hausverbot. Das gilt für Sie genauso.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ob Sie den Doktortitel tragen dürfen oder nicht, das entscheidet in Deutschland Gott sei Dank immer noch die Universität, und nicht Sie. Sie entziehen ihn nicht, und Sie dürfen ihn auch nicht tragen. Wenn es denn so wäre, wie Sie und die Bundeskanzlerin immer sagen, dass der Doktortitel und das Ministeramt nichts miteinander zu tun haben: Warum schreiben Sie dann an die Uni Bayreuth auf dem Ministerkopfbogen? Können Sie das einmal erklären?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es geht hier um Glaubwürdigkeit, es geht um Ehrlichkeit, und es geht um Aufrichtigkeit. Ihnen unterstehen zwei Universitäten der Bundeswehr. Was sagen Sie mit dem, wie Sie agiert haben, eigentlich den Leuten, die dort studieren und wissenschaftliche Grade erringen wollen? Das ist doch wirklich nicht zu akzeptieren. Sie sind wirklich ein tolles Vorbild für die, kann ich nur sagen. Sie haben getäuscht, und Sie haben gelogen, und Lügner dürfen in unserem Land nicht ministrabel werden!
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich kann da nur an die Maßstäbe der Kanzlerin erinnern. Als Helmut Kohl die Spenderinnen und Spender nicht genannt hat, hat sie dafür gesorgt, dass er den Ehrenvorsitz der Partei losgeworden ist. Gelten diese Maßstäbe bei Ihnen denn nicht mehr?
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein!)
Sehr geehrter Herr Friedrich, wenn Sie hier sagen, es ist eine Unverschämtheit, angesichts der Herausforderungen den Minister hier so anzugehen: Die Unverschämtheit ist, dass Sie genau dies tun. Das ist ein großer Fehler. Ein Minister, der so angegriffen ist, der Selbstverteidigungsminister ist, kann die Aufgaben, die anstehen, nicht lösen. In Afghanistan gibt es tote deutsche Soldaten.
(Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Eben! Das gehört zur Aktuellen Stunde!)
Wir brauchen eine Bundeswehrreform, über die wir hier noch reichlich diskutieren werden. Und dann haben wir so einen Minister im Amt? Das ist nicht zu akzeptieren.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In diesem Lichte ist übrigens auch die Bewertung der Kanzlerin, dass es sich hier um einen Minister handelt, der eine hervorragende Arbeit leistet, noch einmal zu hinterfragen. Wie war das denn bei Norbert Schatz, dem Kapitän der „Gorch Fock“?
(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eben!)
Den hat Herr Guttenberg ohne Anhörung, ohne dass er sich einmal zum Vorwurf äußern konnte, einfach abgesetzt.
(Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Das stimmt doch nicht!)
Das ist inakzeptabel. Wenn dieser Maßstab gelten würde, was müsste er dann tun? Das gilt genauso für Generalinspekteur Schneiderhan, das gilt für Staatssekretär Wichert und eben auch für Kapitän Schatz. Sie hätten längst persönliche Schlussfolgerungen ziehen müssen, Herr Minister. Das ist die Situation. Sie werden nicht in der Lage sein, die Feldpostaffäre und all diese Dinge aufzuklären.
Wir erleben aber hier, meine Damen und Herren, nicht nur eine Affäre Guttenberg. Wenn man einmal unterstellt, der Minister hat nach seinem Gespräch mit der Kanzlerin die Wahrheit gesagt, dann ist es doch so, dass es keiner Aufforderung für eine Erklärung des Ministers bedurft hat und es sie auch nicht gab. Das sagt doch ganz klar, dass die Kanzlerin hier versagt hat. Das ist doch der Punkt.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es ist gegenüber allen, die ehrlich ihre Diplom-, Master- und Doktorarbeiten anfertigen, ein Hohn, wenn sich die Kanzlerin mit flapsigen Sprüchen, sie habe Guttenberg nicht als wissenschaftlichen Assistenten ins Kabinett geholt, vor ihren Minister stellen will. Ja, dann kann er auch betrunken fahren, sie hat ihn ja auch nicht als Fahrer eingestellt. Das kann doch wohl nicht wahr sein!
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Was ist denn das für eine Doppelmoral bei der Union, wenn jedes Kind, das sich im Internet einen Song herunterlädt, kriminalisiert wird, und Sie hier nur Verteidigungsstrategie machen? Mit Ihrem Festhalten am Ministeramt laden Sie letztlich Schuld auf die politische Kultur in Deutschland.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU - Birgit Homburger (FDP): Das sagt der Richtige!)
- Ja, das sagt der Richtige, der hat eine ordentliche Promotion in Moskau gemacht. Das ist besser als Abschreiben, Frau Homburger.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Von vielen Seiten kommen jetzt berechtigte Rücktrittsforderungen. Ich will zum Abschluss zweimal Guttenberg zitieren. Einmal will ich Ihren Großvater zitieren, der das beachtenswerte Buch Fußnoten geschrieben hat. Er schreibt: „Am Ende zählt, ob einer ist, was er vorgibt“. Dann will ich Sie selbst zitieren: „Verantwortung bedeutet vor allem Verpflichtung, Vertrauen und Gewissen.“ Ich appelliere an Ihre Ehre: Früher wusste der Adel, was an so einer Stelle zu tun ist
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der FDP: Ein Duell!)