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Kostspielige Forschungsinvestition nicht immer sinnvoll

Archiv Linksfraktion - Rede von Petra Sitte,

Sehr geehrte Damen und Herren,

Spallations-Neutronenquelle - das hört sich an als wäre Raumschiff Enterprise nun auch im Bundestag gelandet. Die Wenigsten werden damit etwas anfangen können. Es handelt sich um eine Technologie, bei der Neutronen als Sonde dienen, um in Objekten Strukturen zu zeigen. Sie findet ihre Anwendung in solchen Bereichen wie Physik, Chemie, Biologie, Pharmazie, Medizin sowie Ingenieur- u. Materialwissenschaften. Mein Zeitvolumen beträgt nur 4 Minuten, was also knappste Beschränkung auf einige Forderungen aus dem Antragstext der FDP verlangt.

Eine kleine Vorbemerkung dennoch: Ich beziehe mich auf einen von mir beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in Auftrag gegebenen Sachstandsbericht, der von Dr. Daniel Lübbert erstellt wurde.

Die erste FDP-Forderung: Die Bundesregierung soll gegenüber der EU ihren festen Willen für den Standort Deutschland bekunden. Bei der Prüfung dieses Projektes durch den Wissenschaftsrat 2002 wurde festgestellt, „dass der Ansiedlung einer Neutronenquelle für den Wissenschaftsstandort Deutschland eine eher geringe Bedeutung“ zukommt, „da die bisherige Deckung des deutschen Bedarfes an Neutronenquellen der obersten Leistungsklasse durch eine europäische Neutronenquelle mit Sitz in Frankreich nicht zu strukturellen Nachteilen für die deutsche Neutronenforschung geführt hat“.

Also sollte sich die Bundesregierung nicht in einer Standortdebatte verzetteln. Gegenwärtig können durch deutsche Forscher Neutronenquellen genutzt werden: - in Großbritannien (Oxford), die sich zudem im Ausbau befindet und - in der Schweiz. Des Weiteren sind alternative Nutzungen möglich: - in Frankreich (Grenoble) die Europäische Synchrotronstrahlungsquelle ESRF, die derzeit weltweit am leistungsfähigsten ist. Andere vergleichbare Quellen sind im Ausbau in Hamburg. Auch in Darmstadt und bei München bestehen Nutzungspotentiale.

Zweite FDP-Forderung: Die Bundesregierung möge für Aufnahme in das neue EU-Forschungsrahmenprogramm sorgen. Diese Neutronenquelle war jedoch nie originär ein Projekt der EU! Finanziert wurden von ihr lediglich einige Vorarbeiten u. Studien. Bau und Betrieb oblagen vielmehr einem Konsortium einzelner europäischer Staaten. Vor diesem Hintergrund gab es verschiedene Standortbewerbungen aus Schweden, Ungarn, Spanien, Dänemark, Großbritannien, Nordrhein-Westfalen (Jülich) und Sachsen-Anhalt (Halle/Leipzig).

Das spätere Sitzland müsste einen Sonderbeitrag bei der Finanzierung leisten. Das 7. Forschungsrahmenprogramm greift auf einen gestiegenen Etat zurück. Aus diesem Etat werden auch Großprojekte finanziert. Es ist dennoch höchst unwahrscheinlich, dass ein solches Mammutprojekt von 1,5 Mrd. € Platz finden wird. Und ich wiederhole: wäre die Bundesrepublik Sitzland, müsste sie zusätzlich zum geplanten Etat einen erheblichen Betrag einplanen. Angesichts der immensen Aufgaben für den Bereich Bildung und Forschung, müsste der Betrag - so dieser real überhaupt vorhanden wäre - aus unserer Sicht in ganz andere Schwerpunkte investiert werden.

Dritte Forderung der FDP: Der Wissenschaftsrat solle ein zweites Begutachtungsverfahren einleiten. Stimmt, ein zweites Verfahren hat der Wissenschaftsrat 2002 nicht ausgeschlossen - allerdings unter zwei Bedingungen: Weitere intensive Arbeiten am Forschungsprogramm und Überarbeitung des Antrages! Parallel sollten alternative Entwicklungen der Synchrotronstrahlung und Labormethoden der Strukturforschung wie Mikroskopie, optische Spektroskopie u. ä. berücksichtigt werden. Eine neue Antragstellung liegt nicht vor!

Zum ersten Verfahren ist noch zu erwähnen: Der Wissenschaftsrat hat 2002 mehrere Projektanträge zu Großgeräten geprüft. Die Neutronenquelle lag danach in der dritten von drei Prioritätsklassen. Die wissenschaftliche Notwendigkeit lag zu dieser Zeit wohl noch vor. ABER - man fürchtete, dass diese zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme längst überholt sein könnte. Bei der Größe des Projektes kann das niemand ernsthaft riskieren - schon gar nicht die öffentliche Hand! Abschließend sei angemerkt: Die Forderung nach Neutronenquellen entstand Mitte der 90er Jahre nachdem einige ältere Reaktoren abgeschaltet worden waren.

Diese „Neutronen-Lücke“ konnte zwischenzeitlich geschlossen werden. Die Forschungsbedürfnisse können mit den vorhandenen Anlagen befriedigt werden.