Rede von Matthias W. Birkwald MdB (DIE LINKE.)
am 02. Juni 2016
im Plenum des Deutschen Bundestages zu TOP 22:
Antrag der Fraktion DIE LINKE: Riester-Rente in die gesetzliche Rentenversicherung überführen (BT-Drs. 18/8610)
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Carsten Maschmeyer, ein enger Freund von Gerhard Schröder und Chef eines Finanzvertriebs, schwärmte nach der Einführung der Riester-Rente:
Es ist so, als wenn wir auf einer Ölquelle sitzen. Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß, und sie wird sprudeln.
Aha. Wie kam es zu Riester? - Erstens wollten die Arbeitgeber sich um das Jahr 2000 herum nicht mehr zur Hälfte an der Finanzierung einer Lebensstandard sichernden Rente beteiligen. Sie wollten schlicht geringere Rentenbeiträge zahlen. Zweitens wollte die Versicherungswirtschaft Provisionen mit privater Altersvorsorge kassieren.
Bundeskanzler Schröder und Arbeitsminister Walter Riester, SPD und Grüne haben die Rente aktiv teilprivatisiert, und das war schlecht.
(Beifall bei der LINKEN)
So mussten fortan die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber weniger in die Rentenkassen einzahlen, als für eine gute Rente nötig gewesen wäre, und das war ein politisch willkürlich in die Rentenkassen gerissenes Loch. Diesem Loch sollen die Beschäftigen allein mit der Riester-Rente und steuerlichen Zulagen hinterhersparen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden belastet, und die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wurden entlastet. Die Linke sagt dazu: Diese Entscheidung war grottenfalsch, und sie ist grottenfalsch.
(Beifall bei der LINKEN)
Heute müssen die Arbeitgeber nur 9,35 Prozent des Lohnes für die Altersvorsorge ihrer Beschäftigten zahlen. So viel zahlen die Beschäftigten ebenfalls. Dazu kommen aber noch 4 Prozent ihres Lohnes für die Riesterrente und 1,4 Prozent für die betriebliche Altersversorgung. Die Beschäftigten müssen also 14,75 Prozent ihres Bruttolohns in die drei Säulen der Altersvorsorge stecken, um eine Lebensstandard sichernde Alterssicherung zu erhalten.
Durchschnittlich verdienende Beschäftigte mit 3 022 Euro brutto zahlen heute also 163 Euro mehr im Monat für ihre Altersvorsorge als ihre Chefs, und weil die Arbeitgeber zu wenig zahlen, wird das Rentenniveau von Lebensstandard sichernden 53 Prozent im Jahr 2000 auf bis zu 43 Prozent im Jahr 2030 sinken, und das darf nicht so bleiben.
(Beifall bei der LINKEN)
Für die Menschen ist das brutal, denn die Kaufkraft der gesetzlichen Rente ist massiv geschrumpft. Ein Beispiel: Eine durchschnittliche Rente für langjährig Versicherte mit mindestens 35 Beitragsjahren ist zwischen 2000 und 2014 von 1 021 Euro auf 916 Euro gesunken. Wenn man die Preissteigerungen seit dem Jahr 2000 berücksichtigt, hätte eine durchschnittliche Rente für langjährig Versicherte 1 284 Euro und nicht nur 916 Euro betragen müssen. SPD, Grüne und CDU/CSU haben mit der Riester-Rente und der Absenkung des Rentenniveaus also dafür gesorgt, dass denen, die Jahrzehnte gearbeitet haben und in die Rentenkasse eingezahlt haben, nun jeden Monat 368 Euro Rente im Portemonnaie fehlen. Meine Damen und Herren, das ist unverantwortlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Rentnerinnen und Rentner werden nicht mehr vollständig am steigenden Wohlstand in unserem Land beteiligt; im Gegenteil: Es gibt immer mehr arme Rentnerinnen und Rentner. Schon heute sind es 3 Millionen. Das darf nicht so bleiben.
(Beifall bei der LINKEN)
Es geht auch anders. In unseren Nachbarländern Dänemark, Schweden, den Niederlanden, der Schweiz und Österreich leben viele Rentnerinnen und Rentner deutlich besser. In Österreich ist der Beitragssatz seit 1988 stabil. Er ist etwas höher als bei uns, aber dafür zahlen die Arbeitgeber in Österreich auch mehr in die Rentenkasse ein als die Beschäftigten. Österreich hat deshalb eine starke gesetzliche Rente. Ein österreichischer Beschäftigter erhält nach 35 bis 45 Beitragsjahren sage und schreibe 1 820 Euro Rente. Der vergleichbare Beschäftigte in Deutschland erhält nur 1 050 Euro Rente. 770 Euro mehr, ganz ohne Riester, dazu sage ich: Das muss drin sein, auch bei uns.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Riester-Rente kann die Rentenlücke nicht ausgleichen, und die Menschen wissen das. Seit fünf Jahren stagniert die Zahl der Riester-Verträge. Es werden einfach nicht mehr; im Gegenteil: Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Neuverträge erneut zurück. Nach 15 Jahren haben nun der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, CSU-Chef Seehofer, der Wirtschaftsweise Professor Peter Bofinger und viele andere die Notbremse gezogen. Sie sagen: Schluss mit der steuerlichen Riester-Förderung. - Sie haben Recht.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, die Riester-Rente ist ineffizient wegen der hohen Verwaltungskosten, die Riester-Rente ist intransparent, weil die hohen Kosten und die schmalen Renditen für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht erkennbar sind, die Riester-Rente ist ineffektiv, weil das Ziel, die Versorgungslücke zu schließen, nicht erreicht wird, und die Riester-Rente ist sozial ungerecht, weil die staatlichen Subventionen von bisher 35 Milliarden Euro nahezu ausschließlich in die Taschen der Versicherungsunternehmen geflossen sind. Aus all diesen Gründen fordert die Linke: Die milliardenschwere Riester-Förderung muss jetzt gestoppt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke legt Ihnen heute eine machbare Alternative zu dem Riester-Unsinn auf den Tisch:
Erstens. Riester-Sparerinnen und Riester-Sparer sollen ab sofort das Recht erhalten, das bisher in Riester-Versicherungen angesparte Kapital freiwillig in die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung zu überführen.
Zweitens. Damit entstehen eins zu eins Anwartschaften auf ihrem persönlichen Rentenkonto bei der gesetzlichen deutschen Rentenversicherung.
Drittens. Die Wechselkosten für den Riester-Vertrag werden auf ein absolutes Minimum begrenzt. Für die bereits eingezahlten Eigenbeiträge und die erhaltenen Zulagen wird selbstverständlich Vertrauensschutz gewährt.
Viertens. Gleichzeitig wird die steuerliche Förderung der privaten Altersvorsorge eingestellt. Die freiwerdenden Finanzmittel in Höhe von jährlich über 3 Milliarden Euro fließen direkt in die gesetzliche Rentenversicherung.
Fünftens. Dann werden wieder die Ziele der Lebensstandardsicherung und der strukturellen Armutsvermeidung in der gesetzlichen Rentenversicherung verankert.
Sechstens. Die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel werden gestrichen.
(Beifall bei der LINKEN)
Als rentenpolitisches Sicherungsziel wird dann für die sogenannte Standarderwerbsbiografie - 45 Versicherungsjahre mit einem Durchschnittsgehalt - ein Sicherungsniveau von 53 Prozent vor Steuern festgeschrieben, also genau so, wie es war, bevor Schröder, Riester und Fischer das Rentenniveau in den Sinkflug schickten.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Dieses Rettungsprogramm für die gesetzliche Rente ist verfassungskonform, und es ist finanzierbar. Wir haben den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages gefragt, ob eine Überführung von Riester-Guthaben in die gesetzliche Rente mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Die klare Antwort lautet, solange die Überführung freiwillig bliebe, gebe es keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Was würde ein Rentenniveau von 53 Prozent die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen sowie die Arbeitgeber und die Arbeitgeberinnen kosten?
Der aktuelle Rentenwert müsste ab 1. Juli von 30,45 Euro auf 33,83 Euro steigen. Das wäre eine Rentenanpassung von gut 11 Prozent. Sie würde im kommenden Jahr 29,11 Milliarden Euro kosten. Das klingt viel, ist aber nur eine Beitragssatzerhöhung um 2,3 Prozentpunkte auf 21 Prozent. Beschäftigte mit einem durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen von zurzeit 3 022 Euro müssten im Monat gerade einmal knapp 35 Euro mehr an Beitrag in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen und eben nicht die für Riester-Renten geforderten 4 Prozent vom Bruttoeinkommen. 35 Euro statt 108 Euro - das ist gerecht, und das ist ein Schnäppchen.
(Beifall bei der LINKEN - Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und was zahlen die 2040?)
Denn damit würde eine sogenannte Standardrente nach 45 Berufsjahren von aktuell 1 370 auf 1 522 Euro steigen. Monatlich wären das 152 Euro mehr Rente. Das ist die linke Alternative zu Riester. Es ist eine gute Alternative, finde ich. Das muss drin sein.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Im weiteren Verlauf der Debatte stellte Matthias W. Birkwald noch zwei Zwischenfragen an die Kollegen Peter Weiß (CDU/CSU) und Markus Kurth (Bündnis90/Die Grünen)
Zwischenfrage an Peter Weiß (CDU/CSU):
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Weiß. - Herr Weiß, unser Ziel war, erst einmal herauszubekommen, ob es verfassungsgemäß wäre, die Riester-Guthaben in die gesetzliche Rentenversicherung zu übertragen. Da hat das Gutachten gesagt: Ja, wenn das freiwillig erfolgt, ist das so. - Das halte ich erst einmal fest.
Darüber hinaus hat das Gutachten Ceteris-paribus-Bedingungen genannt. Das bedeutet: Wir sind der Gesetzgeber, uns obliegt es, die Rentenanpassungsformel und auch die Rentenformel zu ändern, wenn es hier die entsprechende Mehrheit und die politische Einsicht gäbe. Uns obliegt es, beispielsweise dafür zu sorgen, dass die Nachhaltigkeitsrücklage stärker wachsen kann und der Deckel, den es heute gibt, wegfällt. Das heißt, es gibt zahlreiche Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass das, was im Gutachten drinsteht, nicht passiert.
Ich will Ihnen noch einmal sagen: In Österreich wird es genauso gemacht. Dort gibt es eine deutlich höhere Rente - ich habe Ihnen die Zahlen vorgetragen -, und alles ist stabil. Deswegen bitte ich Sie: Sagen Sie doch einmal etwas dazu, dass jemand nach den heutigen Regelungen 108 Euro in Riester stecken muss, wenn er oder sie durchschnittlich verdient, und dass das mit einer Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung mit 35 Euro für den Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin und 35 Euro für den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin zu erledigen wäre. Man bräuchte also, wenn man die Zulagen nicht mitrechnet, insgesamt 38 Euro weniger. Der Punkt ist nämlich, dass wir den Versicherungsunternehmen dieses Geld wegnehmen wollen. Für die Beschäftigten wäre das deutlich besser. Was sagen Sie zu diesem Argument?
(Beifall bei der LINKEN)
Zwischenfrage an Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen):
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Vielen Dank. - Ich habe mit der Kritik gerechnet. Deswegen haben wir auch ausgerechnet, was das Ganze im Jahr 2029 kosten würde. Dazu muss man aber wissen, dass das Durchschnittseinkommen nach den Annahmen der Bundesregierung im Jahr 2029 bei 4 400 Euro und nicht wie heute bei 3 000 Euro liegen würde. Dann würde das, was ich eben vorgetragen habe, nämlich ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau in der gesetzlichen Rente, 99 Euro mehr im Monat kosten, wäre also im Jahr 2029 für durchschnittlich verdienende Beschäftigte sogar immer noch 9 Euro günstiger als heute, also in einer Zeit, in der sie 1 400 Euro weniger an Einkommen haben. Das kann man nachlesen. Man muss auch bedenken, dass nach dem jetzigen Riester-Gesetz die Menschen in 2029 mit dem dann höheren Gehalt 164 Euro für die Riester-Rente bezahlen müssten, wenn sie durchschnittlich verdienten.
Ich halte fest: Auch im Jahr 2029 sind nach den jetzigen Daten und Annahmen der Bundesregierung 65 Euro weniger zu bezahlen, wenn wir die gesetzliche Rente stärkten und nicht bei Riester blieben. - Ich hoffe, ich konnte mit diesen Hinweisen helfen.