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Krieg ist eine Höchstform von Terror

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute ist nicht der Tag, darüber zu sprechen, dass der amerikanische Präsident Außenpolitik zunehmend als Militär- und Kriegspolitik betreibt. Heute geht es auch nicht darum, dass seine These, mittels Krieg Terror zu bekämpfen, eindeutig widerlegt ist. Krieg ist eine Höchstform von Terror und mittels Terror kann man Terror nicht wirksam bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Kriege in Afghanistan und im Irak beweisen täglich, dass sie den Terrorismus erhöhen. Mir geht es heute auch nicht darum, darauf hinzuweisen, dass man zur Adresse von Terroristen wird, wenn man sich an solchen Kriegen beteiligt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein vernünftiger Blauhelmeinsatz kann sogar gegenteilige Wirkungen haben, wenn man dadurch als Friedenstifter anerkannt wird.
Es ist auch nicht der Tag, um über das veränderte Verhältnis der deutschen Parteien zum Krieg zu diskutieren. Dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien stimmten bekanntlich alle Fraktionen außer meiner zu. Ich will auch nicht über die These von Herrn Kuhn und anderen reden, dass Verteidigung nicht mehr national, sondern nur international möglich sei, wobei mir bei der Vorstellung, dass dies 190 Staaten so sähen und ihre Soldaten vom Süd- bis zum Nordpol stationierten, mehr als schwummrig wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir waren nun Zeugen eines Krieges zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon und sind froh, dass ein Waffenstillstand, wenn auch noch sehr fragil, zustande gekommen ist.

(Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Warum ist er zustande gekommen, Herr Kollege Gysi?)

In diesem Zusammenhang macht es Sinn, UN-Truppen zu entsenden,

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Aha!)

um einen weiteren militärischen Konflikt zu verhindern. Im Unterschied zur UN-Resolution sind wir allerdings der Meinung, dass es zur Verhinderung eines weiteren Krieges und zur Neutralität gehörte, wenn die Truppen nicht nur im Libanon, sondern auch in Israel stünden.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier und heute geht es aber um die Frage, ob sich Deutschland an solchen UN-Truppen beteiligen sollte. Ich habe viele Argumente dafür gehört und möchte entscheidende dagegen nennen. Zunächst geht es um die Geschichte und die Verantwortung für sie. Die Nazis haben Millionen Jüdinnen und Juden ermordet und damit ein einzigartiges, unbeschreibliches Verbrechen in der Geschichte der Menschheit begangen. Deshalb beschloss die UNO die Bildung des Staates Israel. Bei einem Konflikt zwischen Israel und einem anderen Staat sind deutsche Soldaten die Letzten, die dazwischenstehen sollten. Jede Seite wird bei jeder Schwierigkeit einen historischen Bezug herstellen. All dies überforderte unsere Soldaten.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms (FDP))

Wenn man Blauhelme im Auftrag der UNO stellt, muss man hinsichtlich des Konfliktes neutral sein. Man muss gegenüber beiden Seiten die gleiche Glaubwürdigkeit besitzen. Die Bundesregierung ist nicht neutral und will es auch nicht sein. Ich glaube darüber hinaus, dass auch niemand hier im Saal neutral ist. Sie sind es nicht und ich bin es auch nicht.

In unserer Gesellschaft gibt es diesbezüglich vier Gruppen: Mit der einen will ich mich heute nicht beschäftigen. Es sind jene, die sich für die Fragen nicht interessieren und deshalb weder Gefühle noch Gedanken in die eine oder andere Richtung entwickeln.
Dann gibt es Menschen, deren Herzen für Israel schlagen. Sie verweisen auf die bereits benannte millionenfache Ermordung von Jüdinnen und Juden durch die Nazis. Sie haben Verständnis dafür, dass gerade Jüdinnen und Juden nicht noch einmal bereit sind, sich wehrlos umbringen zu lassen. Sie verweisen auch darauf, dass es arabische Organisationen und Staatschefs gibt, die nicht nur das Existenzrecht Israels bestreiten, sondern dieses Land vernichten wollen. Sie sehen die entsetzlichen Attentate und Terroranschläge, die seit Jahren in Israel begangen werden. Sie fühlen auch kulturell stärkere Nähe zu Juden als zu Arabern. Unter all diesen Umständen haben sie eher Verständnis dafür und versuchen, zu übergehen, dass Israel sich nicht nur wehrt, sondern auch angreift, bestimmte Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nicht einhält, auch Untaten begeht und Völkerrecht verletzt. Jedermann solle, so ihre Meinung, zu jeder Zeit wissen, dass dieses Land seine Vernichtung durch niemanden dulden wird.
Dann gibt es jene, deren Herzen für die arabische Seite schlagen. Sie wissen selbstverständlich um die millionenfache Ermordung der Jüdinnen und Juden. Sie weisen aber darauf hin, dass bei der Gründung des Staates Israel diejenigen nicht gefragt wurden, die damals dort lebten. Sie haben den gesamten Prozess hinterher als einen Prozess gegen Palästinenserinnen und Palästinenser erlebt. Sie betonen, dass der Staat Israel seit Jahrzehnten existiert, die Palästinenser über diese Jahrzehnte aber nur als Flüchtlinge in den anderen Ländern geduldet wurden. Als endlich ein Autonomiegebilde entstand, war es nicht lebensfähig und ist es bis heute nicht. Bis heute gibt es keinen palästinensischen Staat. In den vielen Kriegen und Auseinandersetzungen, die stattfanden, gab es immer Tote auf beiden Seiten, aber deutlich mehr Tote unter Palästinensern und anderen Arabern. Für sie hat Israel sein militärisches Übergewicht nicht nur genutzt, sondern auch missbraucht. Sie verweisen auf die Völkerrechtswidrigkeit bestimmter Handlungen Israels und sehen andererseits über Untaten und Völkerrechtsbruch der arabischen Seite eher hinweg. Ebenso schweigen sie eher zum Bestreiten des Existenzrechts des israelischen Staates oder zu Vernichtungswünschen durch bestimmte arabische Organisationen und Staatsoberhäupter. Sie fühlen sich aber moralisch doppelt legitimiert. Israel wird in besonderer Weise von den USA unterstützt, die eine imperiale Politik betreiben, während sie selbst an der Seite der Palästinenserinnen und Palästinenser sich mit den Unterdrückten solidarisieren. Vor der Gründung des Staates Israel hätte man nach ihrer Argumentation an der Seite der Jüdinnen und Juden stehen müssen, weil sie verfolgt und unterdrückt wurden. Nun aber seien diese in Israel eher mächtig und unterdrückten Palästinenserinnen und Palästinenser, sodass man an deren Seite zu stehen habe.

Die erste Gruppe versucht, die zweite nicht selten mit dem Vorwurf des Antisemitismus zum Schweigen zu bringen, was in einigen Fällen zutrifft, aber in vielen Fällen ein vorschnelles und ungerechtfertigtes Urteil ist. Unabhängig davon bleibt, dass in Argumenten beider Gruppen viele Wahrheiten stecken, die nur zeitlich und örtlich nicht zusammenpassen, die sich aber gegenseitig nicht widerlegen.

Es gibt noch eine weitere Gruppe. Das sind jene, die sich eher zugunsten Israels äußern, im Innern aber anders denken und fühlen. Sie halten aber ihre Gedanken- und Gefühlswelt für politisch nicht korrekt. Sie wollen dem Vorwurf des Antisemitismus entgehen und äußern sich deshalb anders. Ich bin ziemlich sicher, dass auch Sie Vertreterinnen und Vertreter dieser Gruppe kennen.

In meiner Generation ist das alles kompliziert und wirr genug. Es gibt keine Klarheit. Es gibt Angst vor Diskussionen. Wir, Frau Bundeskanzlerin, sind nach meiner Auffassung keinesfalls berechtigt, diese völlig ungeklärte Gedanken- und Gefühlswelt, die in unserer Generation noch immer herrscht, die jungen Soldaten austragen zu lassen. Diese können das nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sind überfordert. Wir alle haben nicht das Recht, sie in eine solche Situation zu bringen.
Zum Argument der erhofften Normalität im Verhältnis zu Israel möchte ich vier Bemerkungen machen. Normalität kann man nicht durch Soldaten und Geschütze herstellen. Sie, Frau Bundeskanzlerin, wollen zwar hin mit den Soldaten, aber möglichst nicht auf das Land. Sie suchen eine Stellung, bei der sie hoffen, der Konfrontation zu entgehen. Das aber ist nicht Ausdruck von Normalität, sondern von Anormalität. Normalerweise sagt man zu einem solchen Einsatz klar Ja oder klar Nein und sucht nicht eine solche Zwischenlösung. Man sollte auch nicht auf ein Angebot der israelischen Regierung eingehen, Normalität über Soldaten zu gewinnen. Über 170 Staaten entsenden keine Soldaten und sind nicht anormal.

Ein weiteres Argument ist mir wichtig. Gegen die Neutralität spricht zweifellos, dass die deutschen Soldaten Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindern sollen, die Bundesregierung ihre Waffenlieferungen an Israel aber fortsetzt, bis hin zu U-Booten, die sogar mit Atomwaffen bestückt werden können. Nun gibt es den Vorwurf, dass derjenige, der gegen Waffenlieferungen an Israel ist, das Existenzrecht dieses Staates gefährde. Ich halte das für Unsinn. Seit Jahrzehnten ist Israel den arabischen Nachbarländern militärisch überlegen. Zum Frieden hat das nicht geführt. Die umgekehrte Situation hätte allerdings verheerendere Folgen gehabt. Wären die Nachbarländer Israel militärisch überlegen gewesen, hätten sie versucht, dieses Land zu vernichten. Trotzdem, sage ich, ist die weitere Aufrüstung Israels ein Fehler. Wenn Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindert und an Israel eingestellt würden, änderte sich nichts an der militärischen Überlegenheit Israels - sie nähme nur nicht mehr zu. Das ist doch das Mindeste, was man erwarten darf.

Außerdem hat Israel mit den USA die stärkste Militärmacht an seiner Seite. Es gibt Gefährdungen Israels: kulturell und in anderer Hinsicht, aber nicht militärisch. Israel sollte überlegen, ob es auch kulturell Teil des Nahen Ostens sein will oder weiterhin versucht, Europa in den Nahen Osten zu tragen. Letzteres wollen die übrigen Menschen im Nahen Osten nicht.

Bekannt ist, dass beide Konfliktseiten bestimmte, aber sehr unterschiedliche Erwartungen an den Einsatz deutscher Soldaten haben. Die einen hoffen auf Verantwortung wegen unserer Geschichte und die anderen hoffen, dass Reste von dieser Geschichte noch vorhanden sind. Eine Bundesregierung, die das weiß, hätte schon deshalb von vornherein Nein zu einem Einsatz unserer Soldaten sagen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die anderen Regierungen hätten das verstanden. Es war die Bundesregierung, die ungefragt ihre Bereitschaft zur Entsendung von Soldaten bekundete und damit auch die Einladungen aus Israel und dem Libanon provozierte. Es ist die erste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik, die den Grundsatz aufgibt, keine Soldaten in den Nahen Osten zu entsenden. Andererseits hätte die Bereitschaft erklärt werden sollen, jede humanitäre Hilfe bei der Beseitigung von Schäden in Israel und im Libanon zu gewähren. Ich bin allerdings auch dafür, beiden Seiten einmal deutlich zu sagen, dass künftig wieder diejenigen die Wiedergutmachung von Schäden zu bezahlen haben, die sie anrichten, und nicht regelmäßig Dritte.

(Beifall bei der LINKEN)

Ferner brauchen wir dringend unter Einbeziehung sämtlicher Seiten eine Nahostfriedenskonferenz. Deutschland sollte vorschlagen, dass eine solche organisiert werden sollte, und bekunden, dass wir bereit sind, sie in Berlin stattfinden zu lassen. Das wäre eine gewaltige politische, aber auch selbstbewusste Leistung.

Mir tun unsere Soldaten auch Leid, weil ich weiß, dass sie in eine völlige Überforderungssituation gedrängt werden.

(Dr. Peter Struck (SPD): Unsinn!)

Natürlich machen sie das freiwillig, aber ich bezweifle, dass sie das wirklich überschauen. Deutschland hätte ein politischer Vorreiter im Friedensprozess werden können. So werden wir es nicht. Deutschland wird nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Konflikts.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms (FDP) - Dr. Peter Struck (SPD): Das ist ja lächerlich!)

Wir halten das für eine Fehlentscheidung, die wir nicht mittragen können. Ich fürchte, dass auch Sie diese Entscheidung eines Tages bereuen werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms (FDP)