In der Debatte zum Konjunkturprogramm der Bundesregierung kritisiert Gregor Gysi, dass das Programm nur 4 Mrd. Euro umfasst. Die Koalition hat die Situation nicht erkannt und ist nicht bereit, die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Binnenwirtschaft muss gestärkt werden, indem die Kaufkraft erhöht wird.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben einen Weltfinanzgipfel erlebt. Die meisten - wir gehören dazu - sind davon wirklich mehr als enttäuscht, und zwar deshalb, weil unter anderem beschlossen wurde, weiterhin freie Finanzmärkte zuzulassen. Es wurde nicht verstanden, dass es einen Unterschied zwischen dem Gütermarkt und dem Finanzmarkt gibt.(Zuruf von der FDP: Aha!)
Auf dem Güter- und Dienstleistungsmarkt werden Waren und Dienstleistungen entweder gegen Waren und Dienstleistungen oder gegen Geld getauscht; das ist regulierbar. Auf dem Finanzmarkt wird Geld gegen Geld getauscht. Das Ergebnis ist immer, dass einer verlieren muss und einer gewinnen soll. Das Ganze ist reine Spekulation und führt zu solchen Katastrophen, wie wir sie jetzt erleben. Wenn Ihre Entscheidung nicht anders lautet, als alles weiter so laufen zu lassen, dann haben Sie nicht verstanden, worum es geht, und sind nicht bereit, die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Es stimmt, es gibt internationale Ursachen. Es gibt Ursachen, die in anderen Ländern liegen. Es gibt aber auch Ursachen, die in Deutschland liegen. Ich frage Sie: Was tun Sie gegen die Ursachen in Deutschland? Ich nenne Ihnen einige wenige Beispiele.
Nehmen wir die Hedgefonds. Was sind Hedgefonds? - Man muss der Öffentlichkeit diesen Begriff erklären. Diese Fonds beteiligen sich mit einem Minimum an Eigenkapital an einem Unternehmen, das gerade pleitegeht. Sie leihen sich den größten Anteil des Geldes und bürden die dadurch entstehenden Schulden dem neuen Unternehmen auf. Dann entlassen sie massenhaft Leute und verkaufen das Ganze profitabel. Das ist ihr Zweck. Deshalb sagte Herr Müntefering, nachdem er das Ganze zugelassen hat, das seien Heuschrecken. Ich frage Sie: Was machen Sie?
(Zuruf von der SPD: Quatsch!)
Außerdem wurde unter der Regierung von SPD und Grünen geregelt, dass für diese Käufe und Verkäufe nicht ein Cent an Steuern zu zahlen ist; diese Steuern musste man unter der von Kohl geführten Regierung noch zahlen. Die Große Koalition hat an dieser Regelung nichts geändert.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist ein Anreiz gewesen, all diese Geschäfte in Deutschland zu betreiben. Ich frage Sie nun: Was haben Sie für einen Gesetzentwurf? Haben Sie einmal überlegt, ob Sie Hedgefonds entweder wieder verbieten oder - wenn Sie weiterhin zulassen wollen in ihren Möglichkeiten kontrollieren und einschränken? - Sie haben nichts dergleichen getan.
(Beifall bei der LINKEN)
Nehmen wir die Zweckgesellschaften. Banken gründen in Steueroasen Zweckgesellschaften, damit sie nicht der Finanzkontrolle unterliegen. Diese Zweckgesellschaften verkaufen faule Kreditbriefe das hat uns mit in den Ruin getrieben , und dafür müssen sie keine Steuern zahlen. Wo ist Ihr Gesetzentwurf zum Verbot oder wenigstens zur Kontrolle dieser Zweckgesellschaften? - Den gibt es nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Die dritte Forderung, die man aus der Finanzkrise herleiten kann, ist, dass Steueroasen trockengelegt werden. Ich frage Sie: Wann haben Sie mit Präsident Bush darüber geredet, ob er versucht, die entsprechenden Inseln im Atlantik diesbezüglich mit amerikanischen Mitteln zu überzeugen?
(Zuruf von der SPD: Bundeswehr!)
Nein, um die Bundeswehr geht es nicht, es geht um ganz andere Wege. Die Bundeswehr ist immer Ihre Antwort. Wir haben regelmäßig andere Antworten.
(Beifall bei der LINKEN Ludwig Stiegler (SPD): Ja, die Volksarmee!)
Das ist schon ein bemerkenswerter Vorgang. Nichts dergleichen ist verabredet worden. Ich frage Sie daher: Haben Sie wenigstens schon einmal mit Obama telefoniert? Ich frage dies, weil ich hoffe, dass man sich mit ihm diesbezüglich verständigen kann.
(Dr. Peter Struck (SPD): Wir haben ihn in die Fraktion eingeladen!)
Ein weiterer Aspekt sind die Verbriefungen. Das sind Handelsgeschäfte mit Krediten, die Banken, Immobiliengesellschaften und Investmentfonds zu Paketen bündeln und weltweit verkaufen. Genau dadurch wurde die Krise ausgelöst; denn die meisten Kredite waren faul, weil keine Werte dahinter standen. Das war die Ursache. Was machen Sie gegen diese Art der Verbriefungen? - Nichts.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb sage ich Ihnen: Sie haben keine Schlussfolgerungen gezogen.
Die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, bereitet uns darauf vor, dass das kommende Jahr schlechte Nachrichten bringen wird. Die Deutsche Bundesbank erklärt: Wir werden ab dem nächsten Jahr die schwerste Wirtschaftskrise seit 1949 erleben, weil die Finanzkrise mit allen Folgen in die Realwirtschaft überschwappt. Was macht die Bundesregierung? Sie legt für das nächste Jahr ein Konjunkturprogramm im Umfang von weniger als 4 Milliarden Euro vor. Das sind 0,15 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Ich sage Ihnen: Daran wird deutlich, dass Sie die Situation nicht verstanden haben; denn Sie sind nicht bereit, die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die deutsche Wirtschaft lebt nun einmal sehr von den Ausfuhren. Diese brechen aber wegen der internationalen Finanzkrise weg. Sie erkennen das erste Mal, dass man vielleicht die Binnenwirtschaft stärken muss. Das geht aber nur, indem Sie die Kaufkraft erhöhen, die Sie seit Jahren geschwächt haben, sei es durch die Mehrwertsteuererhöhung, durch die Rentenformel oder durch was auch immer. Überall haben Sie die Kaufkraft der Bevölkerung geschwächt. Das muss in unserer Gesellschaft grundsätzlich geändert werden, aus sozialen und aus wirtschaftlichen Gründen.
(Beifall bei der LINKEN)
Andere Länder reagieren ganz anders als Deutschland. Nehmen Sie das Beispiel China.
(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Von China lernen, heißt Siegen lernen!)
Ja, ich bitte Sie. China legt ein Konjunkturprogramm in Höhe von 1,2 Billionen Euro auf. Das entspricht der Hälfte des Bruttoinlandprodukts, nicht 0,15 Prozent.
Wenn Ihnen China nicht gefällt, dann nehmen wir die USA. Obama hat gesagt, er wolle 700 Milliarden Dollar in ein Konjunkturprogramm einbringen. Davon sind wir meilenweit entfernt.
Nehmen Sie Großbritannien. Großbritannien steckt im nächsten Jahr 23 Milliarden Euro in ein Konjunkturprogramm
(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Sie wollen doch den Staatskapitalismus!)
und senkt die Mehrwertsteuer von 17,5 auf 15 Prozent. Nichts dergleichen fällt Ihnen ein, was aber dringend erforderlich wäre, wenn eine Wirtschaftsrezession verhindert werden soll.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich weiß ja, dass Sie uns nicht glauben; deshalb nenne ich Ihnen auch andere Stimmen. Die EU-Kommission hat gerade vorgeschlagen, jedes Mitgliedsland solle ein Konjunkturprogramm im Umfange von wenigstens 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts starten. Das wären in Deutschland 25 Milliarden Euro. Sie setzen weniger als 4 Milliarden Euro ein. Mit diesem Kleckern werden die Probleme nicht gelöst.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Auch der Sachverständigenrat, die Fünf Weisen, die durch und durch neoliberal geprägt sind, schlagen Ihnen plötzlich, ebenso wie die Linke, vor, doch mindestens 25 Milliarden Euro zu investieren.
(Frank Schäffler (FDP): Sehr mutig!)
Auch sie haben erkannt, dass wir in Deutschland einen anderen Weg gehen müssen.
Wir haben 50 Milliarden Euro vorgeschlagen. Sie werden sagen, das sei viel zu viel Geld und maßlos übertrieben. Aber Ihr Geldargument zieht nicht mehr richtig. Wenn Sie einen Schutzschirm von 480 Milliarden Euro über die Banken breiten, können Sie nicht sagen, Sie hätten keine 50 Milliarden Euro zur Rettung, zur Erhaltung und zum Ausbau der Arbeitsplätze in Deutschland; denn das ist die zentrale Aufgabe.
(Beifall bei der LINKEN)
Die 50 Milliarden Euro sollen auf verschiedene Bereiche aufgeteilt werden; davon schlagen wir 30 Milliarden Euro als Investitionssumme vor: 15 Milliarden Euro sollen in Bildung fließen. Das ist ungeheuer wichtig, damit wir diesbezüglich wieder durchschnittlich oder sogar überdurchschnittlich in Europa dastehen und damit endlich alle Kinder chancengleich oder wenigstens annähernd chancengleich aufwachsen können, indem ihnen eine gute Bildung zuteil wird.
(Beifall bei der LINKEN)
4 Milliarden Euro brauchen wir für die Energiewende. Für die Gesundheit brauchen wir 3,5 Milliarden Euro. All das führt nicht nur zu gerechteren Verhältnissen, sondern kurbelt auch die Binnenwirtschaft an; denn es gibt immer mehr kleine und mittlere Unternehmen, die auf die Kaufkraft der Bevölkerung und auf Investitionen dieser Art angewiesen sind. In diesem Zusammenhang haben wir auch eine Erhöhung der Regelsätze von Hartz IV auf 435 Euro vorgeschlagen. Diese Erhöhung würde 7 Milliarden Euro kosten und wäre vertretbar. Außerdem fordern wir eine Erhöhung der Renten um 4 Prozent. Es soll endlich einmal wieder eine wirkliche Erhöhung der Renten sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch diese kostet 7 Milliarden Euro. Wir wollen endlich die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,71 Euro brutto die Stunde. Auch das stärkt die Kaufkraft in Deutschland.
(Beifall bei der LINKEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gysi!
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Der Herr Präsident weist zu Recht darauf hin, dass meine Redezeit abgelaufen ist. Ich weiß, dass Sie das freuen wird. Sonst würde ich Ihnen noch unsere tollen Vorschläge für die kleinen und mittleren Unternehmen erläutern. Das erzählt Ihnen Oskar Lafontaine morgen. Sie müssen also keine Sorge haben; das werden Sie noch erfahren.
Eines müssen Sie begreifen: Sie müssen aufhören, zu kleckern, und endlich klotzen. Sonst geraten wir in die schlimmste Wirtschaftskrise seit 1949, wie es die Deutsche Bundesbank vorausgesagt hat.
(Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Intellektuell untergründig, rhetorisch großkotzig! Das ist Ihr Prinzip!)